„Menschen brauchen Rückzugsraum“

Architekt Stephan Ferenczy vom Wiener Architekturbüro BEHF.
Stephan Ferenczy, Gesellschafter des Architekturbüros BEHF, über kleine Wohnungen als Luxustrend und warum das Schlafzimmer in die Küche verlegt werden sollte.

KURIER: Herr Ferenczy, Ihr Büro BEHF baut derzeit rund 1000 Wohnungen in Wien. Wie werden wir künftig wohnen?
Stephan Ferenczy: In unseren Projekten wie etwa am Wiener Nordbahnhof-Gelände geht es stark um neue Gemeinschafts-Wohnformen. Beim Projekt Citycom2 beispielsweise war die Hälfte der Fläche für derartige Wohnformen reserviert. Wir planten dabei Einzelwohnräume, die um einen gemeinsamen Wohn-Kochbereich angeordnet sind und durch Laubengänge erschlossen wurden.

Sind solche Konzepte tatsächlich ein gesellschaftlicher Trend, beispielsweise bei älteren Menschen, oder interessieren sich dafür ohnehin nur Studierende?
Der Großteil sind Studierende. Aber zunehmend auch Menschen, die Wohngemeinschaften in verschiedenen Formen leben wollen. Das Projekt hat gut funktioniert. Allerdings verzeichnen wir auch einen Drang in klassische Typologien. Es wird immer eine Gruppe an Leuten geben, die ganz normal wie eh und je wohnen will und mit neuen Wohnformen nichts anfangen kann. Die klassische Zwei-Zimmer-Wohnung mit 70 Quadratmeter ist nach wie vor sehr beliebt. Beim Projekt Citycom2 waren diese Wohnungen innerhalb eines Monats ausverkauft. So viel zur Wohnungsknappheit: es gibt eine massiv hohe Nachfrage nach günstigem Wohnraum.

Immer wieder werden Forderungen laut, dass Standards im Wohnungsbau zurückgeschraubt werden müssen, um günstiger bauen zu können. Was halten Sie davon?
Bei Menschen, die nicht die freie Wahl haben, würde ich vorsichtig sein, was das Zurückschrauben von Standards anbelangt. Günstige Wohnungen sollen gleichwertig sein. Ich will keine Zwei-Klassen-Gesellschaft beim Wohnen. Potenzial gibt es bei der Größe der Wohnungen, indem man den Zuschnitt verbessert, über Klappsofas nachdenkt oder diskutiert, das WC wieder ins Bad zu integrieren.

Wie viel Quadratmeter braucht der Mensch zum guten Leben? Die Umweltorganisation Greenpeace schlägt aus ökologischen Gründen 30 Quadratmeter vor.
Als Kind war ich mit meinem ersten eigenen Zimmer, das acht Quadratmeter hatte, überglücklich. Jedenfalls sind in Wien die verbrauchten Quadratmeter pro Kopf, die bei rund 40 liegen, zu hoch. Wenn wir im Hinblick auf die wachsende Stadt den Wiener Wald retten wollen, müssen wir unsere Wohnformen optimieren. Kleiner Wohnraum darf aber nicht eine Strafe sein und arme Menschen treffen, sondern muss zum Luxustrend werden.

Kleine Wohnungen als Luxus?
In Paris etwa zählt eine 36-Quadratmeter-Wohnung im 6. Arrondissment zum Besten, was zu haben ist. Menschen, die vermögend sind und viel Freiheit haben, gehen heute lieber wie Holzfäller in den Bergen nach Beeren suchen und kochen sich später selbst am Lagerfeuer, als dem üblichen Luxus zu frönen wie Reisen auf die Malediven oder ein Cocktailempfang. Das ist langweilig geworden. Diesen Trend kann man ins Wohnen übersetzen. In Wien hatten wir in der Innenstadt ein Projekt, wo die Wohnungen im Schnitt deutlich unter 60 Quadratmeter waren. Wer viel Platz braucht, kann in die Oper gehen.

