Auf der Überholspur: Baukunst aus Japan

Auf der Überholspur: Baukunst aus Japan
Die Chefin der Architektur-Biennale kommt aus Japan, spektakuläre Neubauten kommen von ebendort. Immo zeigt drei herausragende Projekte.

Das japanische Haus ist das modernste und beste, das ich kenne", schrieb Walter Gropius an seinen Architekten-Kollegen Le Corbusier. Das war 1954 - und es sollte trotzdem noch ziemlich lange dauern, bis der Durchschnittseuropäer nicht mehr ausschließlich an Shintu-Schreine und chinesisch inspirierte Pagoden-Dächer dachte, wenn er "japanische Architektur" hörte. Natürlich, Auskenner und Architekturfachzeitschriftenabonnenten schwärmen schon seit Jahren: Von der strengen und doch so leicht wirkenden, auf Basis des Tatami-Rasters konzipierten, modularen Gliederung japanischer Wohnbauten. Der faszinierenden Einheit von Konstruktion und Gestaltung. Der Durchdringung von Wohn- und Naturerlebnis. Oder auch ganz einfach von der klaren Schönheit japanischer Häuser.

Doch die großen und weithin bekannten "Megastars" unter den Bauwerken wurden von Stararchitekten wie Frank Gehry und Daniel Libeskind entworfen, von Rem Koolhas mit dem TV-Hauptquartier Pekings oder von Herzog & de Meuron mit dem leuchtenden Riesenreifen der Allianz-Arena in München. Während diese Wirtschaftswunder-Architektur nun allerdings einigermaßen ins Stocken gerät - die Hamburger Elb-Philharmonie sei hier nur erwähnt, der Bahnhof in Stuttgart - entstehen, von der weltweiten Finanzkrise scheinbar unbeeindruckt, allerorts erstaunliche Beispiele zeitgenössischer japanischer Architektur. Darunter drei der spannendsten Neubauten des Jahres.

Auf der Überholspur: Baukunst aus Japan

Im deutschen Bad Münster wurde ein Museum in Betrieb genommen, das es mühelos schafft, Attribute wie schlicht und spektakulär in sich zu vereinen. Entworfen wurde es von Tadao Ando, dem Grandseigneur der japanischen Architektur. Aufs Konto des knapp 70-jährigen ehemaligen Profi-boxers gehen zwar auch schon das Benetton Research Center in Treviso oder das Vitra Design Museum in Weil am Rhein, aber er und sein Alterskollege Toyo Ito blieben doch lange Zeit Einzelerscheinungen. Zumindest in der außerjapanischen (europäischen) Rezeption.

Ebenso unaufdringlich wie unübersehbar rücken nun allerdings die jüngeren Generationen nach. In Metz eröffnete im Frühjahr die Filiale des Pariser Centre Pompidou. Geplant von Shigeru Ban aus Tokio.

Auf der Überholspur: Baukunst aus Japan

In Lausanne wurde heuer das beeindruckende "Learning Center" des Uni-Campus fertiggestellt. Architektin dieses fußballfeldgroßen Begegnungsraums für Studenten, der eigentlich eine Bibliothek ist, die ihresgleichen sucht, ist eine ehemalige Schülerin Itos: Kazuyo Sejima. Die 54-Jährige hat mit ihren "grazilen und kraftvollen" sowie "klaren und fließenden" Entwürfen heuer nicht nur die Jury des renommierten "Pritzker-Preises" überzeugt, sondern ist auch die erste Frau, die zur Direktorin der Architektur-Biennale in Venedig bestellt wurde.

Daneben und dahinter steht eine Vielzahl von Architekten bereit, die eine ebenso klare und sichere Handschrift haben. Das Atelier Bow-Wow etwa, das durch spannende Entwürfe für öffentliche und private Bauten in seiner Heimat ebenso bekannt ist, wie für pointierte Theorien zu "guten" und "schlechten" Häusern.

Auf der Überholspur: Baukunst aus Japan

Oder Takaharu Tezuka, der nicht nur zwingend schöne Großanlagen wie Krankenhäuser und Kindergärten baut, sondern auch einer der wichtigsten Vertreter des "Small House Movement" ist. Also jedem sein Haus, auch wenn der Platz noch so beschränkt ist. Und wie er es schafft, auf 40 Quadratmeter Grundfläche ein Haus für eine vierköpfige Familie unterzubringen, das auch noch gut aussieht UND funktioniert ("House to Catch the Sky"), ist schon wirklich erstaunlich.

Natürlich wäre es ignorant, von "der" japanischen Architektur zu sprechen - zu unterschiedlich sind die Stile der verschiedenen Vertreter. Aber, und das liegt vielleicht in der zweckmäßig reduzierten Edo-Tradition begründet, vielleicht ist es auch die unerklärliche Leichtigkeit des Zen: Gemeinsam ist beinahe allen Bauten eine unaufdringliche Verschränkung von innen und außen, die stimmige und scheinbar fließende Folge von Räumen der Begegnung und des Rückzugs - egal, ob im großen Stil oder auf kleinstem Raum. Die Architektur ist nie Selbstzweck, das Gebäude nicht der Star, sondern ein Raum für Menschen. Apropos: Kazuyo Sejimas Motto als Biennale-Direktorin heißt "Menschen treffen sich in Architektur". Auch das ist neu, noch nie wurde das Wort "Mensch" für ein Biennale-Motto verwendet. Und wäre doch ein Ansatz, der Schule machen könnte.

Kommentare