Nicht alle lieben die Ganztagsschule

Kinder brauchen Platz für Bewegung - viele Schulen haben dafür viel zu wenig Raum.
Großes Streitthema: Die Politik will ihr neues Schulkonzept durchsetzen. Aber manche Eltern sind davon gar nicht überzeugt.

Die Schule kann zur Belastung für die ganze Familie werden – auch finanziell, wie die Arbeiterkammer feststellt (siehe rechts). Abhilfe könne nur die Ganztagsschule bringen, ist AK-Präsident Rudi Kaske überzeugt. "Am besten in einer verschränkten Form, in der sich Freizeit und Unterricht über den Tag verteilt abwechseln."

Das sehen nicht alle Eltern so, wie das Beispiel der Volksschule Bischof-Faber-Platz in Wien zeigt. Ab dem Schuljahr 2018/19 sollen dort Hortgruppen abgeschafft und die Klassen nach und nach in eine ganztägige Schulform umgewandelt werden. Die Eltern haben sich in einer Umfrage mit einer großen Mehrheit gegen die Reform ausgesprochen. Doch die Stadt will an dem Vorhaben nicht rütteln. Der zuständige Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky begründet das so: "Es gibt in der Region eine große Nachfrage nach dieser Schulform, die wir in der verschränkten Form auch pädagogisch für sinnvoll halten."

"Funktionierendes System wird kaputtgemacht"

Zudem würde die Änderung nur Kinder betreffen, die jetzt noch gar nicht in der Schule sind. Eine Argumentation, die bei den Eltern auf wenig Verständnis stößt, wie Mutter Anja Beuning sagt: "Es ist traurig, dass ein funktionierendes System wie der Hort ohne Not kaputt gemacht wird. Wir wissen von Eltern anderer Schulen, dass dort die Umwandlung die Qualität verschlechtert hat."

Woran das liegen könnte, weiß Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann (Uni Wien): "So lange sich an der Unterrichtszeit netto nichts ändert, bringt eine Ganztagsschule auch nichts."

Zudem ist die These, dass eine verschränkte Form pädagogisch am sinnvollsten sei, wissenschaftlich nicht haltbar. Erstaunlich: "Selbst auf die Beschäftigung der Mütter haben Ganztagsschulen wenig Auswirkung."

Keine Entlastung

Denn Ganztagsschulen würden Familien nicht unbedingt entlasten. "Im Gegenteil. Bürgerliche Eltern werden trotzdem am Abend mit ihren Kindern lernen, während bildungsferne Eltern sich darauf verlassen, dass die Schule sich um alles kümmert. Das kann den Leistungsabstand sogar noch vergrößern", meint der Bildungswissenschaftler.

Schlimmer noch: "Eine Ganztagsschule, die nicht gut durchdacht ist, kann die Segregation noch verstärken, weil bildungsnahe Eltern diese Standorte meiden." Und selbst Kinder, die zu Hause keine Unterstützung bekommen, profitieren nicht immer davon, dass sie acht Stunden am Tag in der Schule sind. "Wird ein Schüler gemobbt, verlängert sich sein Leiden."

Geld in die Hand nehmen

Wenn die Ganztagsschule funktionieren soll, müsse man viel Geld in die Hand nehmen: "Die Schulgebäude müssen umgebaut und völlig neu gestaltet werden." Hopmanns Vorschlag: "Wenn der Staat nur begrenzt Geld hat, sollte er in Standorte mit solchen Kindern investieren, die von zu Hause keine Unterstützung erwarten können."

Die Eltern der Volksschule Bischof-Faber-Platz wollen nicht locker lassen und für ihren Hort kämpfen. Immerhin: Wiens Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer hat versprochen, sich kommende Woche mit ihnen zusammenzusetzen. Und Ende Juni wird es eine Infoveranstaltung mit der zuständigen Magistratsbehörde geben.

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