Schöngeschnipselt: Mit dem Skalpell zu mehr Glück ?

OPs
Ab morgen legen sich auf Puls4 zwölf Frauen vor TV-Kameras unters Messer. Experten halten die Anpreisung ästhetischer Eingriffe als „Mode-Operation“ für sehr bedenklich.

Nach zwei Schwangerschaften leidet Christine, 28, aus Wien unter ihren schlaffen Brüsten und schwabbeligem Gewebe im Bauchbereich. Das belastet auch ihre Ehe enorm: Christine schämt sich und vermeidet es, dass ihr Mann sie nackt sieht. Deswegen geht sie zum Beispiel immer vor ihm zu Bett. Mit dem privaten Fernsehsender Puls4 und dessen neuer Serie „Endlich schön“ (Serienstart morgen, Montag) hofft die Wienerin mit elf anderen Teilnehmerinnen auf ein glücklicheres Leben – unter dem Messer von Schönheitschirurgen.

Puls4 bewirbt sein neues Format euphorisch: Die Operation sei „die Wende in eine glücklicheres Leben“ gewesen. Kritiker finden Aussagen wie diese höchst bedenklich. „Ich habe gehofft, dass diese Formate längst überholt sind. Ich bin entsetzt, dass das jetzt wieder kommt“, sagt Univ.-Prof. Beate Wimmer-Puchinger, Frauenbeauftragte der Stadt Wien. Sie findet den Ansatz falsch. „Wir wissen aus Studien, dass dies Nachahmer anlockt.“

Die Psychologin meint, man müsste genauer hinschauen, anstatt gleich das Skalpell anzusetzen. „Es werden falsche Botschaften ausgeschickt. Nämlich, ,alles ist möglich, weil man ja eh operieren gehen kann‘. Mädchen wachsen schon mit diesem Lebensgefühl auf und lernen gar nicht mehr, sich in und mit ihrem von der Natur gegebenen Körper anzufreunden und ein Selbstwertgefühl zu entwickeln.“

Schöne Jugend

Schöngeschnipselt: Mit dem Skalpell zu mehr Glück ?
Jugendliche sind überhaupt eine Zielgruppe geworden: Die Brustvergrößerung als Maturageschenk und der Traumberuf Model – das ist bei vielen Schülerinnen en vogue. Dazu passt, dass Intimchirurgie zunimmt. In jeder Altersgruppe, besonders aber bei jungen Menschen, die mit anderen Körperidealen aufwachsen. Gerade Schamlippenkorrekturen hält der Medizin-Journalist Hans Weiss „in der Regel für Geschäftemacherei“. Medizinisch wäre das oft gar nicht nötig, sagt der Wiener plastische Chirurg Wolfgang Metka. „Da drängen manche richtiggehend hinein.“

Wimmer-Puchinger ist das Thematisieren zweifelhafter Trends wichtig. „Ich glaube nicht, dass sie die Gesellschaft weiterbringen.“ Wichtiger sei, „schon in Kindergarten und Volksschule Selbstwahrnehmung und Körperbild zu behandeln“.

Auf den deutschen Privatsendern wird bereits seit 2004 vor laufenden Kameras schöngeschnipselt. Von „Alles ist möglich“ auf RTL, „Die Beauty Klinik“ und „Extrem Schön“ auf RTL 2 bis zu „The Swan“ auf ProSieben. Das Prinzip ist überall gleich: Vermeintlich hässliche Entlein werden zu strahlenden, rundum erneuerten Schwänen. Ob sie nach den Eingriffen auch rundum glücklich sind? Bei Puls4 ist man überzeugt: „Ja, denn all diese Frauen gewinnen durch äußerliche Veränderungen an Selbstwert zurück“, sagt Sprecherin Kathrin Rezac. Obwohl etwa „The Swan“ beim Publikum gnadenlos durchgefallen ist, bleibt man bei Puls4 optimistisch. Hunderte eMails habe man von Zuseherinnen bekommen, deren größter Traum eine Operation sei.

Die Kandidatinnen wurden im Vorfeld psychologischen und medizinischen Untersuchungen unterzogen. Frauen, hinter deren Wunsch nach optischer Veränderung ein tiefer liegendes Problem steckt, seien nicht dabei: „Derartige Fälle haben wir ausgeschlossen.“ Einer der plastischen Chirurgen, unter dessen Messer sich die Kandidatinnen legen, ist Thomas Aigner. Warum er mitmacht: „Ich möchte Menschen zu einem neuen Körpergefühl und einem schöneren Leben verhelfen.“ Patienten wie Christine sollen so mehr Selbstvertrauen bekommen und das ist, sagt Aigner „der erste Schritt in eine glückliche und selbstbewusste Zukunft“.

