"Unterricht nicht vor 8.30 Uhr"
Es sind Zahlen aus den USA, aber laut Experten ist die Situation in Europa nicht anders: Nur knapp jeder dritte US-Teenager schläft während des Schuljahres mindestens acht Stunden. Mehr als 40 Prozent leiden an chronischer Müdigkeit. Die US-Kinderärztevereinigung „American Academy of Pediatrics“ empfiehlt, dass im Teenager-Alter der Unterricht „nicht früher als um 8.30 Uhr“ beginnen sollte – denn in der Pubertät sollten Jugendliche auf 8,5 bis 9,5 Stunden Schlaf kommen. Heranwachsende haben einen höheren Schlafbedarf als Erwachsene. Und die US-Kinderärzte warnen: Jugendliche, die nicht ausreichend lange schlafen, haben ein höheres Risiko für Übergewicht, bewegen sich weniger, leiden eher an depressiven Verstimmungen und sind anfälliger für Zigaretten-, Alkohol- und auch Drogenkonsum.
„9 Uhr noch besser“
„Ich kann den US-Kinderärzten nur zustimmen“, sagt der Grazer Schlafmediziner Univ.-Prof. Manfred Walzl: „8.30 Uhr wäre ein guter erster Schritt, aber ich bin sogar für einen Schulbeginn um neun Uhr, das wäre aus meiner Sicht am besten.“
„In der Pubertät setzt die Produktion des Schlafhormons Melatonin am Abend um eineinhalb bis zwei Stunden später ein als bei Erwachsenen (bei ihnen beginnt sie zwischen 21 und 22 Uhr). „Und während bei Erwachsenen das Melatonin spätestens zwischen 6 und 6.30 Uhr großteils abgebaut ist, kann das in der Pubertät bis 8.30, sogar neun Uhr dauern.“
Zur hormonellen Komponente komme die Nutzung von elektronischen Geräten bis spät in die Nacht: „Pro Jahr geht dadurch ein ganzes Monat an Schlaf verloren.“ Bereits 28 Prozent der österreichischen Schüler leiden an „quantitativen und qualitativen Schlafstörungen“: „Sie schlafen nicht nur zu kurz – sie schlafen auch schlecht.“
Keine Prüfung in der ersten Stunde
In Österreich fehlen aber die Strukturen für einen späteren Schulbeginn, sagt Walzl: „Der frühe Arbeitsbeginn vieler Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen, steht da dagegen.“ Walzl schlägt vor, als erste Maßnahme in der ersten Schulstunde keine Prüfungen und keine Schularbeiten abzuhalten. Und: Eltern sollten mehr auf das Schlafverhalten ihrer Kinder achten.
Prim. Univ.-Prof. Reinhold Kerbl, Vorstand der Abteilung für Kinder und Jugendliche im LKH Hochsteiermark, plädiert bei Parallelklassen für gestaffelten Schulbeginn: „8 Uhr, 8.30 Uhr, 9 Uhr – das würde Jugendlichen und Lehrern entgegenkommen.“ Denn zehn Prozent der Kinder hätten überhaupt kein Problem mit einem Unterrichtsbeginn schon um 7.30 Uhr – „für die Mehrheit ist aber ein Zeitpunkt nach 7.45 Uhr optimal“. Denn einen optimalen Zeitpunkt für den Schulbeginn gebe es nicht.
Gehetzt, verschwitzt und völlig aus der Bahn geworfen, so erscheinen dann die meisten Jugendlichen in der Schule. Die Entscheidung, das nächste Mal erst in der dritten Schulstunde aufzutauchen, fällt dann nicht mehr schwer. LehrerInnen müssen sich oft über fast leere Klassenräume ärgern oder unaufmerksamen Schülern den Stoff erklären. Aber mit dem Absitzen der Schulstunden ist es nicht getan, denn das Lernen geht zu Hause weiter. Hausaufgaben, Tests und Schularbeiten türmen sich auf den Schreibtischen.
Das Leben entdecken
In der Zeit, in der Tag und Nacht lediglich ein Vorschlag sind, heißt es, das Leben auf eigene Weise zu entdecken. Sei es mit Freunden, alleine oder über das Internet. Das Angebot an Freizeitaktivitäten wächst stetig, die Unterhaltungsindustrie boomt und die Zielpersonen sind natürlich Jugendliche. Aber fitte, motivierte Jugendliche und keine verschlafenen.
Das ist nur einer der Gründe, Jugendliche mitentscheiden zu lassen, wenn es um den Unterrichtsbeginn geht. Denn, wie schon Johann Wolfgang von Goethe wusste: Man muss jung sein, um große Dinge zu tun.
„Wenn Jugendliche hauptsächlich von Energydrinks leben, kann es gefährlich werden“, sagt der Kinder- und Jugendarzt Univ.-Prof Reinhold Kerbl. Laut Der Spiegel sollen in den USA bis Mitte März 2014 bereits 30 Menschen nach dem Konsum der koffeinhaltigen Getränke gestorben sein – die Hersteller weisen aber jeden Zusammenhang mit den Todesfällen zurück. Wenig Schlaf, viele Energydrinks und dann noch Sport – diese Kombination könne letztlich eine zu große Belastung für das Herz sein, sind viele Kardiologen überzeugt.
Die negativen Effekte des Koffeins können sich aber nicht nur in der Kombination mit Sport, sondern auch mit Alkohol verstärken: „Davon kann ich nur dringend abraten“, so Kerbl. Viele Experten fordern jetzt ein Verkaufsverbot für unter 18-Jährige und deutlichere Warnhinweise auf den Dosen. Derzeit gibt es ein Verkaufsverbot nur in Litauen. Kerbl hingegen setzt auf Information: „Wichtig wäre eine ausreichend Aufklärung der Jugendlichen.“
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