Psychische Probleme: Jeder dritte Österreicher betroffen

Keine Angst: "Wenn jemand unter seinen Ängsten leidet, sollte er Hilfe aufsuchen", rät Fischer.
Über Herzinfarkte wird häufiger geredet als über Ängste. Dennoch steigt der Bedarf für psychiatrische Hilfe stetig.

Depressionen, Burn-out, Angststörungen – die Zahl der Krankenstandstage wegen psychischer Erkrankungen hat sich österreichweit seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt (auf 2,6 Millionen im Jahr). Allein im Wiener Raum werden jährlich etwa 10.000 Menschen stationär behandelt, dazu gibt es rund 200.000 ambulante Kontakte.

Probleme werden heute häufiger erkannt und behandelt, erklärt Univ.-Prof. Peter Fischer vom Sozialmedizinischen Zentrum Ost – Donauspital: "Wenn jemand schlecht schläft, weil er ständig an die Arbeit denken muss und Appetitstörungen hat, nennt man das schon Krankheit?"

90 Prozent der Patienten, die wegen einer Depression zu ihm kommen, erfüllen nicht alle Kriterien, sondern befinden sich in einem Vorstadium. "Psychiatrische Krankheiten sind oft Schwellenkrankheiten. Das Syndrom der Depression ist etwa noch nicht ganz erfüllt, aber es gibt schon einzelne Symptome. Diese Patienten sind erst ab einer gewissen Schwere medikamentös zu behandeln. Vorher ist das Ziel, dem Patienten mithilfe von Psychotherapie zu helfen, ohne Medikamente zurecht zu kommen."

Dasselbe gilt etwa auch für Alkoholiker oder für Bulimiker: Schwere Bulimiker brauchen eine ganz andere Behandlung als etwa ein Mädchen, das ab und zu erbricht, weil es das Gefühl hat, zu viel gegessen zu haben.

Ab wann ist es ratsam, ärztliche Hilfe aufzusuchen? "Wenn man darunter leidet – das ist sehr individuell", erklärt Fischer. Es gebe für viele Störungen bereits Ambulanzen, die über das Internet leicht zu finden sind. Auch der praktische Arzt sei ein guter Ansprechpartner. "Es ist wichtig, dass dieser weiß, wie er Symptome einer Störung erkennt und wo er Betroffene hinschicken kann", plädiert Fischer für mehr Fortbildungen unter den praktischen Ärzten. Nicht zuletzt brauchen auch Angehörige Unterstützung: "Sie werden oft alleine gelassen und leiden häufig viel mehr, weil sie mit der Situation überfordert sind."

Tabu

Auch, wenn psychiatrische Störungen öffentlich immer öfter ein Thema sind: "Über einen Hexenschuss oder einen Herzinfarkt, die viel seltener vorkommen, wird viel mehr geredet. Das Thema Psychiatrie ist für viele noch immer ein Tabu – besonders am Land." Hilfreich bei der Entstigmatisierung sei dabei die Stationierung von psychiatrischen Ambulanzen in Spitälern. Auch die Frage der Finanzierung einer psychiatrischen Behandlung ist für viele oft eine Hemmschwelle. "Es gibt viele kostenfreie Anlaufstellen, wie etwa die Ambulanz des Psychosozialen Dienstes." (Beratung dazu gibt es auch am Tag der seelischen Gesundheit – Infos dazu siehe unten).

"Die niedergelassenen Ärzte sind leider häufig sehr stark ausgelastet und es gibt lange Wartezeiten – generell gibt es hier sicher mehr Bedarf." Generell plädiert Fischer dafür, dass Psychotherapie häufiger auf Krankenschein bezahlt wird, damit sozial Schwächere keinen Nachteil daraus haben, sich keinen privaten Therapeuten leisten zu können.

Nicht zuletzt sei Psychiatrie ein sehr "billiges Fach", meint Fischer: "Ein Brustkrebs-Patient kostet mehr als meine ganze Station an einem Tag. Da könnte ruhig mehr in die Psychiatrie investiert werden."

Info: Tag der seelischen Gesundheit

Programm Angeboten werden Vorträge, Beratung und Diskussionsrunden rund um das Thema Prävention und Behandlung von psychischen Erkrankungen – etwa Burn-out, Essstörungen, Missbrauch oder Sucht. Interessierte können Lachyoga, ein Genuss- oder ein Gedächtnistraining ausprobieren.

Veranstaltung Tag der Seelischen Gesundheit, Mittwoch, 5. 9., 10 bis 19 Uhr, Wr. Rathaus, Festsaal, Eingang Lichtenfelsgasse. Freier Eintritt. Veranstalter sind der Wiener Krankenanstaltenverbund und die Psychosozialen Dienste Wien (PSD). Programm und detaillierte Infos unter www.wienkav.at

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