Eine Justitia-Statue mit Augenbinde und Waage steht vor einem roten Hintergrund.

Scheidung: Was, wenn ich das Einkommen meines Partners nicht kenne?

Zwei Anwälte, zwei Ansichten, eine Rechtslage: Das Wiener Duo erzählt Geschichten aus seiner Ehe, beantwortet Fragen, die uns im Alltag beschäftigen, erklärt, was vor Gericht zählt – und wie er oder sie die Causa sehen.

Von Mag. Carmen Thornton & Mag. Johannes Kautz

Der Fall: Man kennt die Bilder aus amerikanischen Anwaltsfilmen: Kistenweise werden Unterlagen in die Kanzlei der Klagevertreterin geliefert, bis sich die Akten im ganzen Raum zur Decke stapeln. Der Absender: Meist ein böser Konzern, der ein internes Dokument wie die Nadel im Heuhaufen zwischen belanglosem Papierkram versteckt hat. Das Ziel: Die Anwältin der Kläger, die entschlossen um Gerechtigkeit kämpft, in Unterlagen zu begraben. Denn der schlagende Beweis, dass die erhobenen Vorwürfe schon Jahre bekannt waren und aus Profitgier vertuscht wurden, soll nie das Licht des Gerichtssaales erblicken. In den USA gibt es eine sogenannte Discovery. Die Parteien müssen alle relevanten Unterlagen vor dem Prozess offenlegen, auch solche, die für ihren Standpunkt nachteilig sind. Wer Dokumente verheimlicht, dem drohen drastische Strafen. Doch wie ist das in Österreich? Wie funktioniert die Wahrheitsfindung, wenn Beweise fehlen?

Sie:

Man könnte meinen, dass im Familienrecht kein Bedarf nach einer Offenlegung von Beweisen besteht. Schließlich streitet man meist mit dem eigenen Ex-Partner. Und in einer Ehe sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein, dass man keine Geheimnisse voreinander hat. Sollte es! Doch die Realität sieht anders aus. Manche Ehepartner haben nicht die geringste Ahnung davon, was der andere verdient, wie viel Vermögen vorhanden ist und wie die Ersparnisse angelegt sind. Meistens sind das ausgerechnet jene Ehepartner, die finanziell auf den anderen angewiesen sind. 

Das böse Erwachen gibt es, wenn es zur Trennung kommt und der andere plötzlich alle Zahlungen einstellt. Denn dann steht man mit leeren Händen da. Bis die Scheidung durch ist, hat man zwar einen Unterhaltsanspruch, die Höhe hängt aber vom Einkommen der Unterhaltspflichtigen ab. Wer kein eigenes Einkommen hat, bekommt 33 Prozent des Nettoeinkommens des Ehepartners. Verdienen beide, stehen dem schlechter verdienenden Ehepartner 40 Prozent des Familieneinkommens abzüglich des Eigeneinkommens zu. Doch wenn man nicht weiß, wie viel der andere verdient, kann man nicht einmal beurteilen, wie viel einem tatsächlich zusteht.

Unterhalt ohne Einkommensunterlagen?

Um einen juristischen Blindflug zu vermeiden, ist der unterhaltspflichtige Ehepartner verpflichtet, Auskünfte über seine Einkommensverhältnisse zu machen. Wenn er sich weigert, kann der Unterhalt mit einer sogenannten Stufenklage durchgesetzt werden. Der Ehepartner wird dann zunächst zur Auskunft verpflichtet. Erst danach muss die Klage beziffert werden. Doch bis man auf diese Weise zu seinem Unterhalt gelangt, vergebene Monate, oft sogar Jahre. Und wovon lebt man in dieser Zeit, wovon bezahlt man die Gerichtsverfahren?

Auch dafür hat das Gesetz eine Lösung parat. Der Unterhalt kann mit einer einstweiligen Verfügung zuerkannt werden, und zwar in voller Höhe. Zur Finanzierung des Verfahrens kann sogar ein Prozesskostenvorschuss zugesprochen werden. Der andere muss dann sogar die Unterhaltsklage gegen sich selbst mitfinanzieren. Was in der Theorie fast schon zu gut klingt, um wahr zu sein, funktioniert in der Praxis nicht ganz so reibungslos. Denn auch für eine einstweilige Verfügung reichen bloße Behauptungen oder gar Vermutungen nicht aus. 

Der Anspruch muss plausibel bescheinigt werden, und zwar durch rasch verfügbare Bescheinigungsmittel, zum Beispiel die Gehaltszettel. Und die hat der Partner, der natürlich keine besondere Eile hat, seinen Auskunftspflichten nachzukommen. So manches „Eilverfahren“, bei dem es um nichts weniger als die Sicherung der Existenzgrundlage geht, dauert viele Monate oder scheitert an den nötigen Beweisen bzw den finanziellen Mitteln, sich diese zu beschaffen.

Eine Frau im roten Kleid lehnt an einer Wand in einem Bürogebäude.

