Marilyn, ganz privat: Neue Bilder, Briefe, Einblicke
Keiner war so nah an Marilyn Monroe wie Sam Shaw, Fotograf und enger Freund. Jetzt wurden seine Schubladen voller Briefe und Bilder geöffnet.
Zart, natürlich, nahbar. Eine Frau in alltäglichen Situationen. Eine Frau, in die man sich auf den ersten Blick verlieben könnte.
Man glaubt ja kaum, dass nach mehr als sechs Jahrzehnten der Marilyn-Manie noch eine „andere“ Ms. Monroe zu entdecken sein könnte. Eine, die man so bisher noch nicht kannte. Und doch ist sie da, eingefangen, verewigt von Sam Shaw, dem Fotografen und Freund, der zwischen den späten 1940ern und den frühen 60ern praktisch ständig an ihrer Seite war. Backstage an Filmsets, bei offiziellen Anlässen, in privaten Momenten.
Sam Shaw kannte Marilyn so gut wie nur wenige. Er war ein Freund, kein Paparazzo. Einer, der die Kamera nicht zwischen sich und die Frau hielt, sondern in ihr Leben hinein. „Meine Fotos von Marilyn entstanden in glücklichen, freien Momenten ihres Lebens … bei der Arbeit, ohne Arbeit, verliebt, entliebt“, schreibt Shaw.
Und man glaubt ihm jedes Wort, weil man es sieht: Marilyn mit hochgestecktem Haar, lachend am Set. Marilyn im Wind, der das berühmte weiße Kleid hebt. Marilyn, die das Gesicht in den Händen verbirgt – nicht als Pose, sondern als Schutzreflex.
Marilyn an ihrem gemeinsamen Wohnsitz mit Arthur Miller in Roxbury, Connecticut (1957)
©IMAGO/Depositphotos/Copyright: xozinax via imago-imagesMarilyn wurde 1926 als Norma Jeane Baker geboren – ein Name wie eine Nebenrolle. Ihre Mutter war psychisch krank, ihr Vater nicht präsent, die Kindheit ein Flickwerk aus Pflegefamilien, Waisenhaus und unzuverlässigen Erwachsenen.
„Ich hatte nie jemanden, der mir sagte: So macht man das im Leben“, erklärte sie später einmal. Struktur, Verlässlichkeit, Geborgenheit? Fehlanzeige. Und vielleicht genau deshalb war sie so hungrig nach Anerkennung – und gleichzeitig so misstrauisch gegenüber jeder Form von Nähe...
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Als Shaw sie kennenlernte, war sie gerade Anfang zwanzig – und tatsächlich die Freundin von Elia Kazan, dem mächtigen Regisseur, 17 Jahre älter als die gerade 22-Jährige. Es war ein seltsam dysfunktionales Dreieck: Marilyn suchte in Kazan einen Mentor, Kazan sah in ihr eine verletzliche Schauspielerin mit glühendem Ehrgeiz.
Und Shaw? Shaw fotografierte sie, ohne etwas zu verlangen – vielleicht war das sein Vorteil.
Marilyn Monroe
©Shaw Family ArchivesDie Welt wollte die „dumme Blonde“, die erotische Witzfigur, die ihren Hüftschwung wie eine Signatur trug. Was sie bekam, war eine Frau, die nachts Arthur Miller las und ihre eigenen Gedichte schrieb. Sie verehrte ihn – lange bevor sie ihm begegnete – und er war beeindruckt, als sie sich schließich in Paris trafen.
„Sie kannte meine Bücher wirklich“, sagte Miller später, beinahe überrascht. Dieses intellektuelle Dasein wurde Marilyn selten zugestanden. Sie war fleißig, ernsthaft, lernbesessen: eine Studentin des Theaters, des Films, des Lebens – wie Shaw es beschreibt.
Sie suchte Lehrer wie andere Menschen Liebhaber suchen: Konstantin Stanislavski, Michael Chekhov, später die Actors Studio-Legenden Paula und Lee Strasberg, bei denen sie fast schon adoptiv aufgenommen wurde. Der Preis: Je mehr sie lernte, desto enger wurde das Korsett der Erwartung von außen.
Die Göttin und der Gott
Die Ehe mit Baseball-Gott Joe DiMaggio ist bis heute ein eigenes Popkultur-Genre: Sport-Ikone trifft Film-Ikone. Was kann da schon schiefgehen? Antwort: alles.
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Das ikonische Foto über dem U-Bahnschacht hat Sam Shaw nicht nur geschossen, er hat es inszeniert. Angeblich hatte Marilyn großen Spaß am Set
©Shaw Family ArchivesDiMaggio liebte Marilyn leidenschaftlich, aber er hasste ihr Image. Der berühmte Moment, als der Wind aus dem U-Bahn-Schacht Marilyns Kleid hebt? Sie lacht – er kocht. Und zwar nicht vor Erotik. Er wollte eine „richtige“ Ehefrau; Marilyn wollte die Welt.
