Taylor Siwft auf der Bühne. Sie macht eine Stärke-Pose und hat einen Body mit viel Strasssteinen an.

"So etwas wie Taylor Swift gab es noch nie"

Taylor Swift hat ein neues Album. Eine Biografie über sie gibt es auch. Autor Rob Sheffield über ihre Songs, versteckte Hinweise und ihre Art, Geschichten zu erzählen.

Bob Dylan und die Beatles waren seine größten Helden – bis zu einem denkwürdigen Sommertag 2007 in New York. Dann kam Taylor Swift. Rob Sheffield steht in der Küche, bastelt sich gerade einen gegrillten Käsetoast, im Hintergrund läuft Clueless im Fernsehen. 

Dann passiert etwas, das sein Leben als Musikkritiker auf den Kopf stellt: Zwischen zwei Folgen dröhnt ein Countrysong aus den Lautsprechern – „Our Song“ von einer damals noch kaum bekannten Taylor Swift. Eine junge Frau singt darüber, dass sie gerade ihren Lieblingssong schreibt. Spielerisch bis ins Übermütige.

Sheffield ist sofort elektrisiert. Der langjährige Musikjournalist vom Rolling Stone googelt den Namen. „Ich war schockiert, die Sängerin war Jahrgang 1989, also ein Teenager. Das gab es im Country so nicht. Ich hoffte, sie hätte noch ein, zwei gute Songs – und dann hatte sie Hunderte“, sagt er im Gespräch mit der KURIER freizeit. Gerade ist sein Buch „Heartbreak is the National Anthem: Wie Taylor Swift die Popmusik neu erfand“ beim Penguin-Verlag auf Deutsch erschienen – die erste musikalische Biografie über Swift.

Das sind Taylor Swifts wahre Qualitäten

Sheffield beschreibt ihre musikalischen und kulturellen Einflüsse und liefert Infos, die selbst die größten Swifties noch überraschen könnten. Timing de luxe: pünktlich zur Veröffentlichung von The Life of a Showgirl.

Buchcover von "Heartbreak is the National Anthem" - darauf ist Taylor Swift zu sehen, wie sie im Glitzer-Body auf der Bühne steht.

Das Buchcover zu Rob Sheffields Buch "Heartbreak is the National Anthem".

©Penguin Verlag

Während die meisten bei Swift an kreischende Fans, XXL-Tourneen oder die Galerie ihrer Ex-Freunde oder an ihren American-Football-Verlobten denken, hörte Sheffield von Anfang an genauer hin – und stand damit ziemlich allein in seiner Kritiker-Bubble. „Lange Zeit gab es dieses seltsame Stigma, über sie als Musikerin zu sprechen. Die Medien konzentrierten sich auf ihr Liebesleben, auf Klatsch. Das interessierte mich nicht. Ich war an ihr als Songwriterin interessiert.“

 „Seit 19 Jahren versuche ich ihre nächsten Schritte vorauszusagen – und liege jedes Mal falsch.“ 
 

Rob Sheffield Rob Sheffield, Autor von „Heartbreak Is the National Anthem“

Schon als Teenager habe sie erstaunliche Handwerkskunst gezeigt – und von den Besten gelernt. „Sie hatte die Beatles, Motown, Carole King, Springsteen studiert.“ Wenn Sheffield damals anderen Erwachsenen erzählte: „Sie ist brillant, eine der kreativsten Kräfte im Pop gerade jetzt“, erntete er oft nur Kopfschütteln.

Egal. Der Musikkritiker ging trotzdem auf Konzerte – ein 1,90-Meter-Mann, der sich im Sitzen noch klein machte, damit die Kinder hinter ihm freie Sicht auf ihre Heldin hatten.

Das findet Rob Sheffield bei Swift verrückt

„So etwas wie Taylor Swift gab’s noch nie“, schreibt er gleich im ersten Kapitel. Und das sagt einer, der schon Bücher über die Beatles und David Bowie veröffentlicht hat. Aber Swift? „Der Unterschied ist, dass ihre Geschichte noch nicht abgeschlossen ist“, sagt Sheffield.

 „Über die Beatles habe ich geschrieben, da waren sie schon seit 50 Jahren getrennt. Über David Bowie schrieb ich unmittelbar nach seinem Tod. Bei Taylor Swift war es völlig verrückt: Während ich das Buch schrieb, hat sie ununterbrochen riesige, unvorhersehbare Dinge gemacht.“

46-218864193

Rob Sheffield ist Musikjournalist und erklärter Swiftie.

©Marisa Bettencourt

Zwei Alben dazwischen, die gigantische Eras-Tour – Sheffield kam kaum hinterher. „Sie ist seit 19 Jahren an der Spitze der Popwelt – ohne Anzeichen, langsamer zu werden. Die Beatles hielten zehn Jahre, Taylor Swift fügt Jahr für Jahr neue Triumphe hinzu.“

Sie ist unberechenbar

Und doch: Ganz so weit weg von den Beatles oder Bowie ist Swift nicht. Auch sie hätten mit der Tonart von Help! oder Ziggy Stardust locker ewig gutes Geld verdienen können – doch beide warfen ihre Erfolgsformeln gleich wieder über Bord. So auch Swift: „Sie hätte nach Red einfach immer wieder solche Platten machen können – das hätte gereicht. Stattdessen kam etwas völlig anderes“, sagt Sheffield. Swift ist experimentierfreudig, unberechenbar. „Seit 19 Jahren versuche ich ihre nächsten Schritte vorauszusagen – und liege jedes Mal falsch.“

