Social Media als Lustkiller

Social Media als Lustkiller
Paare beschäftigen sich im Bett lieber mit Laptop und Smartphone statt miteinander.

Online-Gezwitscher statt Bettgeflüster? Zweisame Momente und die Beschäftigung miteinander gehen zunehmend auf Kosten von Facebook und anderen sozialen Netzwerken verloren. Das legt eine aktuelle Studie nahe, die das Sexleben von 15.000 Briten untersucht hat. Demnach haben die 16- bis 44-Jährigen weniger als fünf Mal pro Monat Sex – gegenüber früher eine Reduktion um 20 Prozent. Die Schlussfolgerung der Forscher: Das moderne Leben wirkt sich negativ auf die Lust aus.

Studienleiterin Cath Mercer vom University College: „Einerseits haben die Menschen Angst um ihre Arbeit und ihre Finanzen. Sie sind nicht in der Stimmung für Sex.“ Doch Job- und Geldsorgen gab es immer schon – da liegt die nächste Theorie viel näher: „Sie beschäftigen sich ständig mit ihren Tablets und Smartphones und nehmen sie mit ins Schlafzimmer, um Twitter und Facebook zu verfolgen und eMails zu beantworten.“

Innerlich abwesend

Diese Erklärung ist für Internetpsychologin Sandra Gerö nicht von der Hand zu weisen: „Die Menschen beschäftigen sich nicht nur im Schlafzimmer mit ihrem Handy, sondern auch bei anderen Aktivitäten. Beim Esstisch oder beim Treffen mit Freunden wird es gutgeheißen, innerlich abwesend zu sein.“ Die Diskussion auf Facebook, Twitter und Co. sei wichtiger geworden als das gepflegte Gespräch an einem realen Tisch mit Menschen, die man in Wirklichkeit kennt.

Dass das kein rein britisches Problem ist, zeigte erst kürzlich eine Umfrage von Marketagent.com, die ergab: Österreicher verzichten lieber eine Woche auf Sex als auf ihr Handy. Sechs von zehn nehmen ihr Handy mit ins Schlafzimmer. Gerö vergleicht dieses Verhalten mit der Angewohnheit, am Frühstückstisch Zeitung zu lesen. „Auch dabei ist man innerlich abwesend. Das Desinteresse ist schon vorher da und man nimmt sich die Zeitung oder das Handy, um sich nicht miteinander auseinandersetzen zu müssen.“

Ansprechen

Als ersten Schritt, um eine solche zwischenmenschliche Sprachlosigkeit aufzulösen, sollte man das Problem ansprechen. „Es ist wichtig, das Problem bewusst zu machen. Man muss aktiv eine Bremse ziehen und sich ausmachen, dass das Internet hier jetzt keinen Platz hat.“

Damit will Gerö Internet und Smartphones jedoch keinesfalls verteufeln. „Es kann auch ein Medium sein, in dem man sich gemeinsam bewegt. Es ist wichtig, darüber reden zu können und es auch wieder abdrehen zu können. Die Qualität macht es aus.“ Die Psychologin zieht einen Vergleich zum TV-Konsum: „Ich kann ein Kind vor den Fernseher setzen, damit es ruhig ist, oder mit ihm darüber reden, was gezeigt wird. So kann ich die Inhalte im Internet für gemeinsame Gespräche mit dem Partner verwenden oder, um mich abzuschotten.“

Pornografie

Die Briten hatten eine weitere Theorie, warum das Internet ihr Sexleben reduziert. Internet-Pornografie würde oft als Ersatz herhalten. Das bestätigt Christina Raviola vom Institut für Sexualpsychologie in Wien, jedoch sieht sie auch zunehmend Schwierigkeiten in der Anbahnung von Paaren. „Bei Männern hat das zu starker Verunsicherung geführt, unrealistische Erwartungen erfüllen zu müssen.“ Der Blümchensex sei zurückgegangen, „andererseits hat das Internet die Optionen verbreitet, sexuelle Vorlieben auszuleben“. Dieser Bereich habe stark zugenommen.

Gerö regt auch hier dazu an – je nach Offenheit des Paares – pornografische Inhalte gemeinsam zu nutzen. So können Paare auch miteinander lustvoll zwitschern.

Über Oxytocin, das für Bindung verantwortliche Hormon, gibt es viele Theorien. Wann es genau ausgeschüttet wird, ist laut der klinischen Psychologin Christina Raviola nicht ganz klar. „Fakt ist, dass bei frisch Verliebten, bei Paaren mit einer guten Beziehung, bei Eltern und beim Sexualakt erhöhte Oxytocin-Werte festzustellen sind. Je besser es ausgeschüttet wird, desto höher ist der Bindungsfaktor.“

Das untermauert nun eine aktuelle Studie an der Universität Bonn, die im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde. Demnach erscheint Männern die eigene Partnerin subjektiv attraktiver, wenn sie eine erhöhte Oxytocin-Dosis im Gehirn haben – andere Frauen jedoch nicht. Um das zu erforschen, haben die Forscher 40 heterosexuellen Männern in Partnerschaften ein Oxytocin-Nasenspray verabreicht und die Auswirkungen des Hormon-Schubs dokumentiert – bei einem weiteren Versuch bekamen sie ein Placebo.

Studienleiter Prof. René Hurlemann erklärt: „Bei Oxytocin war das Belohnungssystem im Gehirn der Männer beim Anblick der Partnerin sehr aktiv und sie empfanden sie auch attraktiver als die fremden Frauen.“

Der Effekt wurde in einer weiteren Untersuchungsreihe mit Bildern von langjährigen Bekannten und Kolleginnen getestet – demnach reiche bloße Vertrautheit nicht aus, um den Bindungseffekt zu stimulieren. Es müsse sich schon um Liebespaare handeln, sind die Wissenschaftler überzeugt. Hurlemann: „Dieser biologische Mechanismus ist einer Droge sehr ähnlich.“ Sowohl in der Liebe als auch beim Konsum von Drogen würden Menschen nach der Stimulation des Belohnungssystems streben.

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