Wie Pressefreiheit entstand

Illustration Pilar Ortega
Vor 250 Jahren führte Schweden in einem Europa der Zensur die Pressefreiheit ein. Heute ist sie in vielen Ländern eine Selbstverständlichkeit, an der aber gerade gesägt wird.

Würde ich in Ankara sitzen und Sie Ihre Zeitung bei einem türkischen Kaffee statt einer Melange lesen, gäbe es diese Zeilen nicht. Im Einflussgebiet des türkischen Präsidenten Erdoğan Zahlen über Inhaftierungen oder kritische Hintergründe zu schreiben, ist momentan undenkbar. Bei uns darf sogar öffentlich über Höchstgerichtsurteile diskutiert werden. Zumindest, seit es die Pressefreiheit gibt – in Österreich erst seit 1945.

Vor 250 Jahren wurde sie erstmals in einer Landesverfassung festgeschrieben, in Schweden. Damals, 1766, sehen sich Europas Regenten als von Gott gesandt. Gleichzeitig fordern Humanisten Gleichheit der Menschen, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Freiheit des Einzelnen. Auch der Finne Anders Chydenius ist ein Kind dieser geistigen Schule. Als Vertreter der Priester sitzt er im Parlament in Stockholm. Dorthin haben ihn die Menschen seiner Heimat Österbotten gewählt – Finnland ist Teil des schwedischen Königreichs.

Wie Pressefreiheit entstand
Anders Chydenius (1729-1803). Målning av Per Fjällström från år 1770, Nedervetil kyrka. Gemälde von Per Fjällström aus dem Jahr 1770, Nedervetil Kirche This work is in the public domain in its country of origin and other countries and areas where the copyright term is the author's life plus 70 years or less.
Chydenius soll Probleme lösen, die sich von unseren wenig unterscheiden: Reiche werden reicher, für einfache Menschen wird das Leben schwieriger. Der Priester ist für freie Märkte und für die Freiheit der Presse und Meinung. Wie es ihm gelingt, den König zu überzeugen, ist nicht überliefert. Adolf Fredrik unterschreibt am 2. Dezember 1766 die "tryckfrihetsförordningen", das Gesetz über die Pressefreiheit, auf das die Skandinavier bis heute stolz sind. Obwohl es nicht lange währt. Denn was Revolutionäre 1789 in Frankreich schafften, fürchtet auch der König im Norden. Schnell ist es vorbei mit der freien Presse. Es sollte noch dauern, bis sie sich durchsetzt.

Heute wird Pressefreiheit als selbstverständlich angesehen, kritisiert Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Grenzen (ROG). "Das sind Begriffe und Menschenrechte, die gepflegt werden müssen. Wenn man sie als selbstverständlich nimmt, werden sie nicht mehr wirksam." Auch bei uns. Etwa, als die Ermittler im Prozess gegen den TV-Reporter Ed Moschitz verlangten, das Redaktionsgeheimnis aufzuheben. Ein Skandal, der wenig beachtet wurde, kritisiert Möhring.

Transparenz

In Skandinavien wäre dies undenkbar. Seit Jahren rangieren die Länder unter den Top zehn der PressefreiheitFinnland sogar an erster Stelle. Begünstigt wird das von der finnischen Gesetzgebung, die Transparenz fördert, erklärt Elina Grundström, Vorsitzende von Finnlands Rat für Massenmedien. "Alle möglichen offiziellen Dokumente sind automatisch öffentlich zugänglich, mit Ausnahme sehr weniger Schriftsätze, die als geheim eingestuft werden." Was finnischen Journalisten aber Probleme bereitet: wirtschaftliche Einschränkungen und Facebook-Algorithmen.

