Die letzten Geheimnisse der "Sofi"

Forschungsflug zur Sonnenfinsternis
US-Astonomen nutzen die morgige totale Sonnenfinsternis: Zwei Forschungsflugzeuge starten.

Albert Einstein? Wer? – Unvorstellbar aber wahr: Vor dem 29. Mai 1919 war der heute weltberühmte Physiker außerhalb von Fachkreisen völlig unbekannt. An diesem Tag zog eine totale Sonnenfinsternis über die Karibik, und Einsteins bis dahin unbewiesene Allgemeine Relativitätstheorie, die eine Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne voraussagte, wurde in einem Experiment erstmals bewiesen. Eine neue Ära der Physik war angebrochen. Die britsche Zeitung "Times" titelte: "Wissenschaftliche Revolution" und Einstein wurde schlagartig zum weltbekannten Genie.

Derartige Meilensteine sind von der totalen Sonnenfinsternis, die morgen quer über Nordamerika zu erleben ist, nicht zu erwarten. "Bis vor 50 Jahren war eine Sonnenfinsternis die einzige Möglichkeit diese Schichten zu erforschen. Heute wird die Sonne mit Satelliten beobachtet. Die wissenschaftliche Bedeutung einer Sonnenfinsternis ist also bei weitem nicht mehr so groß wie früher", sagt Arnold Hanslmeier, Astrophysiker an der Universität Graz. Spannend sei es trotzdem: "Während einer totalen Sonnenfinsternis sieht man die äußersten Schichten der Sonne, die Chronosphäre und die Korona." Und über die rätseln Forscher bis heute.

Während die Oberfläche der Sonne etwa 6000C. heiß ist, steigt die Temperatur in Korona und Chronosphäre auf mehrere Millionen Grad. Hanslmeier: "Normalerweise würde man erwarten, dass es kühler wird, je weiter man sich von der Oberfläche wegbewegt. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Wie es dazu kommt, ist noch nicht verstanden."

Fliegende Teleskope

Zwei Forschungsflugzeuge, US-Bomber, die bereits im Kalten Krieg im Einsatz waren, könnten das morgen ändern: Sie starten von den Ellington Fields nahe dem Nasa-Hauptquartier in Houston und werden während der Sonnenfinsternis die Korona, jenen zart leuchtenden Kranz rund um die Sonne, der normalerweise vom intensiven Sonnenlicht überstrahlt wird, mit bisher unerreichter Präzision vermessen. Die beiden Jets vom Typ WB-57F sind vollgestopft mit Messinstrumenten. Darunter: stabilisierte Teleskope, die mit HD-Hochgeschwindigkeitskameras für den optischen und infraroten Wellenlängenbereich ausgestattet sind.

Die letzten Geheimnisse der "Sofi"
Kurier-Grafik: Breineder, Sonnenfinsternis USA 2017 Bild: iStockphoto
Mehr über die Sonne zu wissen, könnte sich durchaus positiv auf die Erde auswirken: Die Korona ist eine der wichtigsten Quellen für magnetische Stürme auf der Erde, die nicht nur Satelliten im Orbit beeinträchtigen, sondern auch elektronische Systeme auf der Erde stören können. Im schlimmsten Fall bricht die Stromversorgung zusammen.

Sogar der Energiehaushalt unseres Planeten ist morgen Forschungsinteresse: Wenn der Mond die Sonne verdunkelt, wird es Nacht auf der Erde. Nicht nur das Licht schwindet, auch die Temperatur sinkt. Eine Chance, zu überprüfen, wie viel Sonnenenergie von der Erdatmosphäre absorbiert und wie viel in den Weltraum zurückreflektiert wird. Hanslmaier: "Der Einfluss auf biologische System ist sicher ein interessanter Aspekt, denn viele Detailfragen sind da noch zu klären."

Wozu Flugzeuge?

