Nervengift Botox bei Depression

Carolyn Landis, of Roslyn, receives botox treatment from Dr. Kaveh Alizadeh at the Long Island Plastic Surgical Group at the Americana Manhasset luxury shopping destination in Manhasset, New York September 30, 2010. Patients of the office will have the opportunity to schedule an Americana personal shopper on their behalf to shop for them for a fee during their appointment. REUTERS/Shannon Stapleton (UNITED STATES - Tags: SOCIETY HEALTH)
Umstrittenes Mittel soll negative Rückkoppelungen hemmen, Experten sind skeptisch.

Unruhe, fahrige Bewegungen – und bestimmte Muskelaktivitäten im Stirnbereich, wie etwa Sorgenfalten: Manchen Menschen mit Depressionen ist ihre Erkrankung ins Gesicht geschrieben. „Es ist ein ganz typisches Phänomen bei Depressionen, dass Stimmung und körperliche Haltung in Wechselwirkung stehen“, sagt Priv.-Doz. Axel Wollmer, Psychiater und Leiter der psychiatrischen Klinik in Hamburg-Ochsenzoll. Auf der Stirn etwa können sich diese von Traurigkeit ausgelösten Bewegungen in Form eines griechischen Omega-Zeichens zeigen.

Diese Wechselwirkung machte er sich mit seinem Kollegen Tillmann Krüger von der Medizinischen Hochschule Hannover für einen neuen Therapie-Ansatz zunutze. Er spritzt einigen seiner Patienten das Nervengift Botox – genau in jene Region zwischen den Augenbrauen, wo sich die Traurigkeit zeigt. Denn genauso, wie Gefühle unsere Mimik beeinflussen, gibt es auch eine Rückkoppelung. „Der Gesichtsausdruck wirkt modulierend auf die Stimmung zurück.“ In einer Studie mit 30 Patienten – ein Teil erhielt Placebo-Injektionen – erreichte man durch die Spritzen bei 60 Prozent eine deutliche Verbesserung der Symptome.

Für Univ.-Prof. Siegfried Kasper, Leiter der Wiener Uni-Klinik für Psychiatrie passiert die Intervention mit Botox allerdings viel zu weit vom eigentlichen Ort des Geschehen einer Depression entfernt. „Sie ist in Mittel- und Zwischengehirn und deren neuronaler Verbände angesiedelt. Manche Bereiche sind überreguliert, andere unterreguliert. Man muss sie genau ansteuern.“ Mit Medikamenten und Psychotherapie könnten in diesen Regionen viel deutlichere Reize für eine Therapie gesetzt werden.

Wollmer will die Depressionsbehandlung mit Botox hingegen gar nicht mit medikamentöser Therapie vergleichen. „Wir verstehen es nicht als medikamentösen Ansatz, sondern als eine pharmakologisch indizierte Körperübung, in diesem Fall eben der Entspannung der Stirn.“ Und mittels Botox halte diese Körperübung „einige Monate lang, rund um die Uhr“ an.

Nicht für alle geeignet

Also schnell ein Spritzerl für jede Verstimmung und die Fröhlichkeit ist wieder da? Nein, betont Wollmer. „Botox ist nicht für eine generelle antidepressive Behandlung zugelassen. Es gibt auch kein Behandlungsverfahren, das für alle funktioniert.“ Er wendet Botox nur bei bestimmten Patienten im stationären Rahmen an. „Etwa, wenn bereits mehrere Antidepressiva versucht wurden und die Restsymptome noch immer nicht in den Griff zu bekommen sind.“ Es gehe um eine Individualisierung der Therapie für jeden Patienten. „Denn eine gute und seriöse Behandlung muss immer mehrere Therapiesäulen umfassen.“

Beliebte Substanz

Wirkung: Der Wirkstoff Botulinumtoxin hemmt die Signalübertragung von Nervenzellen. Dadurch kommt es zur Lähmung jenes Muskels, in den der Wirkstoff injiziert wird.

Anwendungsgebiete: Am bekanntesten ist der Einsatz als Faltenmittel. In der Neurologie behandelt man damit u. a. Muskelkrämpfe und Migräne. Der Wirkstoff hemmt auch die Funktion der Schweißdrüßen (übermäßiges Schwitzen).

Viele greifen zu Botox-Injektionen, um damit die Spuren, die das Leben im Gesicht hinterlassen hat, wieder rückgängig zu machen. Warum sich manche danach dennoch nicht glücklicher fühlen, haben britische Forscher in einer im Mai veröffentlichten Studie mit 26 Teilnehmerinnen herausgefunden.

Offenbar kommt es darauf an, wo genau gespritzt wird, meinen die Autoren, Psychologen der Cardiff University und der Courthouse Clinics in London. Werden etwa die Stirnfalten mit dem Nervengift gelähmt, unterbricht das die Kommunikation zwischen Gesicht und Körper – der Betroffene fühle sich weniger schlecht, erklären die Forscher das Wirkprinzip.

Spritzt man jedoch nicht in die Stirn sondern etwa in die Lachfältchen bei den Augen, tritt der gegenteilige Effekt ein: „Das nimmt positive Gefühle“, sagt Priv.-Doz. Axel Wollmer, Leiter der psychiatrischen Klinik in Hamburg-Ochsenzell.

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