Kritiker und Fan zugleich zu sein empfindet er nicht als Widerspruch. „Ich habe mein ganzes Leben über schlechte Alben meiner Helden geschrieben – Dylan, Prince und so weiter. Man muss ehrlich sein. Selbst wenn man sie verehrt, kann man nicht so tun, als sei ein schlechtes Album gut. Manchmal versagen Helden, manchmal sind Alben uninspiriert – und das ist in Ordnung.“

Bad Blood mag der Kritiker nicht

Der Song, den er am wenigsten mag, ist der bei vielen Fans beliebte Bad Blood: zu wenig Melodie, kein typischer Swift-Refrain. „Für mich ist Teil des Fan-Seins, dass sie mich ständig auf dem falschen Fuß erwischt.“

Und auf diesem falschen Fuß stehen bei Swift oft Männer. Joe Jonas zum Beispiel, ihr Teenagerfreund: Aus der kurzen Liaison entstand ein musikalisches Pingpong mit den Jonas Brothers, kleine Sticheleien, raffinierte Repliken. „Sehr clever“, sagt Sheffield. Swift hat daraus längst ein Markenzeichen gemacht: Sie verwandelt ihr Liebesleben in Songmaterial, in Codes und Anspielungen, die ihre Fans wie Detektive entschlüsseln.

Die Sache mit den Ex-Freunden

„Ja, ich verpasse einiges, wenn ich ihr Privatleben nicht verfolge“, gibt Sheffield zu. „Aber meistens erfahre ich es ohnehin aus den Songs.“ So auch bei Matty Healy von The 1975, den sie auf dem Album The Tortured Poets Department besang. „Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass sie ihn datete. Aber sie baut eben gerne diese Anspielungen ein.“ Und sie macht daraus Popgeschichte.

Eine besondere Geschichte schrieb sie in All Too Well, Sheffields Lieblingssong: „Für mich ist es ihr Höhepunkt in Songwriting, Storytelling, Gesang. Es beginnt mit einem Schal, den sie bei der Schwester ihres Freundes vergisst. Daraus entwickelt sich die ganze Beziehungsgeschichte, ihre persönliche Geschichte. Die 10-Minuten-Version zeigt sie als Erwachsene, die zurückblickt, und macht daraus eine musikalische Autobiografie“, erklärt der Musikexperte. 

Das Besondere daran: „Wir hören darin unsere eigenen Geschichten, selbst wenn wir diese Trennung nie erlebt haben. Sie schreibt persönliche, exzentrische, seltsame Songs, die Millionen als ihre eigene Autobiografie empfinden.“

Manchmal denkt man, das muss ja ermüdend sein. Sie muss sich wünschen, sie hätte nie mit den Easter Eggs angefangen, und trotzdem spielt sie weiter. Sie liebt es offensichtlich

Rob Sheffield Musikjournalist

Und Swift treibt ihre Fans fast in den Wahnsinn, immer auf der Suche nach den neuen versteckten Ostereiern. „Es ist verrückt. Manchmal denkt man, das muss ja ermüdend sein. Sie muss sich wünschen, sie hätte damit nie angefangen, und trotzdem spielt sie weiter. Sie liebt es offensichtlich“, sagt Sheffield.

Schon mit 16, als ihr Debütalbum erschien, verriet sie in einem Radiointerview, dass die Großbuchstaben in ihren Texten geheime Botschaften enthalten. Die Beatles hatten ihr das Vorbild geliefert – kleine versteckte Nachrichten, Rückwärts-Songs. Swift ging weiter: Hinweise in Songs, Videos, auf Albumcovern, an Outfits bei Preisverleihungen. Jeder Winkel ihres Werks wird zur Schatztruhe für Fans, die sich wie Detektive auf Spurensuche begeben. Das schafft im Pop-Business niemand so wie sie. Die Beziehung zu ihren Fans ist besonders.

Sheffield beschreibt sie als „nett, großzügig, witzig – man sieht es auch in ihren Songs. Sie ist wie berühmte nette Menschen, Paul McCartney, Bruce Springsteen.“ Sie merke sich Namen, sei sehr engagiert bei den Fans und habe eine Ausdauer für Meet-and-Greets, die weit über die der meisten Stars hinausging – lange bevor das üblich war. „Sie zieht Energie daraus, ist nicht erschöpft. Sie ist anders verdrahtet.“

Die abgesagten Wien-Konzerte

Doch viele Fans waren nach der Absage ihrer Wien-Konzerte wegen eines geplanten Terroranschlags enttäuscht. Viele reisten aus den USA an, für manche war es der erste Trip aus den Staaten. Swift äußerte sich lange nicht – und dann nur vage.

Wie passt das zusammen mit ihrer Fanliebe? „Ich denke, es lag teilweise daran, dass es gefährlich war. Sie wollte die Situation vielleicht nicht verschärfen“, sagt Sheffield. „Was mich beeindruckte: Viele Fans kamen trotzdem – meine Schwestern waren dabei – und sie feierten zusammen auf den Straßen. Das war für mich eine wunderschöne Hommage daran, wie sie Menschen zusammenbringt.“

Swifts musikalische Biografie

Rob Sheffield:
Heartbreak is the National Anthem - Wie Taylor Swift die Popmusik neu erfand
Übersetzung: Felix Grünspan und Ska Radczinski
224 Seiten. Paperback
18,50 Euro
Penguin TB  

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember 2020 über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

Kommentare