Die Österreichische Gesellschaft für Plastische Chirurgie ist kein Fan dieser Sendungen. Präsident Prim. Thomas Hintringer: „Es werden falsche Eindrücke vermittelt, meist reißerisch und nicht informativ.“ Gerade umfassende Information sei aber wesentlich. Der Wunsch vieler Frauen nach einem schöneren Körper ist für ihn nachvollziehbar. „Im Fernsehen werden aber unrealistische Hoffnungen geweckt.“ Dazu tragen auch makellose Prominente, die über Internet und Fernsehen ständig verfügbar sind, bei – Schönheit wurde globalisiert. Die „International Society of Aesthetic Plastic Surgery“ hat 20.000 plastische Chirurgen in 84 Ländern befragt, welche Berühmtheiten am häufigsten als Vorbild dienen (siehe Bildergalerie links oben).

Mit unrealistischen Wünschen ist auch Metka immer wieder konfrontiert. „Als Mediziner wären mir Sendungen mit Aufklärungscharakter lieber.“ Er erzählt von einer Dame, die sich aufgrund ihres Konsums sämtlicher Serien zum Thema schon fast selbst als Schönheitschirurgin fühlte und gewünschte Eingriffe mit Pseudowissen argumentierte.

Journalist Hans Weiss beschäftigt der Boom der Schönheitschirurgie schon seit Jahren. Er betont, kein prinzipieller Gegner zu sein. „In vielen Fällen ist es gerechtfertigt, etwa wenn jemand leidet oder verstümmelt ist.“ Und: „Natürlich ist es letztendlich die Entscheidung jedes Einzelnen, was man mit seinem Körper machen möchte.“ Ihn stört vor allem, dass die negativen Seiten der Branche verharmlost werden. In den vergangenen Jahren gab es eine Verlagerung zu sogenannten sanften Eingriffen. „Bei jedem Verfahren, auch bei vermeintlich harmlosen Faltenunterspritzungen, gibt es massive Risiken.“ So würden viele der verwendeten Substanzen nicht wie Medikamente geprüft und können noch nach Jahren schwere Nebenwirkungen wie Entzündungen hervorrufen, weil sie dauerhaft im Körper verbleiben.
 

Wenn die Operation zum Albtraum wird

Falsch eingesetztes Brust-Implantat wurde wochenlang als Schwellung abgetan Rund ein Viertel aller Patienten von Schönheitsoperationen sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Das ergab eine Untersuchung der Stiftung Warentest, dem deutschen Pendant des österreichischen Vereins für Konsumenteninformation. „Meist ist es schwierig, zu seinem Recht zu kommen“, sagt der Medizin-Journalist Hans Weiss.

Wie der Wunsch nach einem schöneren Körper zum Albtraum wird, erlebte Sandra G. (Name geändert) vor einigen Jahren. Seit ihren Zwanzigern wollte die heute 39-Jährige „einfach weiblicher wirken“, erzählt sie im Gespräch mit dem KURIER. Sie beschloss, ihre Brust ein wenig vergrößern zu lassen. Über eine Anzeige wurde ihr ein „seriös und kompetent wirkender“ Arzt vermittelt. Auf die Operation musste sie trotz Termins stundenlang warten und wurde dann von einem ihr unbekannten Arzt auf den Eingriff vorbereitet. „Gleichzeitig versicherte man mir, dass mich selbstverständlich ‚mein‘ Arzt operieren würde.“

Dass dies nicht der Fall war, erfuhr G. erst sechs Wochen später. Als sich nämlich die bei der OP aufgetretenen Komplikationen nicht mehr verheimlichen ließen. Die Implantate waren ungleich eingesetzt worden, die linke Brust wölbte sich unförmig nach unten (siehe Bild links unten) . „Mein Arzt hatte gesagt, das sei eine Schwellung, die zurückgehen würde. Ich habe mich auf seine Erfahrung verlassen.“ Sandra G. blieb skeptisch, per Ultraschall wurde der Pfusch schließlich sichtbar.

Bis heute kein Urteil

G. klagte vor Gericht und erfuhr, dass ihr behandelnder Arzt gar keine ärztliche Berechtigung für Österreich hatte und darum wohl sein Kollege einsprang. In ihren Stellungnahmen gaben sie an, die Patientin über den Operateurwechsel informiert zu haben.

Bis heute gibt es kein Urteil. Psychisch fiel die Frau in ein tiefes Loch. „Der psychische Schaden ist mit keinem Geld der Welt wieder gutzumachen. Ich wollte das nur mehr heraushaben.“ Das gelang erst vor Kurzem, bei einem Arzt, zu dem sie wieder Vertrauen fasste. „Wenn man einmal verpfuscht ist, ist es schwierig, es wieder schön hinzukriegen. Aber ich bin jetzt mit mir zufrieden.“ Von Schönheitsoperationen hat Sandra G. dennoch „die Nase voll“.

