Eine Gruppe verkleideter Menschen mit Masken und bunten Kostümen zieht durch die Straße.

Ebenseer Brauchtum: Lieber Fetzen statt Pailletten

Die Nachbarn Gmunden und Aussee mögen mehr Besucher anlocken, doch Ebensee hütet zwei besondere Brauchtumsschätze.

Am Nachmittag des Faschingsmontag liegt der graue, wolkenverhangene Winterhimmel schützend über dem Traunsee, hüllt alles in Stille – bis man das Südufer erreicht. Aus den Gassen der alten Salinenstadt Ebensee dringt Wirbel. Zuerst drängen sich die Trommeln und Blasinstrumente der Musikkapelle in den Vordergrund, dann hört man Gelächter, dann Geschimpfe.

Umgeben von Schaulustigen ziehen Männer und Frauen durch den Ort. Sie tragen lumpenartige Kittel, an denen bunte Stofffetzen aufgenäht sind. Am Arm baumeln zerschlissene Regenschirme, während Kunstblumen und anderes Zierwerk an den Hutkrempen im Takt der Schritte wippen. Gesichter erkennt man keine – sie verbergen sich hinter geschnitzten Holzmasken. Da löst sich eine der seltsamen Figuren aus der Gruppe, baut sich auf und verspottet die Zuschauer. Mit verstellter Stimme und spitzzüngigen Worten bringt sie die ungeschminkte Wahrheit ans Licht. 

Zieht der Fetzenzug vom ehemaligen Gasthaus Neuhütte (Langbathstraße 27) in Richtung Rathaus, ist in Ebensee der Höhepunkt der Faschingszeit erreicht.

Eine Person mit bunter Verkleidung, auffälligem Hut, zerzaubertem Schirm und Holzmaske steht auf einer Straße.

Der Status als immaterielles UNESCO Kulturerbe würdigt die Einzigartigkeit und   Unverfälschtheit des Ebenseer Brauchs.

©Marc Schwarz / marcschwarz.at

Zerzauster Fetzenzug

Wie lange dieses Treiben schon stattfindet, darüber klaffen die Meinungen auseinander – nachweislich dokumentiert ist der Brauch erst seit ca. 120 Jahren. Was belegt ist: die Aufnahme in die Liste des immateriellen UNESCO-Kulturerbes im Jahr 2011. Neben der Datierung bleibt auch der Grund für das Treiben unklar. War es eine Gegenreaktion auf das gutbürgerliche Faschingstreiben im wohlhabenden Gmunden? Oder eine Antwort auf die Ausseer „Flinserln“, deren paillettenübersäten und reich bestickten Gewänder an mittelalterliche Prunkkleidung erinnern? Fest steht nur: In Ebensee kam man ohne edle Stoffe und Glanz aus.

Stattdessen nutzten die Salinenarbeiter und ihre Angehörigen das, was da war – und griffen zu gebrauchten Frauengewändern, die sie mit bunten Fetzen und improvisiertem Zierrat aufpeppten. Je zerzauster, desto besser. Stark geschminkt oder hinter Masken verborgen, war dann der Weg frei, um auszusprechen, was man sonst verschwieg - ob gegenüber der Obrigkeit, den Nachbarn oder der eigenen Familie.

Gerade im kalten Winter, wenn sich die Menschen lieber in ihren Häusern zurückziehen, bietet der Fetzenzug einen willkommenen Anlass, um zusammenzukommen und die Verbundenheit zu pflegen, aber: Für die Ebenseer ist es nicht die erste Gelegenheit im Jahr.

Der Glöcklerlauf erhellt die Nacht

In den vergangenen Jahrzehnten ist das „Glöcklerlaufen“ vielerorts im Salzkammergut zu neuem Leben erwacht. Für Außenstehende bietet der alte Brauch eine weitere Möglichkeit, in eine immer noch lebendige Tradition einzutauchen und für einen Moment Teil einer Gemeinschaft zu werden. Und der Ursprung dieser Tradition liegt in Ebensee.

In der letzten Rauhnacht, am Vorabend des Dreikönigstages, kündigen Bläser mit Hirtenweisen eine weiß gekleidete Prozession an. Am Rücken tragen die Menschen schwere Kuhglocken, über den Köpfen prächtige „Lichterkappen“. Einst unverheirateten jungen Männern vorbehalten, dürfen mittlerweile auch Frauen und Mädchen teilnehmen. Die oft mit Papierfransen umrahmten Lichterkappen bilden das Herzstück: Es sind filigrane Kunstwerke, die bis zu 5 Meter lang und 2 Meter hoch sein können. In mühevoller Handarbeit werden sie im Lauf des Jahres angefertigt oder restauriert. Nicht selten stecken in einem Werk mehrere hundert Arbeitsstunden.

