Vom Kajak ins Koma – und zurück

Vom Kajak ins Koma – und zurück
Nach einem Kajak-Unfall war Wolfgang Kerber klinisch tot. 100 Tage später hat er bereits wieder Sport betrieben.

Der Mann trägt weiße Sandalen, violette Shorts und einen grauen Rauschebart. Schaut so ein "wilder Hund" aus (so wird er von Freunden beschrieben)? Ja.

Wolfgang Kerber ist (pensionierter) Physiker und Extremsportler. Da Kern­resonanz, dort Klettern und Kajak fahren. Wissenschaft und Leidenschaft. Das passt zusammen, sagt der 69-Jährige. "Für mich war der Sport Ausgleich zum Studium und zum Beruf."

Das eine sicherte sein Leben, das andere kostete ihn beinahe das Leben.

Der Unfall

Der 13. März 1999 ist ein bitterkalter Tag, an dem Eiszapfen von den Bäumen hängen. Kerber: "Die 13 ist meine Glückszahl. Darum habe ich überlebt."

Bei einem verlassenen Gasthaus in der Nähe von Türnitz (NÖ) lässt er sein Kajak in die Traisen – das ist die letzte Erinnerung des drei­fachen Familienvaters. Wochen später wird er im AKH Wien aufwachen. Was dazwischen passiert ist, kennt er nur aus Erzählungen.

Beim Befahren einer Wehranlage kentert er; er wird aus dem Boot gespült und gerät neben dem Boot in die Walze. Sein Begleiter sieht, wie Kerber verzweifelt versucht, an die Oberfläche zu gelangen. Der Freund versucht noch, ihn mit einem Wurfsack aus dem eiskalten Wasser zu ziehen, doch da hört Kerbers Herz zu schlagen auf. Der leblose Körper lässt das Seil los, treibt zur Flussmitte und geht unter.

Die Bergung

Vom Kajak ins Koma – und zurück

Dem Freund gelingt es schließlich, Kerber zu packen, als dieser bereits im seichten Gewässer treibt, und ihn ans Ufer zu zerren.

Seit Minuten steht das Herz des Sportlers still, die Lungen sind voll mit Wasser, seine Körpertemperatur beträgt nur noch 24 Grad; er ist klinisch tot. Ein Autofahrer hält; er ist zufällig bei der Bergrettung und weiß, was zu tun ist: Er versucht Kerber mit Herzmassage zu reanimieren. "Vom Hals weg war alles blau", erzählt der Helfer später. Der Notarzt trifft ein, spritzt Adrenalin und intubiert ihn. Und plötzlich fängt das Herz zu schlagen an.

Im Krankenhaus Lilienfeld verschlechtern sich Kerbers Werte rapide. Die Diagnose: Schocklunge. Seine Chancen: schlecht.

Doch Kerber hat wieder Glück. Im AKH erfährt der damalige Leiter der Intensivmedizin, Michael Zimpfer, von Kerbers Fall. Er lässt ihn nach Wien fliegen und hängt ihn an die damals einzige Herz-Lungen-Maschine des Landes. Acht Tage lang liegt Kerber im Koma, drei Wochen im künstlichen Tiefschlaf.

Heute weiß Kerber: "Wäre ich nicht ins AKH gekommen, könnte ich kein Interview mehr geben." Zugleich eine bedrückende Erkenntnis: "Es muss einem als Pa­tient bewusst sein, dass man Pech hat, wenn man im falschen Spital behandelt wird."

In den USA gibt es keine einzige dieser Maschinen. Zu unwirtschaftlich, heißt es.

Jetzt, 13 Jahre (Glückszahl!) nach dem Unfall, hat Wolfgang Kerber ein Buch geschrieben. Um seine Erlebnisse aufzuarbeiten. Um seinen Helfern zu danken. Und um den Lesern zu sagen: "Ich glaube, dass irgendwas, nennen wir es Gott, unser Leben führt. Man braucht vor dem Tod keine Angst zu haben."

Die hat Wolfgang Kerber bestimmt nicht. 100 Tage nach seinem Unfall arbeitete er wieder in seinem alten Beruf und unternahm Klettertouren und Kajakfahrten – darunter einige Erstbefahrungen. "Die Risikobereitschaft ist geblieben. Ich bin noch immer bereit, an die Grenzen zu gehen."

Auch in weißen Sandalen und violetten Shorts.

Tipp: Unfall & Reha Diese Woche erschien das Buch von Wolfgang Kerber und Michael Zimpfer "Aus dem Koma zurück an die Universität". Seifert Verlag, 22,90 Euro.

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