Wie trauert man "gesund"?

Allerheiligen lässt uns an die Toten denken. Wie geht man damit um, wenn jemand stirbt? KURIER Online sprach mit einer Trauerexpertin.

KURIER Online im Interview mit Christine Pernlochner-Kügler, Praxis für Thanatologie & Trauerarbeit - wie man mit dem Verlust eines geliebten Menschen fertig wird.

KURIER Online: Frau Pernlochner-Kügler, was ist gesunde Trauer?

Christine Pernlochner-Kügler: Trauer ist grundsätzlich ein gesundes, angeborenes Reaktionsmuster auf Verlusterlebnisse. Grundsätzlich ist Trauer also keine Krankheit, sie ist ein Heilungsprozess. Man kann sagen: Trauer ist Ausdruck und Bewältigung zugleich: Man muss durch die Trauer hindurch, man muss Trauer ausdrücken und durch den Schmerz hindurch, um sie zu bewältigen. Trauer ist auch Arbeit, das heißt, wir können aktiv etwas zur Bewältigung beitragen.

Von was hängt es ab, ob der Trauerprozess gesund verläuft?
Von verschiedenen Faktoren. Erstens vom konkreten Trauerfall: Unter welchen Umständen ist ein Mensch in meiner Umgebung verstorben und welche Beziehung hatte ich zu dem Menschen. Der Verlust von Kindern ist für Eltern meist schwieriger zu bewältigen als der Verlust der eigenen Eltern. Hier ist auch das Risiko größer,
dass Trauer erschwert oder pathologisch wird.
Zweitens wird der Verlauf von unserer Disposition beeinflusst: Wie stabil ist mein Leben gerade? Bin ich gesund? Wie alt bin ich? Wie funktioniert mein soziales Netz? Habe ich noch andere Verlust-Ereignisse oder Krisen, die ich noch nicht bewältigt habe etc.
Und drittens von den Bewältigungsstrategien, die wir anwenden: Menschen, welche aktive Bewältigungsstrategien anwenden, sind weniger gefährdet, dass Trauer pathologisch wird.
Aktive Bewältigungsstrategien begünstigen den Verarbeitungsprozess: Dazu
zählen alle Aktivitäten, die sich mit dem Verlust auseinandersetzen: Der
bewusste Abschied vom Verstorbenen, das Mitgestalten der
Trauerfeierlichkeiten, Literatur zum Thema, der Besuch von Trauer- und
Selbsthilfegruppen, Trauerforen im Internet, Trauerrituale, das
Auseinandersetzen mit dem, was passiert ist, der Besuch am Sterbeort,
die Grabpflege ...

Was passiert, wenn der Trauernde passiv bleibt?
Passive Strategien verzögern oder blockieren Bewältigung: Passive Strategien sind Strategien, in denen Menschen den Verlust verleugnen, die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen vermeiden und den Trauerschmerz unterdrücken (Medikamente, Alkohol, exzessives Arbeiten ...)
Trauer kann krankhaft werden, wenn sie durch passive Strategien blockiert wird, d.h. wenn wir sie nicht zum Ausdruck bringen und verdrängen, wenn wir in einer der Trauerphasen fixiert bleiben. Manche Menschen bleiben in der ersten Phase fixiert: Ganz am Anfang wird der Todesfall häufig verleugnet und als "nicht wirklich oder nicht wahr" erlebt. Das ist ein Schutzmechanismus, der an sich gut ist, aber es ist auch unsere Aufgabe, Stück für Stück zu realisieren, dass es eben doch "wahr ist".
Wenn der Tod auf Dauer verleugnet wird und wir dabei bleiben, kann kein Trauergefühl aufkommen und der Bewältigungsprozess kann nicht in Gang kommen.