Problematischer sehen die ROG-Experten die Entwicklungen in Ungarn. Dort überwacht ein von der Regierung kontrollierter Medienrat die Einhaltung des "öffentlichen Anstands". Zuletzt stellte man die regierungskritische Népszabadság ein, offiziell wegen Verlusten "bis zur Vorlage eines neuen Geschäftsmodells".Noch schlechter steht es um die Türkei, sagt Möhring. Das Land hat den größten Rückschritt gemacht. Sie beobachtete einige Medien-Prozesse: "Man hat den Eindruck, der Rechtsstaat sei ausgehebelt und es herrscht eine willkürliche Rechtssprechung." Wer als Journalist mit Rückgrat arbeiten will, gefährde seine Sicherheit. Da verwundert auch die Aussage des ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteurs, Can Dündar, im Interview mit der Zeit nicht: "In Schweden oder Finnland Journalist zu sein, hat keine Bedeutung. Aber es hat Bedeutung in der Türkei. In normalen Zeiten kann jeder Journalismus machen. Jetzt ist die Zeit für wahre Journalisten zu zeigen, was sie können."


Grafik:

Wege zur Presse- und Meinungsfreiheit (eine Auswahl):

1450: Zensur gibt es seit der Antike. Mit der Erfindung des Buchdrucks steigt das Bedürfnis vieler Herrscher nach Kontrolle.

1557: Die katholische Kirche führt ein Verzeichnis verbotener Bücher ein, den Index librorum prohibitorum, das erst 1966 aufgehoben wird.

1695: Auf Forderung von Humanisten verlängert das englische Parlament den „License Act“ nicht, de facto ist Zensur abgeschafft.

1766: Anders Chydenius finnischer Pfarrer, Philosoph und Politiker, betreibt in Schweden die Einführung des ersten Gesetzes über die Pressefreiheit, das Zensur stoppt.

1789: Die junge Französische Republik garantiert in Artikel 11 der Erklärung ihrer Menschen- und Bürgerrechte, die Meinungsfreiheit und ihre Verbreitung.

1791: Im Ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten steht die Freiheit von Meinung, Presse, Religion und Versammlung.

1819: Als Reaktion auf die Forderung nach Menschenrechten und aus Angst vor revolutionären Zuständen wie in Frankreich, treibt Staatskanzler Metternich die Karlsbader Beschlüsse voran: Eine Rückkehr zur Zensur. Die Wiener „Zehn Artikel“ verschärfen ab 1832 das Zensurwesen erneut.

1848: Die Revolution in Wien führt zum Sturz Metternichs und zur Pressefreiheit. Auch in Deutschland entstehen danach liberalere Pressegesetze.

1874: Die Schweizer Eidgenossenschaft gewährleistet ebenfalls die Pressefreiheit.

Erster Weltkrieg: Die kriegführenden Länder in Europa richten eigene Propaganda und Zensurstellen ein.

1917: Die Oktoberrevolution in Russland beendet das zaristische System, das Zensur- und Spitzelwesen geht auch in der UdSSR weiter.

1918: Die provisorische Nationalversammlung hebt die Zensur in Österreich wieder auf – bis 1933.

1933: „Gleichschaltung der Presse“ unter NS-Herrschaft in Deutschland, später bis Kriegsende auch in Österreich.

1945: Am 27. April tritt das Recht der Pressefreiheit wieder in Kraft.

1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen: Freiheit der Meinung, Meinungsäußerung und der Presse sind grundlegende Menschenrechte.

1949: DDR-Verfassung: keine Pressezensur, Freiheiten innerhalb der allgemein gültigen Gesetze – in der Realität aber unmöglich.

1985: Die NGOReporter ohne Grenzen“ wird in Paris gegründet. Sie setzt sich für die Pressefreiheit und gegen die Zensur ein.

1990: Wegen angeblich fehlender Beachtung von Religion und Kultur in der Allg. Erklärung der Menschenrechte der UN kommt es zu einer eigenen Deklaration der Menschenrechteim Islam, basierend auf der Scharia. 45 Staaten unterzeichnen.

1991: UNESCO-Deklaration von Windhoek: Schaffung einer unabhängigen, pluralistischen und freien Presse als „Eckstein für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung“.

2015: Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, ein Rückschlag für die Pressefreiheit.

Kommentare