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New Adult Romane: Von TikTok in den Literatur-Tempel

Die Frankfurter Buchmesse entdeckt, was Millionen Leser längst feiern Und adelt ein Genre, das Kritiker immer noch als Kitsch belächeln

Über 200.000 Besucher, 180.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, 4.000 Aussteller – die Frankfurter Buchmesse ist die größte Literaturveranstaltung der Welt, ein globales Schaufenster der Superlative: für Medien, Verlage, Autoren und Leser. Und zwar seit langem. Schon im 15. Jahrhundert trafen sich Buchhändler aus ganz Europa jährlich in Frankfurt, nach kriegsbedingter Unterbrechung findet sie seit 1949 wieder statt. 

Aber wenn am kommenden Mittwoch die Tore geöffnet werden, wird es in Halle 1.2 zu Szenen kommen, die auch die langjährigsten Mitarbeiter so nicht gesehen haben...

Denn dort wird es ein Gedränge geben wie auf einem K-Pop-Konzert. Junge Menschen mit selbstgemalten Bannern im Publikum, Warteschlangen für Selfies, schrille Jubelschreie, sobald es auf der Bühne losgeht.  

Nur: Dort oben stehen  keine Popstars,  sondern Schriftstellerinnen. Mona Kasten, Mercedes Ron, Bianca Iosivoni oder Ava Reed ziehen mehr Publikum an als jeder Literaturnobelpreisträger. Diese Damen  haben Fangemeinden, die jede Lesung in ein Happening verwandeln.

Ist das Literatur?

Was ist das überhaupt, New Adult und Romantasy?  Geschichten über Menschen Anfang bis Mitte 20, die erstmals Freiheit, Liebe, Freundschaft und Schmerz in voller Intensität erleben. 

Und: Magische Welten, düstere Könige, verbotene Lieben, starke Heldinnen mit Geheimnissen im Fall der Romantasy, deren Name bezeichnend aus Romantik und Fantasy zusammengesetzt wurde. 

'It Ends With Us' premieres in New York City

Die Texanerin Colleen Hoover ist eine der meistgelesenen Autorinnen der Gegenwart. Ihre Romane "It Ends With Us" und "All das Ungesagte zwischen uns" wurden erfolgreich verfilmt.

©REUTERS/Caitlin Ochs

Warum diese Kiste dermaßen brummt, wird meist auf Social-Media-Plattformen zurückgeführt. 
Das Phänomen explodierte, als TikTok unter dem Hashtag #BookTok eine riesige Subkultur hervorbrachte. Junge Menschen filmten sich beim Weinen über ein Ende, stellten Stapel ihrer Lieblingsbände ins Regal, inszenierten „Cosplay-Szenen“ aus Romanen. 

In kürzester Zeit katapultierten diese Clips Autorinnen wie Colleen Hoover (It Ends With Us) oder Sarah J. Maas (A Court of Thorns and Roses, Crescent City) in ungeahnte Höhen. Dabei ist es völlig egal, dass Feuilleton und akademische Literaturkritik naserümpfend abwinken und das Genre als zu simpel, zu gefühlsduselig, zu repetitiv abwinken. 

Denn die Realität ist: Millionen lesen (siehe Infobox „Zahlen, bitte!“) und tun es mit einer Leidenschaft, die selbst Harry-Potter-Zeiten übertrifft.

Die ehrwürdige Frankfurter Buchmesse hat nun auf Leidenschaft und Zahlen reagiert und bietet dem Genre eine große Bühne. Zu Recht, weil man Millionen Menschen nicht einfach ignorieren kann? Ist das Genre ein wunderbares  „literarisches Eingangstor“, weil es Leute tatsächlich zum Lesen bringt – oder verwässert der seichte Schmarren unseren Begriff von Literatur endgültig?

"Zahlen, bitte!"

72.387 Bücher ...
werden in Österreich und Deutschland jährlich neu veröffentlicht.

75 Millionen ...
und noch ein paar Zerquetschte. Das sind die Verkaufszahlen von Sarah J. Maas.

40 Prozent ...
ist der Anteil von Romantasy/Young Adult-Büchern am Jugendbuch-Markt.

14,3 Millionen ...
Bücher verkaufte Colleen Hoover allein im Jahr 2023. Das machte die Texanerin zur meistverkauften Autorin der USA.

2,5 Millionen ...
Bücher verkaufte die Hamburgerin Mona Kasten allein im deutschsprachigen Raum. Und: Seit ihre Romanreihe „Save“ als „Maxton Hall“ verfilmt  wurde, ist sie ein Superstar der Szene.  

Marcel Reich-Ranicki kann man zu diesem Thema leider nicht mehr befragen, wobei abzusehen ist, was er dazu äußern würde. Sein schnarrendes „Natürrrlich ist das keine Literrraturrr" kann man beinahe hören. 

Die Literaturwissenschaft selbst sieht das hingegen gar nicht sooo streng. Während die deutsche Expertin Veronika Kracher  zwar auf den problematischen  Aspekt der Romantisierung latent missbräuchlicher Beziehungen hinweist, die in diesen Büchern gerne vorkommen, sieht Emily S. Davis von der University Delaware in Romantik und  Romantasy nicht einfach triviale Popliteratur, sondern eine  „aktive Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen wie  Globalisierung und Identität“. 