Bleiben manche Menschen in dieser zweiten Phase hängen?
Ja, dann wird Trauer chronisch. Diese Menschen schaffen es nicht, aus dem Chaos von Schuld, Verzweiflung, Angst, Wut und Schmerz herauszukommen, weil sie diese Gefühle nicht angemessen zum Ausdruck bringen oder die falschen Bewältigungsstrategien verwenden. Sie schaffen es dann nicht, sich in ihrem Leben ohne den verstorbenen Menschen neu zu orientieren und sich an dieses neue Leben mit den Lücken und offenen Stellen anzupassen.
Die pathologischen Formen der Trauer sind sehr vielfältig. Es gibt auch verzögerte Trauerreaktionen – die Trauer kommt verzögert, mitunter Jahre verspätet zum Ausbruch. Oder übertriebene Trauerreaktionen, dabei sind die Trauergefühle so stark und unkontrollierbar, dass der Alltag nicht mehr bewältigbar ist.
Auch kann sich die Trauer körperlich ausdrücken, zum Beispiel fängt man sich dann jede Infektionskrankheit ein.

Was ist dann gesunde Trauer?
Menschen, die gesund trauern, können bald nach einem Todesfall den
Alltag wieder bewältigen. Wesentliches Merkmal ist auch, dass ich trotz
meiner Trauer wieder arbeits- und beziehungsfähig bin.
Der Trauerschmerz der gesunden Trauer kommt in Wellen, dazwischen habe
ich aber durchaus auch Phasen, in denen es mir besser oder sogar gut
geht. Die "guten Zeiten" brauchen wir in der Trauer, um uns vom Schmerz
zwischendurch zu erholen.
Wenn ich den "Wellengang meiner Trauer" nach einem halben Jahr oder nach
einem Jahr auf ein Blatt Papier aufzeichne, dann merke ich: Da gibt es
durchaus stürmische und schmerzhafte Zeiten, aber insgesamt werden die
Schmerzwellen flacher und ich kann mich dem neuen Lebensabschnitt, in
dem der verstorbene Mensch fehlt, langsam anpassen: Ich kann bestimmte
Lücken füllen und mit bestimmten "offenen Stellen" kann ich leben und
umgehen lernen.

Gibt es Abschiedsrituale, die helfen können?
Bei der Verabschiedung vom Verstorbenen, geht es um folgende vier Fragen,
deren Beantwortung dann das individuelle Abschiedsritual ergeben:
1. Was möchte ich dem Verstorbenen noch sagen und wie möchte ich es ihm
sagen? Sage ich es ihm am offenen Sarg oder am geschlossenen Sarg; will ich ihm das alleine sagen oder in der Gruppe; sage ich es laut, leise oder in Briefform?
2. Was kann ich noch für ihn tun? Will ich den verstorbenen Menschen selber ein letztes Mal waschen und ankleiden? Will ich ihn gemeinsam mit dem Bestattungspersonal in den Sarg einbetten?
- Wie gestalte ich den Abschied mit? Spielen wir seine Lieblingsmusik? Trinken wir seinen Lieblingswein? Gestalten wir seinen Sarg noch auf eine bestimmte Art und Weise...
3. Was möchte ich ihm mitgeben? Das kann sein ein Brief, ein Foto, persönliche Gegenstände oder ein bestimmter Duft.
4. Was möchte ich mir vom Verstorbenen mitnehmen, dass ich ihn nicht
vergesse und dass ich mit ihm in Verbindung bleibe (eine Haarlocke, ein
letztes Foto vom Verstorbenen, einen Verbindungsstein etc.)

Aus diesen vier Grundfragen und Informationen über Beruf, Hobbies,
Lieblingsmusik entsteht dann das Abschiedsritual mit der Familie und dem
Freundeskreis.

Ein besonders schönes Abschiedsritual…?
Was von Kindern und Erwachsenen gleichermaßen gut angenommen wird, sind die "Verbindungssteine": Wir haben da eine Schüssel mit bunten Glassternen. Kinder dürfen sich je zwei gleichfärbige Glassterne aussuchen: Einen legen sie dann in den Sarg zum Verstorbenen und einen dürfen sie selbst behalten. Über diese Steine bleiben sie mit dem Verstorbenen in Verbindung. Das ist eine gute Möglichkeit einem Kind zu erklären, dass es in der Trauerbewältigung nicht darum geht, den Verstorbenen so schnell wie möglich zu vergessen, dass der Trauerschmerz weggeht, sondern dass man in der Erinnerung mit dem Verstorbenen in Verbindung bleiben soll.

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