Die Wanderung der Verdunklungszone vom Pazifik bis zum Atlantik wird 93 Minuten dauern. Für jeden Beobachter innerhalb dieses Streifens wird sich die Sonne vom Mond jeweils für zwei Minuten und 40 Sekunden verdunkeln. Die Nasa-Forschungsflugzeuge sind zwar nicht so schnell wie der Mond, können aber doch eine Zeit lang parallel zur Mondbahn innerhalb der Schattenzone fliegen. So können die Messgeräte an Bord mehr als sieben Minuten Sonnenfinsternis nutzen. Keiner erdgebundenen Station steht so viel Zeit für Messungen zur Verfügung. Der Flug ist also ein Weltrekord.

Viele kleine Einsteins

Sogesehen ist die Sonnenfinsternis Spektakel und Chance zugleich. Eine Chance das angeschlagene Image der Forschung im zunehmend wissenschaftsfeindlichen Amerika aufzupolieren. Denn: US-Amateur-Astronomen, vor allem Schulen in der Finsterniszone, sind aufgerufen, das Einstein-Experiment von 1919 zu wiederholen. "Heute kann man das mit Amateurmitteln machen", sagt Hanslmeier. "Da sieht man den großen Fortschritt von Wissenschaft und Technik."

Nicht jeder betrachtet eine Sonnenfinsternis so nüchtern wie die Wissenschaft. Im Lauf der Geschichte galt die Nacht am Tag als göttliches Zeichen.

  • Im sechsten vorchristlichen Jahrhundert trafen Meder und Lyder just in jenem Moment in einer Schlacht in der heutigen Türkei aufeinander, als der Tag zur Nacht wurde. Die tief ergriffenen Krieger sahen der Erzählung zufolge in der plötzlichen Finsternis ein Zeichen der Götter – und schlossen erschrocken Frieden. Der griechische Naturphilosoph Thales von Milet hatte die Sonnenfinsternis übrigens vorhergesagt.
  • Was im antiken Kleinasien Frieden stiftete, wurde in China zwei Astronomen zum Verhängnis. Glaubt man der altchinesischen Chronik "Buch der Urkunden", arbeiteten Hsi und Ho als Hofastronomen im alten China. Sie tranken allerdings auch gerne einen über den Durst. Eines Tages vernebelte ihnen der Alkohol offenbar derart die Sinne, dass sie vergaßen, die Sonnenfinsternis vom 22. Oktober 2137 v. Chr. vorherzusagen. In ihrer Stellung ein fataler Fauxpas. Im alten China glaubte man nämlich, dass bei einer Sonnenfinsternis ein Drache versuche, die Sonne zu verschlingen. Der Kaiser sandte deshalb stets Soldaten aus, wenn es so weit war. Sie sollten Pfeile in den Himmel schießen, und so den Drachen ablenken. Aber ohne Warnung konnte der Kaiser seine Truppen nicht zusammenrufen. Und die beiden Astronomen wurden geköpft.
  • Auch für einen gewissen Nat Turner markierte eine Sonnenfinsternis den Anfang seines Endes. Der schwarze Sklave erlebte am 12. Februar 1831 im US-Bundesstaat Virginia, wie sich der Mond vor die Sonne schob. Für den gläubigen Turner ein göttliches Zeichen: Er begann, sich für eine Rebellion zu wappnen. Ein halbes Jahr später initiierte er den größten Sklavenaufstand in der Geschichte der USA. Mehrere Hundert Menschen kamen ums Leben – als Opfer von Turner und seinen Mitverschwörern, aber auch als Opfer eines wütenden Mobs von Weißen. Turner selbst wurde gefangen genommen, erhängt und gehäutet.
  • Auch für gläubige Hindus bringt die Sonnenfinsternis nichts Gutes: Die indische Mythologie besagt, dass bei einer Sonnenfinsternis der Dämon Rahu versucht, den Sonnengott Surya und damit das Leben auf der Erde in Gefahr zu bringen. Sie vermeiden es, während der Sonnenfinsternis zu essen und zu trinken. Um sich vor Gefahren zu schützen, nehmen mehrere Millionen gläubiger Hindus bis heute während einer Sonnenfinsternis rituelle Bäder.

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