Darek Fidyka kann nach dem sensationellen Eingriff wieder gehen.

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Durchbruch

Nasenzellen im Rücken lassen Gelähmten wieder gehen

Sensationelle Therapie. Arzt: "Eindrucksvoller als das Spazieren auf dem Mond"

10/21/2014, 09:43 AM

Das britisch-polnische Forscherteam spricht von einem Durchbruch, der noch spektakulärer als eine Mondlandung sei: Der seit 2010 von der Hüfte abwärts gelähmte 38-jährige Bulgare Darek Fidyka kann nach einer sensationellen neuen Therapie - die jetzt weltweit zum ersten Mal durchgeführt wurde - wieder gehen. Gelungen ist dies mit einem speziellen Typ von Zellen des Geruchssinns aus der Nase, die eine Art Brücke zwischen den durchtrennten Teilen des Rückenmarks bildeten. Es ist das erste Mal, dass offenbar eine komplette Querschnittslähmung rückgängig gemacht werden konnte.

Bei einer Messerattacke vor vier Jahren wurde das Rückenmark des Feuerwehrmannes durchtrennt. Vor Entwicklung diese Therapie gaben die Ärzte Fidyka nur eine Ein-Prozent-Chance, jemals wieder gehen zu können.

"Es ist ein unglaubliches Gefühl, wieder gehen zu können", sagt Fidyka. "Wenn man nur mehr seinen halben Körper spürt, fühlt man sich hilflos. Aber wenn das Gefühl zurückkommt, ist das so als wäre man neu geboren."

"Was hier erreicht wurde ist eindrucksvoller als das Herumspazieren von Menschen auf dem Mond", sagte Prof. Geoff Raisman vom Institut für Neurologie des University College London der britischen Rundfunkanstalt BBC. Im University College London wurde die neue Technologie entwickelt, umgesetzt wurde sie von polnischen Chirurgen in Wroclaw (Breslau). Neurochirurg Pawel Tabakow von der Universität Wroclaw: "Die Regeneration von verletztem Rückenmark galt viele Jahre lang als unmöglich. Es ist unglaublich zu sehen, wie das jetzt Wirklichkeit wird."

Regenerationsfähig

Die olfaktorische Hüllzellen umwickeln die Riechnerven der Nase und verbinden die Sinneszellen der Nasenschleimhaut mit dem Gehirn. Anders als die meisten Zellen regenerieren sie sich während des gesamten Lebens. Sie sind eine Art Wegbereiter für die Regeneration von Nervenfasern und regen das Wachstum von Nervenzellenden an.

Und so gingen die Forscher vor:

- Sie entnahmen dem Patienten zunächst Hüllzellen und vermehrten sie im Labor.

- Aus dem Fuß des Patienten wurde Nervengewebe entnommen und über jenen acht Millilimeter großen Spalt im Rückenmark gelegt, wo sämtliche Nervenverbindungen durch die Messerattacke durchtrennt waren.

- In 100 kleinen Injektionen wurden Hüllzellen unter- und oberhalb der verletzten Rückenmarksstelle injiziert.

- Die olfaktorischen Hüllzellen stimulierten die Regeneration von Rückenmarkszellen und halfen gleichsam als Brücke zwischen den durchtrennten Nervenenden, wieder eine Verbindung herzustellen. MRT-Aufnahmen zeigten mittlerweile, dass der Spalt zwischen den durchtrennten Nervenenden geschlossen werden konnte.

Mit dieser Therapie wurde 2012 begonnen. Davor zeigten sich bei Fidyka keinerlei Zeichen einer Verbesserung, trotz vieler Monate intensiver Physiotherapie.

Das änderte sich, nachdem die neueartige Therapie angewandt worden war: Sechs Monate danach konnte er die ersten zögerlichen Schritte machen. Mittlerweile kann er, gestützt auf einen Rollator, bereits außerhalb des Rehabilitationszentrums gehen. Seit zwei Jahren trainiert er an fünf Tagen die Woche je fünf Stunden lang.

Bereits in der Vergangenheit haben Forscherteams Experimente mit olfaktorischen Hüllzellen an gelähmten Ratten druchgeführt, einige davon waren sehr erfolgreich. Das britisch-polnische Team hat seine Daten im Fachmagazin Cell Transplantation publiziert.

Keine verfrühten Hoffnungen

Die Forscher betonen trotz aller Euphorie aber auch, dass sie jetzt keine verfrühten Hoffnungen wecken wollen. Denn der Erfolg bei diesem einen Patienten muss in weiteren Untersuchungen wiederholt und so bestätigt werden, ehe diese Behandlungsmethode anerkannt werden kann. In den kommenden Jahren sollen zehn weitere Patienten in Polen und Großbritannien behandelt werden.

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