Vea Kaiser.

Vea Kaisers "Fabelhafte Welt": Unterwegs im Namen der Kunst

Über die Hintergründe einer masochistischen Liebe zu überfüllten Zügen und Sprints über Bahnhöfe

Seit Oktober bin ich auf Lesereise. Dieser Satz ist ein Beispiel dafür, dass Zustände oft glamouröser klingen, als sie sind. Drei bis vier Tage pro Woche reist man von einer Literaturbühne zur nächsten und weiß selten, was einen erwartet. Manchmal ist man in noblen Hotels mit Wellnessbereich einquartiert, manchmal sind die Herbergsmöglichkeiten einer Stadt eingeschränkt – und meist verhält es sich so, dass die, die vor Ort gebucht haben, selbst noch nie dort genächtigt haben.

Absichtlich verfrachtet einen niemand in dunkle Einbettzimmer, deren Teppichböden von jenen Zeiten künden, in denen überall geraucht wurde, aber: Überraschungen gehören zum Lesereiseerlebnis dazu. Auch: Über Bahnhöfe sprinten. Von jungen Männern angerempelt zu werden, die sich beim Einsteigen vordrängen, denn die Zeit der glorreichen Ritter, die Hilfe mit dem Gepäck anbieten, ist vorbei.

Feminismus ist super, aber hier hat er sich ins Knie geschossen – bzw. Muskelfaserrisse abonniert. Und oft: Hunger haben, weil man keine Zeit hatte, Proviant zu besorgen, und der Zug keinen Speisewagen führt. Der katastrophale Zustand der Deutschen Bahn, auf die ich häufig angewiesen bin, ist bekannt. Ich erspare uns den Schlachtgesang von überfüllten Zügen, defekten Klimaanlagen/Heizungen/Toiletten, spontan abgesagten Fahrten oder fahrplanmäßigen Halten, an denen nicht gehalten wird.

Über Verspätungen schweigen wir lieber und fassen zusammen: Es heißt, für die Kunst müsse man leiden. Lesereisen sind der Beweis dafür, dass Leid dazugehört, um die Kunst ins Land zu bringen – ehe man abends auf der Bühne belohnt wird und morgens die Jagd nach dem nächsten Anschlusszug von vorn beginnt.

Und ich weiß nicht, was das über mich aussagt, aber: Ich liebe das!

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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