Tamiflu: Neue Zweifel an Wirksamkeit

Tamiflu: Neue Zweifel an Wirksamkeit
Die nächste Grippe-Welle ist im Anrollen. Das Mittel Tamiflu soll Komplikationen seltener verhindern als angenommen.

Ende Jänner, Anfang Februar könnte die Grippewelle Österreich erreichen – „wir hatten bisher nur ganz wenige Fälle, aber die Grippe kann jederzeit ausbrechen“, meint Paul Prem, medizinischer Leiter des Wiener Ärztefunkdienstes. Schon jetzt ist die Diskussion über das Grippe-Medikament Tamiflu voll im Gange. Eine aktuelle Übersichtsarbeit der unabhängigen Cochrane-Collaboration zweifelt an der Wirksamkeit des Medikaments. Dafür analysierte sie auch Daten, die zwar im Rahmen der Zulassungsverfahren den Behörden vorgelegt, aber bisher noch nicht publiziert wurden:

Laut den Autoren sind 60 Prozent der Patientendaten aus Phase-III-Studien (die Grundlage für eine Zulassung eines Medikaments, Anm.) nie veröffentlicht worden. Die Autoren kritisieren, dass sie keinen vollständigen Zugang zu allen Studiendaten hatten. Die Zeit, bis eine Linderung der Symptome eintritt, konnte zwar im Schnitt um 21 Stunden (von 160 auf 139) verkürzt werden.

Es gebe aber keinen Nachweis, dass die Zahl der Komplikationen wie z. B. Krankenhausaufenthalte reduziert werden konnte. Fazit der Autoren um Tom Jefferson: Das Mittel sei weniger wirksam und habe mehr Nebenwirkungen als vom Hersteller angegeben.

Das ist Rückenwind für Wolfgang Becker-Brüser von der pharmakritischen Zeitschrift arznei-telegramm: „Tamiflu sollte schwere Folgen von Influenza verhindern – es ist erschreckend, dass solche Beträge für ein Mittel ausgegeben wurden, das seinen Zweck gar nicht erfüllt.“

Beim Hersteller Roche weist man das zurück: Tamiflu könne Schwere und Dauer einer Infektion wirksam reduzieren – sowohl die Symptome, als auch Folgekomplikationen (z. B. Lungenentzündungen). „Unabhängige Analysen belegen, dass Tamiflu zudem mögliche Spitalsaufenthalte verkürzt und die Überlebenschance im Fall einer Infektion erhöht“, sagt Roche-Sprecherin Nicole Gorfer. Der Cochrane Gruppe sei das gesamte Studienmaterial zur Verfügung gestanden, das auch den Gesundheitsbehörden für die Zulassung zugänglich war. Roche verweist überdies auf eine unabhängige Analyse der Harvard School of Public Health: Demnach reduziere Tamiflu bei einer gesicherten Influenza-Infektion Atemwegsinfektionen mit Antibiotika-Behandlungsbedarf innerhalb von 24 Tagen um 37 Prozent.

Auch die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) kam in einer Sitzung Anfang dieser Woche zu dem Schluss, dass das Nutzen-Risiko-Profil des Präparates weiterhin als positiv zu beurteilen ist.

24 Stunden

Tamiflu: Neue Zweifel an Wirksamkeit

„Die Wirkung von Tamiflu steht und fällt mit dem Zeitpunkt des Behandlungsbeginns – 24 Stunden nach dem Einsetzen der ersten Symptome ist es sinnlos“, betont der Infektionsspezialist Univ.-Prof. Herwig Kollaritsch. Er würde Tamiflu außerdem nur bei einem Patienten einsetzen, der eine Grunderkrankung hat, die sich mit Influenza deutlich verschlechtern würde. „Bei leichten Verläufen ist Tamiflu sinnlos“, betont auch Univ.-Prof. Christoph Wenisch vom Kaiser-Franz-Josef-Spital: „Aber bei schweren Fällen tun wir alles, damit der Patient gesund wird. Und da gehört Tamiflu dazu.“

Die Experten warnen allerdings davor, das Mittel eigenverantwortlich ohne Rücksprache mit einem Arzt einzunehmen. „Diese unkontrollierte Einnahme hat die Resistenzen gegen Tamiflu erhöht. Es ist heute sicher nicht mehr so wirksam wie vor drei Jahren“, meint der Präventionsspezialist Franz Piribauer.

Vorräte: Haltbarkeit um zwei Jahre verlängert

Tamiflu: Neue Zweifel an Wirksamkeit

Kassen zahlen – Wird vom Department für Virologie der MedUni Wien offiziell eine Grippewelle ausgerufen, sind die (rezeptpflichtigen) Anti-Grippemittel (Tamiflu, Relenza) nicht mehr extra bewilligungspflichtig. Sie werden dann von den Kassen ohne Rückfrage des Arztes bezahlt.

Seit 2004 sind in Österreich beim Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen elf Meldungen in Zusammenhang mit unerwünschten Wirkungen von Tamiflu bekannt. Die letzte Fallmeldung ging 2009 ein. „Alle sind als nicht schwerwiegend einzustufen“, heißt es bei der Behörde.

Österreich hat in Lagern des Bundesheeres und der Bundesländer Kapseln und reinen Wirkstoff von Tamiflu (sowie auch Handelsware von Relenza) für zirka 40 Prozent der Bevölkerung gelagert. Die Kapseln wären 2010 bzw. 2011 abgelaufen. Die Europäische Arzneimittelbehörde hat aber aufgrund von Stabilitätsdaten, die eine längere Haltbarkeit belegen, diese um vorerst zwei Jahre verlängert. Dies gilt auch für Packungen, die man zu Hause gelagert hat.

 

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