Wie Gablonz ab den 1920ern den Christbaumschmuck revolutionierte
Auch Alltagsgegenstände machen sich gut am Christbaum. Das Wiener MAK zeigt mit „Fahrrad & Hummer“ Schmuck aus dem böhmischen Gablonz. Der war kreativ und überraschend.
Kein Christkinderl, das sich auf dem Christbaum niederlässt, und keine pausbackigen Engerl, die in ihre Trompete blasen. Auf Lametta wird gleich ganz verzichtet. Stattdessen schweben Fallschirmspringer durch die Luft, Spinnen seilen sich ab, und ein Ruderer dreht gemächlich seine Runden.
Alles aus Glasperlen und Draht, fein verarbeitet. Auch das ist Christbaumschmuck, nur halt ein bisschen anders und aus Gablonz: Alltagsgegenstände statt Weihnachtsklassiker.
In der Ausstellung „Fahrrad & Hummer“ sind gerade mehr als 800 Miniaturen im Wiener MAK zu sehen, die zwischen 1920 und 1980 entstanden.
Figuren aus einzelnen Perlen zusammengebunden. So sah Weihnachtsschmuck aus Gablonz aus.
©mak/christian mendez„Man muss ganz genau schauen, um die Qualität des Christbaumschmucks zu erkennen“, sagt MAK-Kuratorin Kathrin Pokorny-Nagel. „Der Ausgangspunkt ist die kleine Glasperle.“
So wurde Gablonz zur Hochburg für Christbaumschmuck
Die Geschichte des ungewöhnlichen Schmucks beginnt in Nordböhmen rund um Gablonz, das heutige Jablonec nad Nisou: Dort und im gesamten Umland spezialisierte man sich jahrhundertelang auf die Herstellung von kleinen Glasperlen für Bijouterie, also für Ketten oder Armreifen.
Wie gut die Geschäfte liefen, zeigt ein Beispiel: „Eines der größten Handelsschiffe der K.-u.-k.-Monarchie trug den Namen Gablonz.“ Tonnen von Rohmaterial wurden in die ganze Welt verschifft, besonders nach Indien und Afrika. „Das Material für afrikanischen Perlenschmuck um 1900 stammte oft aus der Gablonzer Region“, erklärt Pokorny-Nagel.
Doch dann entdeckte Japan das Perlengeschäft für sich, zwar nicht in der Qualität der böhmischen Ware, aber deutlich billiger. Die Konkurrenz traf Gablonz mit voller Wucht: Die Produzenten blieben auf ihren Perlen sitzen. In dieser Zeit hielt auch der festlich geschmückte Christbaum Einzug in die bürgerlichen Haushalte.
Und statt mit Äpfeln und Nüssen behängte man ihn mit glänzendem Schmuck und Glaskugeln. Man begann, ihn regelrecht herauszuputzen. In Gablonz erkannte man die Chance: „Man sagte, wir haben das Material, wir wissen, wie man die Glasperlen verarbeitet und mit Draht auffädelt. Warum also nicht daraus Christbaumschmuck machen?“
Und weil die Gablonzer viel Übung und Erfahrung mit Produktionsketten und Handelsketten hatten, entstanden in kürzester Zeit Musterbücher und Serien.
Darum war der Hummer beliebt
Ein besonders großer Markt waren die USA. Kaufhauskönig Frank Winfield Woolworth pflegte enge Kontakte in die Region, reiste sogar selbst nach Gablonz. „Ich erkläre mir damit auch die erstaunliche Verbreitung des Hummer-Motivs“, sagt die Ausstellungskuratorin. „In Amerika isst man zu Weihnachten gerne Hummer, und offenbar hängen die Menschen ihn sich auch gern an den Baum.“
Ob Ruderer, Flugzeuge, Autos oder eben Fahrrad oder Hummer: Beim Christbaumschmuck aus dem böhmischen Gablonz und Umgebung gab es wenig, das es nicht gab.
©mak/christian mendezEs entstanden unterschiedliche Perlengrößen, neue Muster, fein ausgearbeitete Tafeln. „Man darf nicht glauben, das sei alles improvisierte Heimarbeit gewesen. Die Exporteure wussten sehr genau, was sich verkaufen ließ.“
Wenige Muster erhalten
Heute ist von diesen Mustern nur noch wenig übrig. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele der Betriebe in Gablonz und Umgebung aufgelöst, die Menschen vertrieben. Einige siedelten sich in der Steiermark oder im oberösterreichischen Enns an. „Ihre Archive und Musterbestände gingen weitgehend verloren. Heute existieren nur noch sechs originale Mustertafeln, von denen wir wissen, wer sie entworfen hat.“ Daher wisse man auch nicht mehr, aus welcher Werkstatt oder welchem Jahr die meisten Stücke stammen.
Nachdem die Betriebe nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden, blieben wenig Muster übrig.
©MAK - Museum für angewandte KunstAuffällig häufig tauchten Tiere auf, besonders Spinnen. Das Motiv hat seinen Ursprung vermutlich in einem ukrainischen Volksmärchen. Darin ist eine Familie zu arm für Christbaumschmuck, die Kinder schlafen traurig ein, und nachts weben die Spinnen des Hauses ein kunstvolles Netz um den Baum. Im Morgenlicht schimmert es wie Gold und Silber. „Von diesem Tag an soll es der Familie nie mehr an etwas gefehlt haben. Und die Spinne wurde zum Glücksbringer.“
Viele Emotionen zur Weihnachtszeit
Auch ganz oft zu finden: Flugzeuge, Fallschirmspringer, Zeppeline und Motorräder. Es waren Miniaturen einer Welt, die in Bewegung geraten und mit vielen Emotionen verbunden war. „Das Fahrrad zum Beispiel war wohl oft Ausdruck eines Wunsches. Man träumte davon oder erinnerte sich an schöne Ausflüge.“ Große Hohlformen – klassische Kugeln oder opulente Spitzen – waren dagegen eher selten in Gablonz. Doch Ausnahmen gab es.
Geleistet hat sich diesen Schmuck vor allem das gehobene Bürgertum. „Das war nichts, was einfach jede Familie kaufen konnte, die Stücke hatten ihren Preis“, sagt Pokorny-Nagel. Schon die Herstellung der Perlen war aufwendig. Jede Größe brauchte eine eigene Gussform.
Ermöglicht wird die Schau in Wien durch Waltraud Neuwirth. Die Kunsthistorikerin und frühere Kustodin der MAK-Sammlung für Glas und Keramik hat seit den 1990er-Jahren rund 3.000 Stücke des filigranen Weihnachtsschmucks zusammengetragen. Nun vermacht sie dem Museum am Ring ihre Sammlung.
TIPP: Die Ausstellung „Fahrrad & Hummer. Funkelnder Baumschmuck aus Gablonz “ ist noch bis 1. Jänner 2026 im Wiener MAK zu sehen. Neben Führungen gibt es Workshops mit glitzernden Baukästen für individuelle Baumschmuckkreationen. mak.at
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