Warum Siegen so gut tut

Im Siegesrausch.
Wir wollen immer Erste sein. Denn Gewinnen versetzt in einen Gefühlstaumel.

Frankreich oder Portugal? Es kann nur einen geben – Sieger nämlich. Der wird eine Nacht lang wie auf Drogen sein und das ganz legal. Egal, wer heute die Euro gewinnt, in einem sind sie sich gleich: Die Ersten erleben ein hormonelles Feuerwerk, wie bei einem Aufputschmittel. Darum wollen wir von Kindesbeinen an schneller, besser, erfolgreicher sein als alle anderen. Der Wille zum Sieg kommt ursprünglich vom Willen zum Überleben und entwickelte sich in der afrikanischen Savanne der Vorzeit: Wer nicht kämpfte, überlebte nicht. Im täglichen Kampf gegen wilde Tiere, Hunger und Feinde war nur Platz für Siegertypen. Das prägte – auch die Gene.

Weil es heute aber nicht mehr täglich ums Überleben geht, hat sich der Mensch Ersatz gesucht. Sport zum Beispiel. Wer gewinnt, erlebt den selben Rausch wie Steinzeitmenschen, wenn sie ein Mammut erlegt hatten. Hormone versetzen uns in einen Gefühlstaumel: Das Gehirn produziert das körpereigene Dopamin, das uns wach und lebendig macht. Die Nebennieren pumpen vermehrt Adrenalin in den Körper. Endorphine, Nebennieren- und Geschlechtshormone werden ausgeschüttet. Es handelt sich um einen überaus komplexen Regelkreis, der immer mit Erregung gekoppelt ist.

Hormone

Forscher wissen längst, dass im Duell vor allem die richtige Mischung der Hormone über Triumph oder Scheitern bestimmt: Kreist drei bis sechs Mal mehr vom Wut- und Kampf-Hormon Noradrenalin in der Blutbahn als vom Fluchthormon Adrenalin, ist der Körper optimal auf eine Auseinandersetzung eingestimmt. Auch Testosteron und Cortisol spielen eine entscheidende Rolle, sagt der Anthropologe Bernard Wallner: "Leuten, die vor einem Wettkampf erhöhte Cortisol- und Testosteron-Werte haben, siegen mit höherer Wahrscheinlichkeit, als die die Mangel daran litten." Den beseitigt man wie? Gar nicht – wie viel produziert werde, sei eine Frage der Gene.

Verlierer-Programm

Wo es Sieger gibt, sind die Verlierer nicht weit. Auch dafür gibt es ein Programm: Das Ende vor Augen, werden die Beine bleischwer, der Kreislauf fällt in den Keller, ein flaues Gefühl breitet sich in der Magengrube aus. Im Angesicht der Niederlage beginnt der Körper das Stresshormon Cortisol auszuschütten – aus Aufregung wird Angst. Die schmachvollen Erlebnisse brennen sich tief ein. Und das hat einen guten Grund: Man will den Fehler kein zweites Mal machen. Das Problem dabei: "Der emotionale Teil passiert unbewusst. Daher ist es so schwierig, aus dieser Kaskade rauszukommen. Wenn ich verloren habe, muss ich trachten, das viele Cortisol wieder loszuwerden", sagt Wallner. Dabei hilft eigentlich nur Warten und gesunde Ernährung. Tipp des Forschers an die Verlierer des Fußball-Finales: ungesättigte Fettsäuren – die beschleunigen den Cortisolabbau.

Alpha-Tier

Der Siegereffekt dagegen wird konserviert. Als Alpha-Tier steht man im Zentrum der Aufmerksamkeit einer Gruppe. Und diese führende Rolle ist genauso gut wie ein gewonnener Kampf. "Ein Sieg im direkten Wettstreit führt zum Aufstieg in der Hierarchie", sagt die Anthropologin Katrin Schäfer.

