Magerwahn in der Schwangerschaft

Magerwahn in der Schwangerschaft
Promi-Mütter lösen bei immer mehr Schwangeren Essstörungen aus – jetzt wehren sich die Frauen

Jetzt ist die Angst vor dem Dicksein sogar schon bei den Schwangeren angekommen. Nicht zu viel essen, nicht zu viel zunehmen, damit der Körper ja keine Spuren davonträgt. Eine Kugel haben, ist okay, aber selbst eine Kugel sein nicht. Ein Artikel zu dem Thema in der Süddeutschen Zeitung sorgt derzeit auf Twitter für eine Welle der Empörung. Unter #alsichschwangerwar berichten Mütter darüber, mit welchen abschätzigen Kommentaren sie während und nach ihrer Schwangerschaft konfrontiert waren.

Promi-Mütter wie Michelle Hunziker und Victoria Beckham haben den Maßstab hoch angesetzt – Hunziker stand wenige Tage nach der Geburt wieder in Topfigur und Minikleid vor der Kamera, Beckham zeigte sich kurz nach ihrer dritten Geburt in Kleidergröße 34 und High-Heels. Das neue Schönheitsideal hat sich in den Köpfen so eingenistet, dass es überraschte Gesichter gab, als Kate Middleton am Tag nach ihrer Geburt noch immer ein kleines Bäuchlein hatte.

MILF-Macher

Die Freundin des Rappers Sido, Charlotte Würdig, verriet unlängst ihr Rezept gegen den Post-Schwangerschaftsbauch: Ihr Personal Trainer nennt sich „MILF-Macher“ – MILF steht für Mother I’d like to fuck (engl., Mutter, mit der ich gerne schlafen würde). Als wäre dies das oberste Ziel einer frischgebacken Mutter.

Der Effekt dieser fragwürdigen Vorbilder spiegelt sich in einer britischen Studie. Derzufolge hat jede vierte Schwangere Angst davor, ihre Figur zu verlieren. Jede zehnte Probandin zeige bereits Merkmale einer Essstörung – die Bandbreite reiche von Hungern über Fress-Anfälle bis hin zu exzessivem Sport.

Dieser zweifelhafte Trend zeigt sich auch in Österreich. So verzeichnet Intakt, ein Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen, immer mehr Frauen, die während der Schwangerschaft mit ihrem Essverhalten kämpfen – auch solche, die zuvor nicht unter einer Essstörung gelitten hatten. Statt in dieser Zeit dem Schlankheitswahn zu entfliehen, versuchen sie die Babykilos möglichst gering zu halten, um nach der Geburt schnell wieder schlank zu werden.

Die Therapeutin Gabriele Haselberger von Intakt erklärt: „Manche Frauen halten es schwer aus, dass sich ihr Körper so verändert, es hat etwas Bedrohliches. In mir wächst etwas heran, das ich nicht sehe.“ Dazu komme, dass Promi-Mütter vorzeigen, wie sie die Schwangerschaft innerhalb kürzester Zeit ungeschehen machen. „Das erzeugt irrsinnigen Druck, dass der Körper gleich wieder funktionieren muss.“

Ausgewogen ernähren

Etwas gelassener sehen das die Gynäkologen Univ.-Prof. Peter Husslein von der MedUni Wien und Andreas Nather vom Gesundheitszentrum „Woman & Health“. So sagt Husslein etwa: „Ein Wahn ist natürlich schlecht, aber die typische Österreicherin isst ohnehin zu viel und nimmt zu viel zu.“ Bei ausgewogener Ernährung mit wenig Zucker und Fett könne sich das Kind holen, was es braucht. Hussleins strenge Vorgabe: Eine normalgewichtige Schwangere sollte nicht mehr als acht bis zehn Kilogramm zunehmen.

Nather setzt im Mittel zwölf bis 14 Kilogramm an – „ab 20 Kilo Gewichtszunahme sollte man prüfen, ob es gesundheitliche Gründe gibt“. Viele seiner Patientinnen sorgen sich in der Schwangerschaft, bald wieder wie früher auszusehen. „Wir unterstützen eine bewusste Lebensweise und Sport wie Yoga oder Shiatsu.“

Therapeutin Haselberger plädiert dennoch dafür, sich nicht unter Druck setzen zu lassen. „Wollen wir Frauen uns das zumuten lassen? Der Körper sollte unser Partner sein und nicht ein Objekt, das ich manipuliere.“

Ihre Haut ist oft nicht mehr straff, manche haben noch ihre Schwangerschaftsstreifen – zu sehen sind normale Mütter in Unterwäsche, die mit ihren Kindern um die Wette strahlen. Die US-Pinup-Fotografin Ashlee Wells Jackson kämpft mit ihrem „4th Trimester Bodies Project“ gegen die falschen Erwartungen an einen perfekten Körper nach einer Schwangerschaft.
Wells will die „Schönheit, die unseren Körpern durch Mutterschaft, Geburt und Stillzeit widerfährt, umarmen“. Im Rahmen ihres Projekts tourt sie um die ganze Welt, um selbstbewusste Frauen zu fotografieren, die ihren veränderten Körper so akzeptieren, wie er ist, und ihre Geschichte erzählen.
Ihr erklärtes Ziel ist, „Mütter sollten ihren Körper dafür respektieren, dass er Leben geben, erhalten und ernähren kann, statt das Gefühl zu haben, dass diese Gabe seine Schönheit zerstört.“ http://4thtrimesterbodies.com

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