"Otto Wagner ist mir in Fleisch und Blut übergegangen“

"Otto Wagner ist mir in Fleisch und Blut übergegangen“
Andreas Nierhaus, Kurator der Ausstellung „Otto Wagner“ im Wien Museum, über seine Faszination für den Wiener Baukünstler.

Wenn man etwas über Otto Wagner wissen möchte, ist man bei Ihnen an der richtigen Adresse. Wann und wie hat sich Ihre Leidenschaft für ausgerechnet diesen Architekten entfacht?
Andreas Nierhaus: Als Kurator für Architektur arbeite ich seit fast zehn Jahren mit den einzigartigen Zeichnungen Otto Wagners, die mich immer schon fasziniert haben – gehören sie doch zu den großartigsten Architekturdarstellungen überhaupt. Aber auch als Stadtbenützer, der häufig mit der U-Bahn fährt, ist mir – wie Hunderttausenden anderen auch – Wagner in Fleisch und Blut übergegangen: Durch die einzigartig bequemen Stiegen!

Aus Ihrem reichen Wissensschatz: Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie seinen Namen hören?
Stadtbahn, Steinhof, Postsparkasse, Moderne Architektur.

Wagner hat Wien als Stadt wie kein anderer geprägt. Was macht die Qualität seiner städteplanerischen Exzellenz und seines Weitblicks aus? War er der bessere Städteplaner oder der bessere Architekt?
Er war sowohl als Architekt als auch als Städteplaner exzellent. Als Architekt hat er die Grundlagen des Bauens neu formuliert, ohne die Tradition außer Acht zu lassen. Seine Moderne fußte auf der europäischen Bautradition, war also auch dem Ornament keineswegs abgeneigt; aber das Ornament war niemals kopiert, sondern wohlbegründet aus der spezifischen Funktion abgeleitet bzw. durch sie legitimiert. Als Städteplaner forcierte er die unbegrenzte, aber planmäßig vom Architekten entworfene Großstadt der Zukunft, in der der öffentliche Verkehr eine zentrale Rolle spielt.

Wien ohne Otto Wagner – denkbar? Wie hätte sich die Stadt Ihrer Meinung nach ohne diese „Hauptschlagadern“ entwickelt?
Wien wäre ohne Otto Wagner noch provinzieller, als es ohnehin schon ist. Er hat der Stadt eine metropolitane Vision gegeben – eine solche ist heute nicht in Sicht. Die hilflosen Versuche, Größe durch Masse – siehe die Hochhausdebatte – zu ersetzen, zeigen das sehr deutlich.

Bei manchen seiner Bauten erlitt Wagner posthum dasselbe Schicksal, das er für bestehende Bauten zu seiner Zeit herbeiwünschte: Der Abriss. Aus Ihrer Sicht ein Fehler? Etwas, was uns heute leidtun muss?
Der Abriss der Stadtbahnstationen – die letzte 1977! - war aus heutiger Sicht ein Verbrechen und wurde bereits damals als solches gesehen: weil nichts Besseres nachkam. Der besinnungslose Umgang mit seinen Bauten heute – siehe Steinhof und Postsparkasse – zeigt, dass sich manches nicht gebessert hat. Wagners weltstädtische Architektur ist für die durchökonomisierte, privatisierte neoliberale Stadt der Gegenwart offenbar einfach eine Nummer zu groß. Einfach war er ja nicht, der Herr Wagner. Hätten Sie ihn gerne persönlich kennengelernt? Mich interessiert sein Schaffen mehr als seine Person. Aber sicher wäre es interessant, mit ihm über Architektur zu sprechen.

Was hätten Sie ihm noch zu entlocken versucht?
Was er über das geplante Hochhaus am Heumarkt, das Krankenhaus Nord und andere so genannte Prestigeprojekte denkt.

Was ist Ihre persönliche Lieblingsanekdote über Otto Wagner?
Bei der Eröffnung der Postsparkasse meinte Kaiser Franz Joseph, im Kassensaal stehend, zu Wagner: „Merkwürdig, wie gut die Menschen hineinpassen.“ Darauf soll Wagner geantwortet haben: „Ja Majestät, das ist der Sinn der modernen Architektur, dass sie zu den modernen Menschen passt.“

Buchtipp:

Buchtipp:

Zum Jubiläumsjahr von Otto Wagner sind zwei prachtvolle Druckwerke erschienen: Zur Ausstellung ist eine reich illustrierte Publikation im Residenz Verlag erschienen und herausgegeben von den beiden Ausstellungskuratoren Andreas Nierhaus und Eva-Maria Orosz. Auf den 544 in Leinen gebundenen Seiten finden sich unter anderem Beiträge von Experten und das erste kommentierte Verzeichnis sämtlicher Arbeiten Otto Wagners.

"Otto Wagner ist mir in Fleisch und Blut übergegangen“

Buchtipp:

Die Publikation „Otto Wagner – Die Wiener Stadtbahn“, erschienen im Verlag Hatje Cantz, widmet sich dem stadtplanerischen,  architektonischen und verkehrsgeschichtlichen Stellenwert der Stadtbahn von 1894 bis in die Gegenwart. Der Bildteil lädt zu einer Fahrt durch das gesamte Stadtbahnnetz ein. Zeichnungen, Pläne und Fotografien gewähren einen historischen Eindruck der Dimensionen des Großprojekts.

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