Im Ernst, können Sie bei einer 60 Quadratmeter Wohnung noch von Luxus sprechen?
Mein Lieblingsvergleich dazu ist der Porsche. Dieses Auto ist unglaublich teuer, schöpft aber seinen Wert nicht daraus, dass es großräumig ist, sondern kompakt geschnitten. Größe suggeriert Freiheit, aber aus vielen Beispielen wissen wir, dass uns Größe oft gar nicht behagt. Große Räume müssen bewältigt werden. Das heißt, sie müssen eingerichtet, beheizt und geputzt werden. Ich hatte einmal einen russischen Kunden, der wünschte sich eine 40 Quadratmeter große Dusche. Ich fragte ihn: Wozu? In einer Dusche kann man nur eines machen, nämlich sich nass machen. Dafür braucht man nicht 40 Quadratmeter.

Konnten Sie ihm die 40-Quadratmeter-Dusche ausreden?
Ja. Luxus hat nichts mit Größe zu tun, sondern mit Durchdachtheit, Raffinesse und Stimmigkeit.

Wie lässt sich eine kleine Wohnung komfortabel gestalten?
Man muss sich darauf besinnen, was persönlich wichtig ist und aufpassen, nicht einem Repräsentationsbedürfnis zu verfallen. Die Aufgabe der Architekten ist es, Klischees zu hinterfragen und neue Antworten zu geben. Braucht man etwa einen Eingangsbereich, der nur zum Abstreifen der Gummistiefel da ist, oder kann man vielleicht einen Arbeitsbereich integrieren? Kann man das Schlafzimmer mit den Kindern teilen? Beim Wohnzimmer ist es schon gelungen. Das klassische Wohnzimmer ist vorbei und wurde mit der Küche verschmolzen. Der nächste Schritt wäre zu fragen, ob man mehr kocht oder schläft.

Auf eine Küche verzichten?
Ich als Großstadtmensch könnte es. Aber es ginge auch andersrum: Früher lebten ganze Familien in der Küche. Das Schlafzimmer könnte daher Teil der Wohnküche sein. Bei all diesen Überlegungen ist aber vor allem eines wichtig: Menschen brauchen Rückzugsraum. Das hängt aber nicht von den Quadratmetern ab. Rückzug kann schon ein gutes Paar Kopfhörer bieten. Man muss dem, der Ruhe sucht, Respekt entgegenbringen und ihm die Ruhe gewähren.

Apropos Ruhe: Sie selbst wohnen seit vielen Jahren mitten in der Wiener City, im Hochhaus in der Herrengasse. In vielen europäischen Großstädten sind die Innenstädte zur künstlichen Kulisse für Touristen-Horden verkommen. Wohnen Sie noch gerne im ersten Bezirk?
Die Touristen stören mich nicht. Als gebürtiger Hamburger bin ich ja selbst irgendwie Tourist. Ich genieße die Vorteile, mitten in der Stadt zu leben. Mein berufliches und gesellschaftliches Leben erstreckt sich bis tief in die Nacht hinein. Ich könnte es mir zeitlich gar nicht leisten, am Land zu leben.

Vermissen Sie nicht manchmal das Vogelgezwitscher im Garten?
Ich habe eine App, mit der ich die Ferienhäuser meiner Freunde nutzen kann. Ich kann nachvollziehen, dass Menschen in den Speckgürtel ziehen, weil sie manchmal einfach auf einer Schaukel unterm Baum sitzen und die Jahreszeiten spüren wollen. Aber die Nachteile wie Pendeln und Staus werden zunehmen. Im Nahverkehrsbereich brauchen wir andere Konzepte. Und in dem Moment, wo die Kinder ausziehen, fühlt sich ein Haus leer an.

Was schlagen Sie vor?
Die Eigenheim- und Villenbesitzer sollten animiert werden, ihre Häuser umzubauen und sie mit anderen zu teilen. Die „Golden Girls“ sind als Zukunftsmodell interessanter als die Einsamkeit.

Kurze Frage zum Schluss: Miete oder Kauf? Welcher Typ sind Sie?
Ich bin ganz klar der Miet-Typ. Mieter sind ungebundener – das schätze ich sehr.

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