Hawking: "Ich bin der Archetypus des behinderten Genies"
Als Stephen Hawking im Juni 1998 Österreich besuchte, rannten so viele Menschen dem altehrwürdigen Haus der Industrie in Wien die Türe ein, dass der Veranstalter freudig stöhnte, man "hätte das Ernst-Happel-Stadion füllen können". Der Physiker hatte sich für diesen Auftritt nicht weniger vorgenommen, als jedermann die "Theory of Everything" in seinem Vortrag näherzubringen. Darin liegt wohl auch der Grund für seine Popularität: "Ich versuche ,Gottes Plan‘ zu verstehen. Und das Ergebnis dieses Versuchs? Ein Universum, das keine Grenzen im Raum hat, weder einen Anfang, noch ein Ende in der Zeit und nichts, was einem Schöpfer zu tun bliebe."
Am besten lässt man kluge Köpfe ihr Phänomen selbst erklären: "Die Menschen sind fasziniert vom Gegensatz zwischen meinen extrem eingeschränkten körperlichen Fähigkeiten und den gewaltigen Ausmaßen des Universums, mit dem ich mich beschäftige", analysiert Hawking. "Ich bin der Archetypus des behinderten Genies. Doch ob ich ein Genie bin, kann bezweifelt werden."
Das Phänomen Hawking erinnert an den ersten Science-Star Albert Einstein: Alle reden über seine Bücher, die kaum einer gelesen, geschweige denn verstanden hat. Nur die wenigsten hatten so viel Mut wie der Times-Rezensent des ruhmbegründendes Buches Eine kurze Geschichte der Zeit. Er gestand offen, über Seite 29 nicht hinausgekommen zu sein. Wissenschaftsautor Robert Matthews brachte es einmal als "die Unfähigkeit der Medien, über Hawkings Rollstuhl hinauszusehen" auf den Punkt. So wurde er eine Art Popstar der Wissenschaft, trat in "Raumschiff Enterprise" als er selber auf, wirkte in der Zeichentrickserie "Die Simpsons" und in "The Big Bang Theory" mit. 2007 wagte er in einer Boeing gar einen Flug in die Schwerelosigkeit, von dem er mit einem breiten Grinsen zurückkehrte.
Spitzname "Einstein"
Stephen William Hawking wurde am 8. Jänner 1942 (am 300. Todestag von Galileo Galilei, wie er nicht müde wird zu betonen) als Sohn einer Künstlerin (was er gerne verschweigt) und eines Tropenarztes geboren. In der Schule war er faul, sagen seine Mitschüler – er selbst: "Ich war mittelmäßig in einer sehr intelligenten Klasse." Trotzdem erhielt er bereits da seinen Spitznamen: "Einstein".
Als Hawking 21 war, wurde ALS, ein Nervenleiden (amyotrophe Lateralsklerose) diagnostiziert, was ihn erst seiner Muskeln, später der Stimme und schließlich jeglicher Mobilität beraubte. Lebenserwartung: zwei bis drei Jahre. "Als Trost erhielt ich vom Arzt die Auskunft, die Krankheit sei nicht schmerzhaft und greife den Intellekt nicht an. Trotzdem sah ich wenig Sinn, meine Forschungen fortzuführen, weil ich nicht damit rechnete, lange genug zu leben, um meine Promotion abzuschließen."
Viele würden Hawkings Zustand wohl unerträglich nennen. Er machte immer wieder Witze darüber: Wenigstens komme er nicht in Versuchung, seine Zeit mit Joggen und Golfen zu vertrödeln. Er ist davon überzeugt, in seinem Leben großes Glück gehabt zu haben. Die Krankheit sei "kein so großer Schlag" gewesen: "Bevor ich sie hatte, fand ich das Leben ziemlich langweilig. Ich glaube, jetzt bin ich glücklicher." Apropos Witze: In einem Interview mit New Scientist meinte Hawking auf die Frage, worüber er sich am meisten den Kopf zerbreche: "Frauen. Sie sind ein totales Mysterium."
Newtons Job
Seine wahre Liebe galt aber immer dem Weltall. Nach der Schule studierte er Physik in Oxford, dann Kosmologie in Cambridge. Im Rekordtempo legte er eine wissenschaftliche Karriere hin und hatte viele Jahre jenen Lehrstuhl inne, auf dem bereits Isaac Newton saß. Ob Urknall-Singularität, Quantenmuster am Himmel oder wachsende- und verdampfende Schwarze Löcher – Hawkings Forschung hat zum besseren Verständnis des Kosmos beigetragen, ist aber nicht unumstritten.
1998 fragte das renommierte britische Institute of Physics 250 führende Forscher nach dem größten Physiker aller Zeiten. Mit 119 Stimmen landete Einstein unangefochten auf Platz 1. Hawking erhielt gerade einmal zwei Stimmen. Der Sekretär des Nobelkomitees, Anders Barany, formuliert es einmal diplomatisch: "Hawking hat großartige Arbeit geleistet, aber wir sind uns nicht sicher, ob sie wirklich in Beziehung zur Natur steht."
Der Astrophysiker selbst kennt kaum Selbstzweifel. Kritikern fährt er mitunter sogar mit seinem Rollstuhl über die Füße. Seine erste Frau Jane, die nach 26 Jahren Ehe ansonsten kaum ein gutes Haar an dem "Despoten Hawking" ließ, bescheinigt ihm: "Mit dem Verfall seine Körpers ist die Brillanz seines Geistes gewachsen." Sie sah es als Hauptaufgabe, ihn immer wieder daran zu erinnern, "dass er nicht Gott ist".
Mit einem Leben nach dem Tod rechnet er – Gott hin oder her – nicht: "Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren. Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer."
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