Orchideen, Teig, Physik: Hinter den Kulissen des Vanillekipferls
Das Geheimnis des Vanillekipferls: Wie das beliebteste Weihnachtskeks wurde, was es heute ist.
Kerzen, Kränze – und: Kipferl. Weihnachtskekse gehören zur Adventszeit, doch viele der heute ikonischen Sorten sind viel jünger, als man denkt. Das gilt auch für das Vanillekipferl. Seine Geschichte erzählt von Luxusgütern und schwierigen Zeiten, von Chemie und Christbäumen, von botanischen Wundern und physikalischen Fakten.
Kult-Spätzünder Ohne Christbaum keine Weihnachtsbäckerei im heutigen Sinn. Zuvor gab es vor allem Lebkuchen, Honigbrote und große Festlaibe. Kleine Mürbteigkekse wie Vanillekipferl entstanden erst im 19. Jahrhundert, als der Christbaum in bürgerlichen Haushalten verbreitet wurde – und damit der Wunsch nach kleinen, haltbaren Gebäckstücken für Baum und Festtafel entstand.
Krisenkipferl Auch in den krisengebeutelten Jahren des 20. Jahrhunderts gab es Weihnachtskekse, allerdings in der Sparvariante. Nachkriegs-Weihnachtsbäckerei bestand aus „Ersatzkeksen“: Kriegs-Kipferl enthielten Margarine und keine Mandeln. Mit dem Aufschwung der Wirtschaft wurde Butter leistbarer, wurden Mandeln und Haselnüsse wieder importiert, Vanillinzucker war sehr günstig. Backen geriet zum Wirtschaftswunder-Ritual.
Warum kein Knopferl? Halbmondbrote, Hörnchen und Kipferlformen sind seit dem Mittelalter belegt – gebogene Gebäckformen sogar schon in der Antike. Der Name selbst taucht in mitteleuropäischen Quellen ab dem 12. bis 14. Jahrhundert als „Kipfen“, „Kipfel“ oder „Kipferl“ auf. Die Form ist nicht nur Tradition, sondern reine Physik: Ein zarter, brüchiger Mürbteig hält eine gebogene Form besser aus als eine gerade. Die Krümmung verteilt Spannung gleichmäßiger, das Gebäck bricht weniger schnell, und der Halbmond wirkt stabilisierend.
Einst Luxusgut Vanille gehörte im 17./18. Jahrhundert zu den teuersten Gewürzen Europas – teurer als viele Edelwaren des Alltags, teils mit Gewürzen wie Safran vergleichbar. Wertvolle Vanilleschoten wurden in Apotheken unter Verschluss aufbewahrt. Ein einziges Kipferl mit echter Bourbon-Vanille hätte damals fast einem kleinen Vermögen entsprochen. Aroma-Revolution Die Synthese von Vanillin im Labor gelang den Chemikern Ferdinand Tiemann und Wilhelm Haarmann, 1874. Sie stellten es aus Coniferin her, einem Bestandteil der Rinde von Nadelbäumen. Damit wurde das Aroma breitentauglich.
Eigentlich eine Blume Echte Vanille ist botanisch eine Orchidee, genauer: Vanilla planifolia. Ursprünglich stammt sie aus Mexiko und Mittelamerika, dort verdankt sie ihre Existenz einer besonderen Bestäuberin: der Melipona-Biene. Diese stachellose Wildbiene ist die einzige, die die Vanilleblüte natürlich bestäuben kann. In allen anderen Anbauregionen – etwa Madagaskar – müssen alle Blüten von Hand bestäubt werden, und das innerhalb weniger Stunden, denn eine Vanilleblüte ist nur einen einzigen Tag geöffnet.
Stimmungsmacher Studien zeigen, dass Vanilleduft die Herzfrequenz senkt, Stress reduziert, das Wohlbefinden erhöht und sogar Angstreaktionen lindert. Frisch geerntete Vanilleschoten duften übrigens fast gar nicht. Ihr typisches Aroma entsteht erst durch ein mehrwöchiges Fermentationsverfahren.
Rezept-Premiere Erste gedruckte Rezepte mit Vanille und Kipferl gab es in den 1880er-Jahren in späteren Ausgaben der „Prato“, diversen bürgerlichen Kochschulbüchern und regionalen österreichisch-böhmischen Rezeptheften.
Teig-Diva Mürbteig ist eine heikle Angelegenheit: Zu langes Kneten erzeugt Wärme, die Butter schmilzt, das Mehl wird feuchter, Gluten entsteht. Statt zart wird das Gebäck dann hart. Deshalb braucht Mürbteig mehr Physik als Gefühl. Auch der Eiskasten-Trick folgt dieser Logik: Kalte Butter macht den Teig stabil, die Kipferl brechen weniger.
Kipferl-Credo Gute Vanillekipferl erkennt man an ihrer hellen Farbe, dem Duft, ihrer bröseligen Zartheit und einer Zutatenliste, die so kurz ist wie ein Gedicht: Butter, Mehl, Zucker, Nüsse, Vanille. Beim Biss gibt das Kipferl kurz nach, bricht dann fein und schmilzt im Mund nach 1–2 Sekunden Es klebt nicht am Gaumen und hinterlässt keinen „Fettfilm“.
Star-Faktor Vanillekipferl zählen zu den beliebtesten Weihnachtskeksen im gesamten deutschsprachigen Raum.
Kommentare