In Österreich tritt 2013 ein neues Gesetz in Kraft, das genauere Regeln für Schönheitsoperationen vorsieht. Darin ist etwa genau definiert, wer welche Operationen durchführen kann. Bisher durfte praktisch jeder Arzt – auch praktische Ärzte – ästhetische Eingriffe vornehmen. Dazu kommen mehr Schutz für Jugendliche sowie eine psychologische Beratung für unter 18-Jährige.

Mit Leistung brüsten und eine Brüstung leisten!

Ein Mann muss nur so schön sein (hieß es im Mittelalter), dass sein Pferd nicht scheut. Aber just im „mittleren Alter“ lassen Männer gern die Zügel und daher auch immer öfter ihre Züge schleifen.

Heute ist bald jeder vierte Patient in den Klotz-Kliniken und Pracht-Praxen des millionenschweren medizinischen Metiers „Ästhetische Chirurgie“ männlich.
Und: Selbst Rossnaturen, die als junge Hengste noch in Würde altern wollten, scheuen sich längst nicht mehr, es zuzugeben. Nun: „Würde“ ist ja auch ein Konjunktiv. Aber: Stirn, Augenlider, Tränensäcke, Hüfte und (nicht zuletzt) sämtliche Backen sind buchstäblich dehnbare Begriffe.

Der Grund dafür? Die Zivilisationskrankheit „Materialermüdung“, die wir alle , ob nun Mann oder Frau, sowohl Schwerkraft als auch Leichtlebigkeit schulden.
Oder, wie es die „kosmetische Kapazität“ Eva Wegrostek (48) so frisch formuliert: „Spätestens ab 30 fällt uns das G’sicht runter.“
Ein Blick in die Scheinwelt unserer renoviertesten Stars beweist, dass Fassadenarbeiten am Geschäftsportal (dem Gesicht) nicht grundsätzlich glücken – Sylvester Stallone (66) etwa wirkt trotz, besser: dank, vorenthaltener Oscars für den schlechtesten Schnitt an sich selbst, nur wenig älter als die eigene Mutter Jackie , die sich erst jüngst mit 90 ein 100.000er-Service vergönnte.

Das „Nip/Tuck from Top to Toe“ (sinngemäß: „Ganzkörper-Geschnipsel“) grassiert – der extrem schlanke Frauentyp mit gewaltigen Implantaten läuft in Kalifornien unter „Tits on Sticks“ über Straßen und Strände von Beverly Hills bis Malibu. Also: Melonen auf Zahnstochern, frei und mehr oder minder idiomatisch geschmackvoll rückübersetzt.

Die Frage lautet: Sich mit Leistung brüsten oder sich lieber eine Brüstung leisten? In den seltensten Fällen: Beides! Lacey Wildd (44), US-Show-Starlet (und sechsfache Mutter), steht kurz vor ihrem 13. Eingriff, der ihr zu Körbchengröße „MMM“ und damit einem Platz unter den Top Five Busenwundern der Welt verhelfen soll ... Verantwortliche Mediziner würden ihr anstelle von Körbchen einen Korb geben. Der sinkende BH-Wert ihrer Klientel verleitet „Cash & Carry“-Chirurgen zu jeder Plastik und Drastik.

Österreichs einziger Popstar Falco ( 998), der 1987 das Duett „Body next to Body“ aus exakt diesen Motiven mit der fei(n)st gefüllten
Brigitte Nielsen (nun 49) eingespielt hatte, beschied Zweiflern am „gekünstelten“ Erotik-Faktor nur: „Was is, Oida – glaubst, dass Silikon quietscht?“ Das eigene, nach einem Sturz aus dem Bett, linke Hängeohr des Falken ruhte sanft (und selig) am dänischen Doppel-D.
Kurios: Während Frauen „obenrum“ nach immer mehr streben, häufen sich Männer, die dort gern weniger hätten.
Schlaffe Altersbrüste sind nach laschen Lidern und heftigem Hüftspeck die prekärsten Problemzonen potenzieller Patienten. Die große Nase (altösterreichisch: „Pfrnak“) stört Männer kaum – Frauen leiden darunter gewaltig, wie ein korrektiver Altmeister aus dem Näh-Kästchen plaudert: Mutter und Tochter, beide mit erheblichen Erkern bestückt; Tochter kriegt, dank Eingriff, süßes Stupsnaserl; darauf die Mutter: „Das wär’ ihr erspart geblieben, hätt’ ich mich doch nur vor der Geburt selbst operieren lassen!“ Wie naseweis!

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