Handy-Konsum: Es gibt kein stilles Örtchen mehr

Das Smartphone ist überall: Menschen im mittleren Alter nutzen durchschnittlich zweieinhalb Stunden am Tag aktiv ihr Mobilgerät
Morgens liegt es schon griffbereit neben dem Bett. Wie sich exzessiver Handy-Konsum auswirkt.

Sie nutzen jede Gelegenheit, um zu tippen und zu wischen: Millionen Menschen greifen im Bus, in der U-Bahn oder am Klo zu ihrem Smartphone. Bei einer Enquete des "Berufsverbandes Österreichischer PsychologInnen" diskutierten Wissenschaftler über die Nutzung von Smartphones, Tablets und Computer und wann es "zu viel" ist.

Dass das Internet per se nicht süchtig macht, darüber sind sich die Experten einig. Es verführt allerdings zu Suchtverhalten, weil "Suchtmittel" wie Smartphones Teil unseres täglichen Lebens und jederzeit verfügbar sind. Und manche wollen sogar jederzeit verfügbar sein – auch wenn sie im Urlaub sind. "Warum starren wir in Situationen, wo wir maximale Entspannung erfahren, zum Beispiel am Strand, im Urlaub, auf einem Boot, auf Geräte?", fragt der Psychologe Christian Montag. "Wir genießen nicht, sondern nehmen die Welt durch Geräte wahr."

Gemeinsam mit Kollegen und Informatikern an der Universität Bonn hat er die App "Menthal Balance" entwickelt, die aufzeichnet, wie oft die Nutzer ihr Gerät aktivieren und wie viele Nachrichten sie schreiben. Montag und Kollegen nutzen sie vor allem für wissenschaftliche Zwecke (siehe unten), um zu messen, "ab wann von einem Zuviel zu sprechen ist."

Ihre Studie mit 2418 Teilnehmern hat gezeigt, Nutzer um die 25 Jahre sind durchschnittlich 162 Minuten pro Tag, zweieinhalb Stunden, auf dem Handy aktiv. Besonders hoch ist die Nutzung zu Hause: Demnach hat mehr als jeder Dritte sein Smartphone in den ersten fünf Minuten nach dem Aufwachen in der Hand, vier von zehn schauen in den letzten fünf Minuten vor dem Zubettgehen auf ihr Handy. Gepostet und gechattet wird vor allem auf dem Nachrichtendienst "WhatsApp", erst dann kommt "Facebook". Das sind laut Montag die größten Zeitfresser.

Internetsucht

Für Christian Montag ist die Handy-Nutzung ähnlich problematisch wie der Umgang mit Glücksspielautomaten. Obwohl übermäßiger Konsum zur Vernachlässigung wichtiger täglicher Aufgaben oder des direkten sozialen Kontakts führt, gibt es keine offiziell anerkannte Erkrankung. Auch Internetsucht ist keine offizielle Diagnose. Experten sprechen von problematischer Internetnutzung. Der chinesische Wissenschaftler Ran Tao, der Jugendliche in der Internetsuchtabteilung des Pekinger Militärspitals behandelt, hat einen Leitfaden erarbeitet, der die Symptome zur Diagnose von Internetsucht aufzeigt. Wer sich etwa gedanklich ständig mit dem Medium beschäftigt, ohne überhaupt online zu sein, oder körperliche Reaktionen, ähnlich wie Entzugserscheinungen, zeigt, gilt demnach als gefährdet.

Das Gehirn Internetabhängiger zeigt ähnliche Auffälligkeiten wie das von Menschen, die von Alkohol, Marihuana oder Kokain abhängig sind. Aufnahmen zeigen, dass jene Hirnregionen unterbrochen sind, die nötig sind, um Entscheidungen zu treffen und eigenes Verhalten zu kontrollieren.

Montag vergleicht die exzessive Smartphone-Nutzung mit dem Verhalten von Nikotin-Süchtigen. Ähnlich wie beim Rauchen hilft der Griff zum Smartphone, die Zeit zu überbrücken. Egal, ob eine Runde Quizduell oder eine SMS – jede Interaktion wird als eine Art Belohnung empfunden. Ob jemand Suchtpotenzial hat oder nicht, liegt in den Genen. "Wir wissen durch Zwillingsstudien, dass zirka 50 Prozent bei Internetsucht auf Genetik zurückzuführen ist, und 50 Prozent auf Umwelteinflüsse."

Digitalfrei

Ablenkung durch Nachrichtendienste oder eMails, die im Hintergrund laufen, bremsen die Produktivität und den Workflow der Menschen, erklärt Montag. Um produktiv zu bleiben, sollten eMail-Fenster geschlossen bleiben. Dennoch ortet er in der beruflichen Nutzung von Mobilgeräten und Internet ein geringeres Problem. "Wichtiger ist es, denn privaten Konsum zu reduzieren und das Schlafzimmer digitalfrei zu machen", sagt der Psychologe. Analoge Zeitgeber wie Armbanduhr oder Wecker können auch helfen, die Zeit zu strukturieren. Und wer das Handy nicht mehr als Wecker nutzt, vermeidet es, morgens im Bett Mails zu checken oder Nachrichten zu lesen.

Sie ist wie eine digitale Waage, die verrät, wie viel Zeit man täglich mit Telefonieren oder mit Handyspielen verbringt. Wer die Smartphone-App "Menthal Balance" herunterlädt, wird Teil eines Uni-Projekts, das den Umgang mit dem Mobiltelefon messen will.

Alle Kern-Daten werden anonymisiert an einen Server geleitet und danach von den Forschern ausgewertet. Eine ähnliche Handy-Technik wurde auch bereits für andere Projekte genutzt, etwa um Depressionen frühzeitig zu erkennen.

Mehr Infos: www.menthal.org

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