Menschen tragen große, bunte, sternförmige Laternen mit gemalten Motiven bei einem nächtlichen Umzug.

Am Abend des 5. Jänner findet der Glöcklerlauf in Ebensee statt. Die erleuchteten, kunstvoll gestalteten „Glöcklerkappen“ zeigen Szenen aus Brauchtum und Arbeitsalltag.

©Getty Images/Spitzt-Foto/IStockphoto.com

Dafür wird auf einem Holzgestell Pergament, Ton– oder Papppapier gespannt, auf dem zuvor Ornamente und Bilder ausgestanzt und mit verschiedenfärbigem Papier hinterlegt wurden. Im Inneren der Kappe erreicht das Licht von mehreren Kerzen selbst den hintersten Winkel und lässt die Muster leuchten. Die Form der Kappen ist unterschiedlich. Ursprünglich entsprachen sie v.a. Tierdarstellungen und Gebäudeformen wie Kirchen oder Türme. Heute sieht man zunehmend geometrische Formen, oft sternförmige. Vorab haben Interessierte Gelegenheit, die kunstvoll wie aufwändig gestalteten Kappen im Ebenseer Rathaus aus der Nähe zu betrachten - bei einer Ausstellung im großen Saal (5. Jänner, 10:00-16:30 Uhr).

Licht- oder Geldbringer? 

An sich steht der winterliche Glöcklerlauf im Zeichen des Lichts: Er soll Glück und Segen ins neue Jahr tragen, die Gunst der guten Geister gewinnen und die bösen fernhalten. Weshalb die Prozession dafür weiße Kleidung trägt, lässt sich nicht mehr eruieren.

Eine Erklärung besagt, dass Kirche und Polizei den Brauch früher wegen seines heidnischen Ursprungs ablehnten. Um sich bei möglicher Verfolgung schnell im Schnee verstecken zu können, trugen die Glöckler weiß. 

Andere Volkskundler sehen weniger einen heidnischen, sondern einen sozialen Aspekt: Demnach entstand der Brauch im 19. Jahrhundert in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Als in der Saline Ebensee Holz durch Braunkohle zum Heizen der Sudpfannen ersetzt wurde, verloren viele Holzarbeiter ihre Arbeit. Um nicht betteln zu müssen, inszenierten sie ein winterliches Spektakel und hofften auf Spenden. Wobei das die Frage der weißen Kleidung nicht beantwortet. 

Was letztlich auch der Hintergrund sein mag, aufgrund seiner Originalität und der regionalen Verwurzelung hat sich der Ebenseer Glöcklerlauf ebenfalls das Label „immaterielles UNESCO–Kulturerbe“ verdient.

Zwei Wanderer steigen bei Sonnenschein mit Stöcken einen verschneiten Berghang zu einem Gipfelkreuz hinauf.

Abstand vom Trubel in Ebensee findet man am Feuerkogel und in der grandiosen Bergkulisse des Salzkammerguts.

©TVB Traunsee-Almtal/Monika Löff

Suche nach Antworten

Möchte man generell mehr über die Stadt am Traunsee erfahren, kann man das Museum Ebensee besuchen. Im historischen Salzamt von 1604 gelegen, geben Ausstellungen zum traditionellen Handwerk, zum Fetzenzug und zum Glöcklerlauf Einblicke ins Brauchtum. Zwischen Weihnachten bis Maria Lichtmess am 2. Februar sieht man auch die detailreich gestalteten Landschaftskrippen. Der Schwerpunkt des Museums liegt aber auf der Salzgewinnung, die das Leben und Arbeiten in Ebensee über Jahrhunderte geprägt hat. So erfährt man, dass die älteste Pipeline der Welt zwischen 1595 und 1607 erbaut wurde: Um Sole aus Hallstatt nach Ebensee zu leiten, wurden rund 13.000 Baumstämme ausgehöhlt und ineinandergesteckt – auf einer Strecke von 42 Kilometern. 1607 rann die erste Sole ins Sudhaus.

Dem Verlauf der historischen Leitung folgt heute der Soleweg – einer der schönsten Wanderwege Österreichs, der vor Ort auch „Strähn“ genannt wird. Zwar wurde der alte Strang durch eine vergrabene Poloplastleitung ersetzt, doch einige Abschnitte sind erhalten geblieben und sichtbar.

So steht der Wanderweg an der alten Pipeline auch irgendwie für die Ebenseer Bräuche: Manches liegt im Licht, vieles im Verborgenen – der Raum dazwischen ist auf jeden Fall eine Entdeckung wert.

Belinda Fiebiger

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