Welchen Knopf beim Anzug schließen? Das sind die Regeln
Kleidsam ist der Anzug immer, wenn man nur den einen Knopf im Griff hat. Wie Mann ihn richtig zumacht – und woher diese kleine, aber feine Regel kommt.
Es ist nur ein winziges Detail – und trotzdem verrät es sofort, wer Ahnung hat und wer nicht: der eine Knopf, der offen bleibt. Egal, ob Weste oder Sakko, einmal falsch geknöpft und man wirkt schneller deplatziert als der Typ, der beim Tee den kleinen Finger abspreizt oder ein Kurzarm-Hemd mit Krawatte trägt.
Der Knopf beim Sakko, und wie man ihn richtig zumacht, ist ein Thema, das Verwirrung garantiert: Zuletzt waren Kompanien hohlwangiger Burschen mit zerrupften oder perkegt gestylten Haaren auf dem Laufsteg mit ihren Zweireiher-Sakkos unterwegs. Und diese waren nur unten geschlossen.
So trägt Mann im Winter 2025 Sakko - zumindest wenn es nach Yves Saint Laurent geht.
©REUTERS/Benoit TessierDrei, zwei, ein Knopf, was zu, was auf – wer soll da noch den Überblick behalten, ohne dass es nach purem Modechaos aussieht?
Der Herrenschneider Michael Possanner gibt Tipps
Zum Glück gibt es Michael Possanner. Immer tadellos gekleidet, mit perfekten Manieren ausgestattet und einer der letzten klassischen Herrenschneider Wiens, weiß er genau, was sich anzugtechnisch gehört.
Am einfachsten ist es mit der zweireihigen Weste unten drunter: Die sieht man heute eher noch in Mafia-Filmen – oder bei Hochzeiten, bei denen die Gäste versuchen, so viel Stil wie möglich an den Tag zu legen. Possanner bringt es auf den Punkt: „Da wird alles zugeknöpft.“ Klassisch, streng, korrekt. „Es ist ein sauberer Look.“ Und das hat seinen Grund: „Die werden meist zu Anlässen getragen, bei denen man sich nicht viel bewegt.“ Eleganz ist hier wichtiger als Sportlichkeit.
Darum ist der untere Knopf immer offen
Bei der einreihigen Weste dagegen gilt: unten offen. Punkt. Warum? Da kursieren ungefähr so viele Geschichten wie Aperitivo-Rezepte in Mailand. Die erste und bekannteste: hat mit König Eduard VII zu tun. Mit den Jahren wurde er beleibter und tat sich mit dem Stoff immer schwerer – besonders beim Hinsetzen. Also öffnete er den unteren Knopf. Die Engländer waren brave Untertanen und machten es ihrem König mit Weste und Sakko einfach nach.
König Eduard VII. war so beleibt, dass seine Weste spannte – daher ging er dazu über, den unteren Knopf offen zu lassen.
©IMAGO/GRANGER Historical Picture Archive/IMAGO/140_1632388Es ist der meistgenannte Grund, den manche auch ins Reich der Mythen verweisen wollen. Doch es gibt Belege dafür. Possanner: „Auf Aufnahmen aus seinen jüngeren Jahren ist alles zugeknöpft, später sieht man den unteren Knopf offen. Bequemlichkeit war der Treiber.“
Version zwei kommt aus dem Reitsport: Wer die Beine hochzieht, hat mehr Bewegungsfreiheit, wenn der untere Knopf offen bleibt. Praktisch, nachvollziehbar, elegant.
Und dann gibt es noch, wie der Experte sagt, das 18. Jahrhundert, als Mode ein Spiel der Eitelkeiten war. Dandys wie Beau Brummell trugen manchmal gleich zwei Westen übereinander. „Das war absurd.“ Man wollte zeigen, dass man mehr hatte als der Nachbar und noch dazu viel stylischer war.
Der Trick: Der untere Knopf der oberen Weste blieb offen, damit jeder sah, dass darunter noch eine zweite Weste wartet. Statussymbol de luxe.
Die Anzüge und die geschlossenen Knöpfe
Nur bei Stresemann, Smoking und Frack ist die einreihige Weste komplett zu. Denn auch sie wir zu eleganten Anlässen mit eher wenig Bewegung angezogen.
Und was passiert, wenn das Sakko ins Spiel kommt? Ganz einfach: Steckt eine Weste drunter, bleibt das Sakko offen. So will es die Etikette, so will es der Look.
