"Quasi-Satellit" tanzt um die Erde

Kurier-Montage: Bisher gibt es keine Beweise für einen zweiten Mond der Erde, doch die Theorien halten sich seit Jahren.
Unser Planet hat keinen zweiten Mond, wird aber seit vielen 100 Jahren von "2016 HO3" begleitet.

Die Erde hat einen kleinen Freund. Er heißt "2016 HO3" und hat die Größe eines Fußballfelds – winzig, dafür aber treu. Vergangene Woche gaben NASA-Forscher die Entdeckung des Mini-Asteroiden bekannt, der die Erde seit mehr als 100 Jahren bei ihrem Weg um die Sonne begleitet.

Kurz darauf wurde spekuliert, ob der Mini-Begleiter gar ein zweiter Mond sein könnte. Dem widerspricht Rudolf Dvorak, Professor am Institut für Astrophysik der Universität Wien. "HO3 ist kein zweiter Mond. Treffender ist der Begriff ‚Quasi-Satellit‘". Als solcher zieht er um den Planeten Schleifen, entfernt sich aber nicht zu weit und wandert gemeinsam mit der Erde um die Sonne. Das Besondere an ihm: "Er bewegt sich annähernd kreisförmig um die Erde und hat eine sehr interessante Bahn, die ihn zumindest einige Tausend Jahre an die Erde bindet."

Für Paul Chodas vom NASA-Beobachtungsprogramm für erdnahe Objekte sieht es so aus, als würde der kleine Asteroid und die große Erde miteinander tanzen. Doch "HO3" ist nur einer von vielen. Die Erde pflegt mehrere solcher Verbindungen – viele der Gesteinsbrocken sind nach einiger Zeit aber wieder verschwunden. Einer der Vorgänger hieß "2003 YN107". Er kreiste in einer ähnlichen Bahn um die Erde. Vor etwa zehn Jahren aber verschwand der Brocken in den Tiefen des Alls.

Mond-Theorien

"HO3" ist also nicht der erste Anwärter für den begehrten Titel "Zweiter Mond". Denn die Theorie, dass es einen oder mehrere dieser Sorte gibt oder gegeben hat, hält sich hartnäckig. Genährt wird sie durch die Entstehungsgeschichte des Mondes: Vor 4,5 Milliarden Jahren kollidierte die Erde mit einem anderen Planeten. Bruchstücke vermengten sich mit flüssigem Erdmaterial und wurden ins All geschleudert. Dabei sollen mehrere Monde entstanden sein. Beweise dafür gibt es aber keine. "Unsere Erde hat nur einen Mond – und da muss man bedenken, wie groß er ist. Das Verhältnis ist 81:1 – das ist fast ein Doppelplanet, so wie Pluto und Charon am Rande des Sonnensystems."

Für Dvorak sieht es nicht so aus, als ob ein zweiter Mond existieren würde. Wobei sich die Frage stellt: Wann ist ein Objekt ein Mond? Die Antwort: "Wenn es immer kleiner als in einer gewissen Entfernung zur Erde bleibt. Sowohl um die Sonne als auch um die Erde existiert eine kugelförmige Grenze, eine Sphäre um die Erde, die für die Erde zehn Mal größer ist, als die Entfernung von Erde zu Mond. Was dort länger bleibt, ist eingefangen – allerdings nicht für immer, weil es andere Planeten gibt, die das stören."

So genau waren die Erkenntnisse im 19. Jahrhundert nicht. Wissenschaftler wie der französische Astronom Frédéric Petit meldeten vermeintliche Sichtungen von Erdmonden. Fachkollegen reagierten skeptisch auf seine 1846 publizierten Berechnungen – laut dieser würde sich der Mond der Erde auf bis zu elf Kilometer nähern. In dieser Höhe fliegen heute Passagierflugzeuge.

Jules Vernes "Reise um den Mond"

Nur einer interessierte sich für Petits Bericht: Jules Verne. Er griff die Idee in seinem Roman "Reise um den Mond" auf. In der Geschichte wird ein Raumschiff mit Astronauten an Bord – auf dem Weg von der Erde zum Mond – durch einen zweiten asteroidgroßen Erdsatelliten abgelenkt. Die Vorstellung von einem zweiten Mond inspirierte sogar Comiczeichner Carl Barks – er ließ Dagobert Duck einen neu entdeckten Erdmond suchen.

Doch zurück zur seriösen Wissenschaft: Um den Mond genau zu vermessen und ihm viele Geheimnisse zu entlocken, schickte die NASA 2011 gleich zwei Sonden ins All. Sie konnten den Trabanten zwar kartieren, ob er aber Geschwister hatte, weiß man bis heute nicht. Auch der Quasi-Satellit "HO3" wird, obwohl er kein Mond ist, für die NASA-Wissenschaftler interessant bleiben, ist Astronom Dvorak überzeugt. "Sie wollen wissen, wie schnell er sich dreht und woraus er besteht."

Er selbst interessiert sich hingegen mehr für die Bahnen des "Quasi-Satelliten": "Ich habe schon viel berechnet, aber noch nie so etwas faszinierendes gesehen." Was laut Dvoraks Rechnung in Zukunft passieren wird: In zirka dreieinhalbtausend Jahren wird der "Quasi-Satellit" seine Richtung ändern. "Er hat keine stabile Bahn um die Sonne, Störungen durch andere Planeten werden ihn bis zu Venus und Mars führen." Dahinter stecke ein spezieller Mechanismus – "dass das Objekt eingefangen und nach Tausenden Jahren wieder wegsteuert wird, ist wirklich interessant." Also, doch keine dauerhafte Freundschaft.

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