Carmen Thornton ist Rechtsanwältin in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

Wissen zahlt sich aus

Auch wenn es um die Aufteilung nach der Scheidung geht, ist derjenige, der den Überblick hat, klar im Vorteil. Denn im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen besteht in Österreich nur dann eine Verpflichtung zur Offenlegung der Vermögensverhältnisse, wenn ein konkreter Verdacht besteht, dass Vermögenswerte, die der Aufteilung unterliegen, verschwiegen oder verheimlicht werden. Bloße Vermutungen reichen nicht, es müssen konkrete Anhaltspunkte vorgebracht werden, die einen solchen Verdacht rechtfertigen. Wer völlig im Dunklen tappt, für den gilt daher auch im Aufteilungsverfahren: Wer nichts weiß, muss alles glauben und wird am Ende wenig haben.  

Er:

Die Geheimniskrämerei hat in Österreich Tradition. Spitzengehälter sorgen – wenn sie an die Öffentlichkeit dringen – regelmäßig für Neiddebatten und Anfeindungen. Und wer von Ämtern und Behörden Auskünfte verlangte, stieß – zumindest bis vor Kurzem – oft auf eine Mauer des Schweigens. Das Amtsgeheimnis als Grundprinzip der Verwaltung und der Datenschutz als passende Ausrede bei lästigen Anfragen aller Art sorgten verlässlich dafür, dass öffentliche Stellen hinter verschlossenen Türen agieren konnten, sorgfältig abgeschirmt vor den kritischen Augen der (un)rechtsunterworfenen BürgerInnen.

Wenn man vor Gericht im Dunklen tappt

Da wundert es nicht, dass es auch im Zivilprozess keine Discovery gibt. Formal gilt zwar die Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, trotzdem ist jede Partei selbst dafür verantwortlich, die nötigen Beweise zu beschaffen und dem Gericht vorzulegen. Wer dazu nicht in der Lage ist, hat Pech gehabt. Nur in Ausnahmefällen gibt es eine Mitwirkungspflicht des Gegners oder gar eine Beweislastumkehr. Auch die Vorlage von Unterlagen durch den Gegner oder Dritte kann nur ausnahmsweise verlangt werden. 

Doch selbst die hartnäckigste Tradition bröckelt. In der öffentlichen Verwaltung gilt seit September der Grundsatz der Informationsfreiheit. Bürgerinnen und Bürger haben seither ein gesetzliches Recht auf Auskunft, das nur in Ausnahmefällen eingeschränkt werden darf. Viele Informationen müssen sogar proaktiv veröffentlicht werden.

Ein Mann im Anzug lehnt an einer Wand in einem Bürogebäude.

Johannes Kautz ist Rechtsanwalt in Wien.

©Thornton & Kautz Rechtsanwälte

In einem Gerichtsverfahren hilft das nur bedingt, denn die Auskunftspflicht trifft nur öffentliche Stellen und bestimmte hoheitlich tätige Unternehmen. Doch auch hier hält zunehmend die Transparenz Einzug. Grund dafür ist nicht ein neues Gesetz, sondern der OGH, der einem lange tot geglaubten Paragrafen in der Zivilprozessordnung kürzlich neues Leben eingehaucht hat. 

Dieser sieht vor, dass zur Aufklärung des Sachverhaltes Fragen an den Gegner gestellt werden können. Diese Regelung gibt es zwar schon seit 130 Jahren, sie befand sich aber lange Zeit in einem regelrechten Dornröschenschlaf. In der Praxis waren die Gerichte nämlich sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, eine Partei zu verpflichten, dem Gegner die Munition für das anhängige Verfahren zu liefern.

Doch im Jahr 2022 entschied der OGH, dass Fragen an den Gegner immer dann zulässig sind, wenn eine Partei mit erheblichen Beweisschwierigkeiten bzw einem Informationsdefizit konfrontiert ist. Es besteht sogar die Verpflichtung, zumutbare eigene Nachforschungen anzustellen, etwa Einsicht in Unterlagen zu nehmen oder Mitarbeiter zu befragen, um die Fragen der Gegenseite zu beantworten.

Grenzen der Offenlegungspflicht

Mit einer Discovery nach amerikanischem Recht ist das natürlich nicht vergleichbar. Schließlich bekommt man die Informationen erst während des Verfahrens. Wer sich Aufklärung durch den Gegner erwartet, muss also zunächst einmal – quasi ins Blaue hinein – eine Klage einbringen. Außerdem kann man nicht wahllos alle relevanten Unterlagen herausverlangen, sondern muss präzise Fragen stellen. 

Und durchgesetzt werden kann das Fragerecht auch nicht. Eine Weigerung kann allerdings dazu führen, dass das Gericht den Behauptungen des Fragestellers glaubt. Wer nicht bereit ist, zur Aufklärung beizutragen, wird so behandelt, als hätte er tatsächlich etwas zu verbergen. Und der Grundsatz, dass sich niemand vor Gericht selbst belasten muss, gilt nur im Bereich des Strafrechts.

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