Porträt von Vea Kaiser mit dunklen, gewellten Haaren und einem sanften Lächeln.

Vea Kaisers "Fabelhafte Welt": Eine kleine Weihnachtsgeschichte

Wie die Stallmaus lernte, sich selbst und andere zu beschenken, indem man nicht das tut, was man zunächst tun will

Die Maus beobachtete, wie die Tiere den Stall vorbereiteten, und zürnte. Es hieß, dass in dieser Nacht ein Wunder geschehen würde, größer als alle bisherigen – doch die Tiere gaben sich offenkundig keine Mühe. Die Stallmaus kannte diesen Ort besser als alle anderen zusammen, aber um ihren Rat hatte niemand gefragt.

Und nun war es zu spät, um noch etwas zu retten: Das Stroh war lieblos verstreut, Spinnweben hingen vom Gebälk, das Gemüse für die Gäste war noch erdig und sogar der Tonkrug mit dem Wasser hatte einen Sprung. Der Ochse hatte nicht einmal geduscht, und dem Esel steckte Heu zwischen den Zähnen. Unter ihrer Ägide, da war sie sicher, wäre so etwas niemals passiert.

Empört kletterte die Maus auf einen Querbalken, von dem aus sie alle sehen konnten, und holte Luft, um den Tieren einmal ordentlich die Meinung zu sagen. Es mochte zu spät sein, um etwas zu ändern, aber sie wollte zumindest klarstellen, wie sehr sie versagt hatten und wie schlampig dieser Stall für das große Wunder dastand.

Doch bevor sie ein einziges Wort herausbringen konnte, trafen die erwarteten Fremden ein – und kurz darauf geschah das Weihnachtswunder.

Niemand bemerkte, was nicht perfekt war. Alle freuten sich schlicht darüber, gemeinsam bis hierher gelangt zu sein. Sie waren dankbar, dieses Glück zusammen erleben zu dürfen. Die Maus spürte die Kritik, die ihr noch auf der Zunge brannte – und schluckte sie hinunter. Vielleicht waren Äußerlichkeiten nicht immer das Wichtigste. Vielleicht war es sogar ein Geschenk, nicht auszusprechen, was man bemängeln wollte, sondern den anderen ihre Freude zu lassen. Und ein Geschenk an sich selbst, sich stattdessen mitzufreuen. Frohe Weihnachten!

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