Der Wiener Herrenschneider Michael Possanner, weiß, was beim Anzu-Zuknöpfen zu beachten ist.
©kurier/Martina BergerEinreihige Sakkos mit nur einem Knopf – Smoking, Dinnerjacket, Stresemann – sind zu. Im Stehen jedenfalls. Setzt man sich, darf man aufknöpfen. Muss man sogar. Sonst spannt der Stoff, wirft unschöne Falten und wirkt, als hätte man das Ding eine Nummer zu klein gekauft.
Beim Zweiknopf-Sakko gilt: oben zu, unten nie. Ganz einfach. Alles andere schreit „Anfängerfehler“.
Die Regel beim Dreiknopf-Sakko: Manchmal, immer, nie
Und dann das Dreiknopf-Sakko, die Königsdisziplin. Possanner erklärt die Regel: „Sometimes, Always, Never.“ Oben manchmal, in der Mitte immer, unten nie. Klingt fast wie ein Haiku über Herrenmode – und ist tatsächlich die Faustregel.
Warum der untere Knopf immer offen bleibt? Weil’s schlicht besser aussieht und besser zu tragen ist. Der offene Knopf gibt der Silhouette Schwung und dem Träger Bewegungsfreiheit. Und noch etwas spielt eine Rolle, wie Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Mode-Institut (DMI) in Köln einmal der Nachrichtenseite von t-online sagte: „Der unterste Knopf bei einem Zweiknopf- oder Dreiknopf-Einreiher wird offengelassen, weil Männer häufig ihre Hand in die Hosentasche stecken, und dabei das Sakko asymmetrisch verzogen würde, wäre es komplett geschlossen.“
Dieser König machte seinen Zweireiher anders zu
Beim Zweireiher, sagt Possanner, sollte eigentlich alles zu sein. Auch wenn man auf den Laufstegen dieser Welt inzwischen schon Varianten gesehen hat, bei denen nur unten ein Knopf geschlossen ist. „Auch King George VI. hat sein Vierknopf-Sakko nur unten geschlossen. Ich finde das nicht so schön, weil das die Körperproportion zerreißt.“
Wer trotzdem ein bisschen experimentieren will: Mindestens der Knopf auf Taillenhöhe gehört immer zu – alles andere sieht aus wie angezogen und nicht fertig gemacht.
Erhebendes am Tisch wie in Mad Men
Fans der Serie „Mad Men“ werden es kennen: Abendessen in den 1960ern im Lokal. Die Damen haben die Haare schön onduliert, die Herren rauchen wie die Voest. Wenn dort in einem Lokal eine Frau den Tisch verlässt, um sich die Nase zu pudern, dann stehen die Herren auf – und knöpfen sich das Sakko zu, nur fürs Aufstehen. „Das kenne ich noch von meinem Vater und dessen Freunden. Heute sehe ich das nicht mehr, heute ist es legerer geworden.“ Wer mag, kann das machen – ein höflicher Gruß an alte Zeiten. Pflicht ist es längst nicht mehr.
„Wenn ich eingeladen bin, und von hundert Gästen haben neunzig ihr Sakko offen, zehn geschlossen – dann stelle ich mich als Elfter zu denen, die es zuhaben .“
Und wie verhält sich der Gentleman, wenn er sieht, dass jemand wirklich die Anzugsregeln bricht? Possanner überlegte ein bisschen und lächelt: „Wenn er älter ist als ich, sage ich nichts. Dann gehe ich davon aus, dass er es weiß – und wenn nicht, steht es mir nicht zu.“ Bei Jüngeren wäre ein diskreter, freundlicher Hinweis drin.
Etikette beim Anzugtragen
Gleichzeitig weiß er, dass Etikette auch Fingerspitzengefühl verlangt. „Wenn ich eingeladen bin, und von hundert Gästen haben neunzig ihr Sakko offen, zehn geschlossen – dann stelle ich mich als Elfter zu denen, die es zuhaben.“ Und wenn es niemand tut? „Dann passe ich mich an. Ich will ja nicht belehrend oder hochnäsig wirken.“
Und wann darf man das Sakko tatsächlich offenlassen? „Beim Fußballspiel oder am Strand“, sagt Possanner trocken. Im Urlaub in Italien sieht man den Schneider selbst gern mal mit offenem Sakko.
Kommentare