Polly Adlers "Chaos de luxe": Kein Live-Erlebnis beim Sterben
Relaunch des Lebens in Kornblumenblau
Kornblumenblaue Handtücher, Hotel-Weichheitsniveau. 48 Stück zum Preis von 36. Ich klicke. Ein Dopamin-Schwall überflutet mich. Wieder was gespart. Als meine Tochter winzig war, dürstete sie gerne nach Dingen, für deren Erwerb sie erstmal ein Njet bekam. Ihr Verhandlungsargument: "Aber, Mamutschki, süßer Unsinn tut so gut." Und schon war der Hase-Felix-Trolley oder der rosa 101-Dalamatiner-Knirps auf dem Kassentisch.
Ich bräuchte jetzt viel süßen Unsinn, zuviele Gräber besucht. Und jedes Mal muss ich an H. C. Artmann denken, der laut seines Biografen Horowitz vor dem Grab seines Dichterkumpels Konrad Bayer gebrüllt hat: "Kräu’ ause, du Oarschloch!" Dass selbst in der größten Traurigkeit ein Krümelchen Komik vergraben ist, bewies mir auch mein Turn-Diktator. "Meine Mutter ist gestorben.“ – „Mein Beileid. Konntest du sie noch sehen?" – "Ja, bis zum letzten Atemzug. Online. Mein Bro hat auf Facetime geschaltet." Zusatz: "Ich brauch’ beim Sterben kein Live-Erlebnis."
Als Depressionstherapie kondoisiere ich meine Wohnung, frage aber nicht jeden Gegenstand, wie Marie Kondo, die japanische Entrümpelungsbiene, ob er mir Glück gebracht hat. Alle brettharten Handtücher kommen auf den Frottee-Friedhof. Mein Lebens-Relaunch wird jetzt mit 48 kornblumenblauen Handtüchern gestartet. Irgend-wie bin ich der Überzeugung, dass so ein stylisches Abtrocknungs-Regiment meinem Leben wieder Struktur gibt.
Ich sehe mir Wohnzeitschriften an, wo so Start-up-Queens mit Bangs, Size 0 und einem Boho-Gatten in ihrem Ambiente (Scandic-Vintage, Togo-Sofa, Zimmerpalme) einen Mir-macht-niemand-mehr-ein-X-für-ein-U-vor-Blick in die Linse werfen. Meine verstorbene Freundin BB würde jetzt brüllen: "It’s so not you!"
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