Sabine Oberhauser: "Es liegt an jedem und jeder Einzelnen, Zivilcourage zu zeigen"

Sabine Oberhauser
Hat HIV seinen tödlichen Schrecken verloren? Was wird gegen mögliche Diskriminierungen getan?

Was kann die Gesundheitspolitik bei der HIV- und Aids-Prävention besser machen? Der KURIER bat Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser zum Interview:

KURIER: Frau Bundesminister, obwohl HIV und Aids mittlerweile seit Jahrzehnten Thema in der Gesundheitspolitik sind, ist die Zahl der Neu-Diagnosen in Österreich konstant geblieben. Was läuft hier gesundheitspolitisch schief?

Sabine Oberhauser: Österreich ist im internationalen Vergleich ein Land mit niedriger HIV-Rate, das heißt, bei uns setzen sich mehrheitlich Risikogruppen einem erhöhen HIV-Infektionsrisiko aus. Die annähernd gleichbleibende Zahl an Neuinfektionen zeigt, dass es weiterhin dringend der Aufklärung und Information bedarf, um die Zahl der nicht beziehungsweise zu spät diagnostizierten HIV-positiven Personen zu senken. Nach wie vor erhält ein Großteil der HIV-positiven Menschen die Diagnose zu spät. Das wirkt sich sowohl auf das Risiko der Weitergabe bei unbekanntem Status als auch auf den Therapieerfolg nachteilig aus. Ziel- und risikogruppenspezifische Präventionsarbeit, Beratung und Testung stellen die Pfeiler der HIV-Strategie dar. In Österreich leisten die Aidshilfen hier wertvolle Arbeit.

Die Möglichkeiten der Therapie wurden besser, HIV-Infizierte können mit einer deutlich höheren Lebensqualität alt werden und sind voll arbeitsfähig. Hat Aids seinen Schrecken als lebensgefährliche Erkrankung eingebüßt?

Ein Stück weit sicherlich. Trotzdem stellt eine HIV- Neudiagnose nach wie vor einen großen Einschnitt dar, und man sollte nicht vergessen, dass eine HIV-Infektion trotz allen Fortschritts in der Behandlung nicht heilbar ist. Die Diagnose bedeutet eine lebenslange Therapie mit allen Einschränkungen.

Wird aus Ihrer Sicht genug getan, um insbesondere junge Menschen über die Risiken einer Ansteckung zu informieren?

Ein profundes Wissen über Sexualität beziehungsweise sexuelle Gesundheit ist sehr wichtig, gerade in jungem Alter. Diese Gruppe ist natürlich sehr vielfältig und man muss die Wissensvermittlung an die Bedürfnis- und Kenntnislage der Zielgruppe anpassen. Neben den jungen Menschen ist es wichtig, Erwachsene, die als Multiplikatoren mit Jugendlichen arbeiten, zu schulen.

Wie steht es generell um das Gesundheits- und Präventionsbewusstsein der Österreicher? Immerhin weist das Motto des Welt-Aids-Tages darauf hin, dass viele nicht wissen, wie es um ihre Gesundheit bestellt ist.

Die Senkung der "late presenter"-Rate, also der Personen, die lange mit der Infektion leben, ohne es zu wissen, hat absolute Priorität. Wie erwähnt, wird durch eine rechtzeitige Diagnose die Übertragungskette unterbrochen und ein Fortschreiten der Infektion hin zu einer manifesten Aids-Erkrankung erfolgreich verzögert oder verhindert. Im Allgemeinen wird in Österreich viel auf eine HIV-Infektion hin getestet, die Herausforderung besteht darin, auch an die Risikogruppen heranzukommen.

HIV-Infizierte und Aids-Kranke wurden und werden seit jeher diskriminiert bzw. angefeindet. Was kann die Politik leisten, um dem Einhalt zu gebieten?

Hier leisten die Aids-Hilfen in unserem Auftrag wichtige Arbeit, zum Beispiel mit der Einrichtung von Diskriminierungsmeldestellen und der systematischen Erfassung von Vorfällen. Oft ist die Angst vor Ausgrenzung bei einem positiven Testergebnis ein wesentlicher Grund, sich nicht testen zu lassen. Die Politik muss ihren Beitrag dazu leisten, das Stigma, das einer HIV-Infektion leider immer noch oft anhängt, zu beseitigen. Hier sind wir alle gefordert uns faktenorientiert mit dem Thema auseinanderzusetzen, aufzuklären und entschieden jeder Diskriminierung entgegentreten.

Welche Verantwortung trifft die nicht-infizierten Mitbürger?

Jeder und jede trägt eine Verantwortung, sich zu informieren. Die Politik kann unterstützen und Bewusstsein schaffen. Letztlich liegt es aber an jedem und jeder einzelnen, Zivilcourage zu zeigen und gegen Anfeindungen aufzutreten.

Was antworten Sie Bürgern, die sagen: "Ich brauch’ mir keine Gedanken machen, mich kann’s eh nicht treffen."

Das haben sich wahrscheinlich viele derjenigen, die jetzt mit ihrer Infektion leben, auch gedacht. Um die ehrgeizigen Ziele von UNAIDS zu erreichen – 2030 soll die Epidemie Geschichte sein – bedarf es der Anstrengung aller. Das Virus macht keinen Unterschied, warum sollten wir es tun?

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