In der Entwicklungsgeschichte des Menschen war der soziale Status eines der wichtigsten Kriterien bei der Partnerwahl. "Da für die Vorzeit-Frau sehr viel davon abhing, ob sie sich mit dem ,richtigen‘ Mann einließ, war sie wählerisch – besonders, was Ehrgeiz, Stärke und athletische Fähigkeit des Partners angeht." Denn damit entschied sich, ob Kinder überhaupt versorgt werden konnten. Das wiederum trieb die Männer an – Ambitionierte und Dominante waren erfolgreicher. Auch den Sex betreffend: Männer hatten und haben also im direkten Wettstreit mehr zu gewinnen als Frauen.

Die Sieger-Mentalität ist uns aber nicht nur in die Wiege gelegt – oft bestimmt die Psyche über Triumph oder Niederlage. Man erinnere sich nur an die Underdogs bei der Euro. Den Isländern ist es gelungen, Energien für große Taten freizusetzen, weil der Auftritt gegen einen übermächtigen Großen als einmalige Chance gilt. Motto: "Der heutige Tag ist der allerwichtigste." Plötzlich können Außenseiter mit den Siegertypen mithalten.

Letztere stellen sich auch oft selbst ein Bein: "Den Großen droht Erfolgsarroganz", sagt Dieter Frey, Sozialpsychologe an der Ludwig-Maximilians-Uni München in der Süddeutschen Zeitung. "Damit ist diese leicht überhebliche Sorglosigkeit gemeint – nach dem Motto: Das kriegen wir schon hin." Erweisen sich überraschenderweise die Davids als gleichwertig, ist Goliath schnell verunsichert: "Das Selbstvertrauen sinkt, während sich das der Kleinen plötzlich extrem steigert. Und weil das Publikum den Underdog eher unterstützt, erzeugt dies zusätzliche Motivation."

Selbstbewusstsein

Wie überhaupt David viel beliebter ist als Goliath. Der Grund: Dauer-Erfolgreiche machen uns Angst, weil sie unser Selbstbewusstsein untergraben. Um das zu verhindern, versuchen wir, sie abzuwerten, etwa indem wir sie überheblich schimpfen. Ganz abwegig sind solche Vorwürfe nicht. Anhaltender Erfolg kann Menschen verändern und im Größenwahn enden.

So haben Untersuchungen ergeben, dass Siegertypen dazu neigen, Unterlegene unhöflicher und mitunter geradezu boshaft zu behandeln. Kein Wunder, um erfolgreich zu sein, ist es nötig, eigene Interessen über das Wohl anderer zu stellen. Vor allem Einzelsportler müssen im Wettkampf egoistisch handeln, um zu gewinnen.

Reflexion

Das ständige Umschalten zwischen Wettkampf und dem Rest des Lebens ist anstrengend und erfordert vor allem eines – Selbstreflexion. Denn wer von allen hofiert wird, verliert leicht den Bezug zur Realität und hebt ab. Deshalb brauchen die Sieger starke Freunde vielleicht dringender als die Verlierer.

Das Institut für Demoskopie in Allensbach hat ermittelt, was Menschen zu Siegern macht. Alter und soziale Schicht spielen dabei kaum eine Rolle. Die Faktoren:

1. Sieg herbeidenken

Siegertypen rechnen bei dem, was sie machen, grundsätzlich mit einem erfolgreichen Ausgang.

2. Eigene Stärken kennen

Sie übernehmen gern Verantwortung, sind selten unsicher und argumentieren leidenschaftlich.

3. Wissen, worüber man redet

Oftmals sind sie anderen auch einen Schritt voraus, weil sie sich in einer bestimmten Sache besonders gut auskennen. Und werden deshalb respektiert und bewundert.

4. Meinung äußern, dazu stehen

Fettnäpfchen hin, Getuschel her: Nicht immer wird es einem gelingen, andere von seiner eigenen Sicht der Dinge zu überzeugen – jedenfalls nicht sofort. Was zählt, ist aber die Bereitschaft, Farbe zu bekennen, Wünsche offen zu artikulieren und Niederlagen auszuhalten.

5. Wünsche und Ziele äußern

Siegertypen stehen zu ihren Ansprüchen und rechtfertigen ihre Wünsche nicht. Das gilt übrigens für alle Lebensbereiche. Etwa für den Job – da ist es besonders wichtig, seine Vorstellungen offen anzusprechen – bevor andere über den eigenen Kopf hinweg entscheiden.

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