Die Grazer Mediävistin Isabella Managò verweist zudem auf die Tatsache, dass romantische Motive essenzielle Bausteine der Literatur schon seit den Minnegesängen sind. 

„Gefährliche“ Gefühle

Und tatsächlich ist es so, dass dem Genre eigentlich etwas unterstellt wird, das in früheren Jahrhunderten für praktisch alle Romane galt: Sie seien sinnlose Schwärmerei und man verplempere seine Zeit mit ihnen, wenn man sie liest, statt Geschichte, Philosophie oder Naturwissenschaften zu studieren. 

Genau in dieser Hinsicht wurde auch Goethes Werther – der hier auf keinen Fall mit irgendeinem zeitgenössischen Werk verglichen werden soll! – kritisiert. 

Frankfurt Book Fair 2013 - Sarah J. Maas

Die 39-jährige New Yorkerin Sarah J. Maas ist die "Queen of Romantasy"

©Frank May / dpa Picture Alliance / picturedesk.com

Etwa vom Schweizer Philosophen Johann Caspar Lavater, der, wie viele seiner Zeitgenossen, vor allem junge Menschen und Frauen durch Romane gefährdet sah. Romane seien eine „Gefahr für die weibliche Vernunft“, hieß es damals. 

Vom englischen Essayisten und Schuldirektor Vicesimus Knox zum Beispiel, der in seinem damals viel gelesenen Werk The Pleasures of the Female Sex (1796) darauf hinwies, dass Frauen ohnehin emotionaler und anfälliger für Fantasien seien.  Und der Roman das noch befeuere. „Moderne Fiktionen neigen dazu, dem Geist eine Schwäche zu verleihen, die ihn unfähig macht, dem geringsten Impuls libidinöser Leidenschaft zu widerstehen“, warnte der gute Mann damals. 

Vergebens, zum Glück. Denn während Herrn Knox’ Buch in Vergessenheit geriet, überlebten viele der Romane, die er gerne verhindert hätte, bis heute. 

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Die Spanierin Mercedes Ron regiert mit ihrer „Culpa“-Reihe im Young Adult-Bereich 

©Mercedes Ron

Ob die Romane von Colleen Hoover, Ana Huang (Twisted Love) & Co. ebenfalls die Jahrhunderte überdauern werden,  sei dahingestellt. Aber es sind    weibliche Klassiker, an denen sich heutige Autorinnen orientieren: Jane Austen (Sinn und Sinnlichkeit) etwa oder Emily Brontë (Wuthering Heights). 

Frauen dominieren

Wie vor 250 Jahren Romane sind es heute auch hauptsächlich Frauen, die Romantasy und Young Adult lesen. Anders als damals sind es  auch beinahe ausschließlich Frauen, die sie schreiben. „Es ist wohl kein Geheimnis, dass die aktuell populäre Fantasy sehr weiblich geprägt ist, sowohl in der Zielgruppe als auch durch Autorinnen und  Themen –  und die Protagonistinnen“, sagt etwa Julia Kniep vom dtv Verlag

Und das wiederum „hat einen großen Einfluss darauf, wonach Verlage suchen“, erklärt die US-Agentin Caroline Hardman, wie der Markt eben funktioniert.  Während  Schriftstellerin Marjorie M. Liu, selbst als Romantasy-Autorin aktiv, die Bedeutung für Leserinnen auf den Punkt bringt: „Romane aus dem Romantik-Genre erzählen größtenteils von Frauen, die für sich selbst Raum finden und einnehmen. Und es geht nicht nur darum, Raum einzunehmen, sondern auch den Mut zu haben, Glück zu finden.“

Empowerment also,  auch in der Halle 1.2 auf der Frankfurter Buchmesse. 

Ava Reed, deutsche Schriftstellerin, Jugend-Fantasyliteratur

Ava Reed, eigentlich Sabrina Scherer, veröffentlichte ihr erstes Buch vor zehn Jahren im Selbstverlag. Heute wird sie bei Lesungen und Meet-and-Greets gefeiert wie ein Popstar

©Gaby Gerster

Es könnte  ein wichtiger Schritt der Organisatoren gewesen sein, sich dem zu öffnen. „Roman = weiblich“ und „Sachtext/Wissenschaft = männlich“ – so lauteten die ursprünglichen Gleichungen. Während die Klassiker inzwischen gerne von Männern beansprucht werden,  gelten die nun weiblich dominierten   Romantasy und  New Adult  als „Trivialliteratur“.  

Das alte Misstrauen gegenüber Frauen und Romanen lebt gewissermaßen in der Herablassung gegenüber Romantasy fort.

Mona Kasten

Die Frau hinter der internationalen Erfolgsserie "Maxton Hall": Mona Kasten aus Hamburg steht seit gut sieben Jahren regelmäßig an der Spitze der Bestsellerlisten

©mauritius images / Alamy Stock Photos / Matthias Wehnert/Alamy Stock Photos/Matthias Wehnert/mauritius images

Vielleicht ist die eigentliche Frage also  nicht: „Eingangstor zur Literatur oder Verdummung?“ Sondern: Was sagt es denn über unsere Zeit, dass Fantasie und Gefühl den Ton angeben?

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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