Nach neun Monaten war die Ehe vorbei, aber paradoxerweise wurden sie einander nie ganz los. Freunde berichten, dass sie später, in schlechten Momenten, immer wieder zueinanderfanden – allerdings nicht als Paar, sondern als Menschen, die wussten, wie tief der andere verletzt war.
Ganz privat: Marilyn Monroe beim Telefonieren
©Shaw Family ArchivesDiMaggio ließ ihr bis zu seinem eigenen Tod Rosen auf das Grab bringen.
Es ist die Art von tragischer Romanze, die Hollywood niemals überzeugend verfilmen könnte, weil die Realität kitschiger, brutaler und wirklicher ist.
„Sie wurde vom legendärsten Sportler aller Zeiten und vom größten Dramatiker unserer Zeit begehrt – doch der Fabrikarbeiter am Fließband war immer auch Teil von ihr. Auf ihrem Weg zum Star und internationalen Ruhm ging das Fabrikmädchen nie verloren“, schreibt Shaw treffend über die Faszination, die „MM“ auf Männer ausübte.
Dear Marilyn zeigt jene Mischung aus Nähe und Distanz, die nur ein Freund im richtigen Abstand einzufangen vermag. Shaw war kein Voyeur, sondern ein Zeuge. Seine Fotos erzählen nichts von der Monroe, die Filmplakate bevölkert, sondern von einer Frau, die sich ihren Weg erkämpfte, die lachte, wenn sie nervös war, und strahlte, wenn sie für einen Moment vergaß, dass jemand zusah.
Marilyn beim Lesen. Marilyn mit Sommersprossen, die nie jemand sehen sollte. Marilyn, die gerade nicht perfekt ist – und gerade deshalb fesselnd.
Marilyn Monroe mit ihrem Ehemann Arthur Miller in New York
©Shaw Family ArchivesPrivate Einblicke
Shaw zeigt sie in Momenten, die heute fast unmodern wirken: unironisch, uninszeniert, intim ohne Sex, berührend ohne Drama. Man begreift plötzlich, warum so viele Menschen so viel in diese Frau projiziert haben. Und warum sie daran zerbrechen musste.
Einige Briefe, die der Fotograf ihr im Lauf der Jahre schrieb und die im Buch abgedruckt sind, geben einen zusätzlichen, höchst privaten Einblick in das Leben einer Frau, die die Welt nur als Sexsymbol, als Ikone kannte. Und lassen den Leser auch die, letztlich tragische, Entwicklung Marilyns nachvollziehen.
Dieses Foto entstand während eines Ausflugs gemeinsam mit Marilyns Ehemann Arthur Miller in Roxbury, Connecticut (1957)
©Shaw Family ArchivesWenn Shaw den jungen Star 1954 ganz väterlich davor warnt, zu viele Fotos von unseriösen Fotografen von sich machen zu lassen, weil mit ihren Bildern „pornografische Spielchen“ getrieben werden. Wie er auf ihre Leidenschaft für zeitgenössische Kunst eingeht, ihr Tipps gibt, welche Ausstellungen gerade interessant wären oder ihr von einem japanischen Film vorschwärmt, den er gerade gesehen hat.
Denn auch wenn Marilyn selbst nicht zu Wort kommt, sagen diese an sie gerichteten Worte doch einiges über sie aus.
Ausflug mit Arthur Miller an den Strand. Sam Shaw war mit der Kamera dabei
©Shaw Family ArchivesIm letzten Brief, den Shaw ein Jahr vor ihrem Tod an sie schrieb, schwingen die Sorgen mit, die er und seine Frau sich um sie machen. „Wie geht’s dir, altes Mädchen“, schreibt Shaw und fleht sie förmlich an, eine Zeit lang bei ihnen zu wohnen, um auszuspannen. Sie hat sein Angebot nicht angenommen. Leider ...
War Marilyn eine gute Schauspielerin? Ja. War sie eine intellektuelle Frau in einem anti-intellektuellen Körper? Ja. War sie verloren? Auch.
„Marilyn war frei, kam aber nicht damit zurecht“, sagte Arthur Miller über sie. „Ja, sie war frei, aber ihre Ehemänner kamen mit Marilyn nicht zurecht“, sagte Sam Shaw, der sie hier zuhause in Connecticut fotografierte (1957)
©Shaw Family ArchivesAber vor allem war sie – und das dokumentiert Dear Marilyn vielleicht am klarsten – ein Mensch, der unbedingt gesehen werden wollte und gleichzeitig panische Angst davor hatte. Shaw sah sie. Und er ließ sie in Ruhe. Ein seltenes Luxusgut in ihrem Leben.
Am Ende ergibt sich aus diesem Buch kein neuer Skandal, kein neues Kapitel eines ohnehin überstrapazierten Mythos’. Stattdessen bleibt das Gefühl, man habe jemanden kurz wirklich getroffen. Nicht die Frau im Kleid. Die Frau dahinter.
Und vielleicht ist genau das die eigentliche Sensation.
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