Integration: "Den Kindern fehlt es an Vorbildern"

Integration: "Den Kindern fehlt es an Vorbildern"
Eine Volksschuldirektorin beklagt, dass Eltern die Wichtigkeit von Bildung nicht vermitteln.

Andrea Holzinger ist Direktorin einer Schule, wie es viele in Wien gibt: 88,5 Prozent der Schüler sind Migranten, in vielen Familien hat Bildung keinen hohen Stellenwert. Im KURIER spricht sie über Sprachprobleme, Parallelgesellschaft und Ganztagsschule.

KURIER: Was sind für Sie die größten Herausforderungen?

Andrea Holzinger: Den Kindern fehlt es an Vorbildern, die zeigen, dass Bildung wichtig ist. Wir können da schwer gegensteuern. Ich kann einen 14-Jährigen motivieren, indem ich sage, dass er für sein Leben verantwortlich ist. Bei einem Siebenjährigen tu’ ich mir schwerer. Unsere Kinder wissen nicht, dass sie etwas anderes wollen könnten. Wir sehen zwar, dass da ein Potenzial ist, werden aber ausgebremst.

Von den Eltern?

Zumindest von einigen. Viele ethnische Gruppen haben eine Community gebildet, in der es nicht nötig ist, Deutsch zu lernen. Die haben den Supermarkt, Ärzte oder Freunde in der Muttersprache – so entstehen Parallelgesellschaften. Jene Migranten, die seit 20 Jahren hier leben und kaum Deutsch können, vermitteln den Kindern: Wozu Deutsch lernen? Integration ist so fast unmöglich.

Wie erleben Sie den Umgang mit Migranten?

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Einige versuchen extrem, ihre Religion und Kultur anderen aufzuzwingen oder provokant nach außen zu tragen – etwa, indem der Vater einer Frau nicht die Hand gibt. Ich strecke meine Hand trotzdem aus. Wenn er sie nicht geben will, ist das auch okay, denn wenn die Zusammenarbeit gut ist, soll es daran nicht scheitern.

Was wäre nötig, um gegensteuern zu können?

Darüber denke ich seit zwanzig Jahren nach und habe keine Lösung. Es heißt, man müsse Eltern einladen, was wir versucht haben, doch selten funktioniert. Bei vielen Buchstabentagen kommt kein Elternteil, weil es niemanden interessiert. Man müsste die Eltern mehr in die Pflicht nehmen, auch beim Thema Schulpflicht. Jährlich fordern Eltern z.B., dass die Sommerferien für ihre Kinder verlängert werden. Sie sind komplett erstaunt, wenn ich das ablehne und sage, dass wir eine Schulpflicht haben.

Ist Schulschwänzen immer noch ein Thema?

Es gibt heimliche Schulverweigerer, wo z.B. ein Kind jeden Montag krank ist. Ein Mädchen erzählte mir, dass sie gerne in die Schule gehen würde, aber die Mama sie nicht bringt. Oder die Eltern beantragen einen Fahrtendienst, weil es ihnen zu mühsam ist, das Kind zu bringen. Diese Eltern sind nicht immer faul, aber sie sind sich ihrer Verantwortung nicht bewusst und haben keinen Blick für die Zukunft. Ich dokumentiere das in endlosen Tabellen und melde es den Behörden, aber am Ende kommt nichts heraus.

Viele beklagen, dass Kinder aus der Volksschule entlassen werden, die kaum lesen können.

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Lesen können sie – das Zusammenlauten ist nicht das Problem. Es hapert aber beim sinnerfassenden Lesen, und zwar nicht nur bei Migranten: Die Sprache verarmt. Weil zu wenig vorgelesen wird, verstehen die Kinder viele Begriffe nicht. Wir arbeiten zwar an der Erweiterung des Grundwortschatzes, doch wir bräuchten hierfür mehr Zeit. Und wenn Kinder erst in der Volksschule beginnen, Deutsch zu lernen, ist das zu wenig, denn es braucht sechs Jahre, um in einer Zweitsprache firm zu sein.

Was wäre die Lösung?

Leider ist bei uns Schule kein Lebens-, sondern ein Lernraum. Unsere Kinder schauen, dass sie um 13 Uhr aus dem Haus gehen. Da die Lehrer bei uns lange da sind, wäre es kein Problem, wenn die Kinder noch länger bleiben würden. Auch gemeinsam Essen würde verbinden.

Es gibt doch einen Ausbau der Ganztagsschulen.

Ich leite eine Halbtagsschule. Viele kommen während des Schuljahrs aus Ganztagsschulen zu uns, weil Eltern den Essensbetrag nicht bezahlt haben. Zudem haben Kinder, bei denen ein Elternteil nicht arbeitet, keinen Anspruch auf einen Ganztagesplatz. Dabei wäre eine Ganztagsschule für diese Kinder so wichtig. Dort bekommen sie Hilfe beim Lernen, und sie sprechen deutsch – sobald Kinder aus vielen verschiedenen Ländern zusammen sind, ist das kein Problem.

Wünschen Sie sich eine einfachere Handhabe, um Eltern zur Kooperation zu bewegen?

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Man könnte diskutieren, dass man die Familienbeihilfe zweckgebunden macht. Ich frage mich: Wie kann es sein, dass ein Drittel meiner Kinder in Österreich geboren ist, aber bei der Einschulung kein Wort Deutsch kann? Wenn ich nachfragen will, wie regelmäßig es den Kindergarten besucht hatte, muss ich eine Menge an Formularen ausfüllen. Viele Eltern sagen auch, sie hätten keinen Platz bekommen.

Wünschen Sie sich, konsequenter sein zu können, um z.B. nachsitzen zu lassen?

Wir sind jetzt schon konsequent. Wenn ein Kind seine Aufgaben nicht erledigt, kann es sein, dass wir es in Absprache mit den Eltern dazu verpflichten, das in der Schule nachzuholen. Was uns noch fehlt, ist eine Sozialarbeiterin, die täglich fix an der Schule ist. Derzeit ist eine Kraft für vier Stunden pro Woche da, was zu wenig ist. Was ich mir noch wünsche: Kleinere Klassen und eine Sekretärin – da könnte ich mich besser auf die pädagogische Arbeit konzentrieren.

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