Dietmar Steiner: "Eine Vision von Stadt"

Dietmar Steiner: "Eine Vision von Stadt"
Dietmar Steiner, Architekt und Leiter des Architekturzentrums Wien über Stadtentwicklung und die Angst vor 40-Tonnern.

IMMO: Herr Steiner, Sie nennen die Stadt Wien gerne eine Insel der Seligen, die von ihren Bewohnern nicht genug geschätzt wird. Warum eigentlich?
Dietmar Steiner: Es gibt mit Ausnahme der skandinavischen Länder wahrscheinlich keine Stadt auf der ganzen Welt, die so gut funktioniert wie Wien. Wir haben hier leistbares Wohnen, umsorgte Bürger und für jedes Problem eine Stelle, an die man sich wenden kann. Der Verkehr funktioniert, es ist sauber, es gibt gute Luft und gutes Wasser - fragen Sie einmal einen Bewohner von Paris oder Athen, was er von diesem Gesamtpaket hält.

Trotzdem beklagen Sie einen massiven Mangel an visionärer Stadtplanung - brauchen wir so etwas vielleicht gar nicht?
Dietmar Steiner: Ich finde es sehr schade, dass es keine Übereinkunft mehr darüber gibt, dass man Städte baut und nicht nur Einzelobjekte. Es gibt auf politischer Ebene keine Vorstellung von Stadt mehr. Bis in die 80er-Jahre hat man darüber ja sehr engagiert debattiert. Heute gibt es die intellektuelle Auseinandersetzung über Urbanität nicht mehr.
Ich frage die Leute immer: Was habt ihr überhaupt für eine Idee von Stadt, was soll daraus einmal werden? Dann heißt es: Einer gewinnt das Gutachterverfahren und das wird dann gebaut, aber das hat nichts mit dem zu tun, was auf der anderen Straßenseite passiert. Man denkt leider nicht mehr in Zusammenhängen - es werden nur mehr einzelne Bauplätze verhandelt, ohne Rücksicht auf ein übergeordnetes Interesse.

Nachhaltige Stadtplanung

Dietmar Steiner: "Eine Vision von Stadt"

Es mangelt also Ihrer Ansicht nach an einer nachhaltigen Stadtplanung?
Dietmar Steiner: Wenn man sich die urbane Entwicklung in Liesing oder Donaustadt anschaut, dann kann man nur sagen: Am Balkan oder in Kaukasien haben wir aufgrund von Korruption eine völlig ungeplante Stadtentwicklung. Und wir machen genau dasselbe, nur legal mit Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen. Was sich am Stadtrand von Sofia oder Bukarest abspielt, sieht gleich aus, wie bei uns - nur wir wollen es so!

Aber gleichzeitig haben sich Politiker und Firmenvorstände doch noch nie so gerne mit Architektur geschmückt wie heute.
Dietmar Steiner: Sie schmücken sich - mit feschen Einzelobjekten. Aber viele kleine Teile ergeben noch kein gutes Ganzes, dazu braucht man eine Vision und Politiker, die in kulturellen Zusammenhängen denken können.

Dietmar Steiner: "Eine Vision von Stadt"

Der Schwarzenbergplatz war einmal so eine Vision, wahnsinnig schön findet ihn heute trotzdem keiner.
Dietmar Steiner: Der spanische Architekt Alfredo Arribas, der für die Neugestaltung zuständig war, ist ein alter Freund von mir. Ich finde seine Lösung sehr gut, aber er ist im Detail natürlich an den Gegebenheiten gescheitert. Er hätte hier ein ziemlich nobles, zurückhaltendes Areal errichten wollen, mit Licht und einer Art Bambuswald, bestehend aus acht Zentimeter dicken Säulen für die Oberleitung der Straßenbahnen. Die Wiener Linien sagen aber: In Wien fahren 40-Tonner und an jede unserer Säulen muss ein 40-Tonner anfahren können, ohne dass sie kippt. Darum haben die Säulen jetzt einen Durchmesser von 45 Zentimetern.
Ich habe gerade eine wunderschöne Bushaltestelle in Japan gesehen mit sehr schlanken Säulen. Und da frage ich mich natürlich: Muss denn in Wien immer alles so sein, dass ein 40-Tonner ankrachen kann? Bald haben wir auch noch Mistkübel, die so einem Fahrzeug standhalten können müssen.

Es wird immer wieder darüber diskutiert, welche Gebäude man abreißen kann und welche von zu großem historischem Wert sind. Gibt es eines, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Dietmar Steiner: Da gibt es einige. Besonders schön finde ich etwa das ehemalige Firmengebäude von Hoffmann-Laroche oberhalb des Belvederes: Ein wunderbarere Bau aus den frühen 1960er-Jahren, der heute leer steht und völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Zu einer Zeit, wo Österreich noch im dumpfen Postnationalsozialismus dahingepflastert ist, entstand hier ein Manifest der Moderne. Die interessante Frage ist immer: Wie weit war ein Objekt zu seiner Zeit seiner Zeit voraus und welches konzeptive Statement ist damit verbunden?

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