Leid ohne körperliche Erklärung

Leid ohne körperliche Erklärung
Schmerzen ohne Ursache – häufig braucht es eine andere Therapie als Medikamente.

Betroffene haben oft schon einen Marathon an Arztbesuchen hinter sich. Diagnose: Körperlich alles in Ordnung. Doch wenn für Beschwerden und Schmerzen keine organische Ursache gefunden werden kann, bei immer wiederkehrenden Schwindelgefühlen, Ohrgeräuschen oder etwa Bauchbeschwerden, die medizinisch nicht erklärt werden können, bezieht ein Arzt mit psychosomatischer und psychotherapeutischer Ausbildung die seelische Komponente mit ein.

Davon gebe es in Österreich zu wenige, kritisiert Christian Fazekas, der Präsident der Österr. Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM). „Bei uns gibt es gute körperlich orientierte und psychisch orientierte Angebote. Doch die Brücke zwischen beiden Welten fehlt.“ Bedenkt man, dass 7 von 10 Frauen und 6 von 10 Männern an zumindest einer chronischen Krankheit leiden, komme die psychosomatische Medizin viel zu wenig zum Einsatz.

Voodoo-Medizin

Patientenanwalt Gerald Bachinger ergänzt: „Diese Patienten irren oft von einem Arzt zum anderen und landen häufig in Bereichen von Esoterik bis hin zu Voodoo-Medizin. Das ist ein Hilferuf, dass das System die Bedürfnisse nicht ausreichend wahrnimmt.“ Als zumeist erste Ansprechpartner sind hier vor allem die Hausärzte gefragt. Reinhold Glehr, Präsident der Österr. Gesellschaft für Allgemeinmedizin betont: „Hausärzten kommt es häufig zu, als erste körperlich-seelische Zusammenhänge anzusprechen, den Betroffenen Akzeptanz zu ermöglichen und je nach Komplexität und Schweregrad die beste Behandlungsebene zu empfehlen.“

Bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms hat Univ.-Prof. Gabriele Moser, Präsidentin der Österr. Gesellschaft für Psychosomatik in der Inneren Medizin, bereits gute Erfahrungen gemacht. „Diese Form der bauchgerichteten Gruppentherapie bringt Betroffenen mit Reizdarmsyndrom über Jahre Erleichterung und kann Kosten und Zeit im Gesundheitssystem und für die Betroffenen sparen.“ Laut Moser hätten mehr als 30 Prozent der Darmerkrankungen einen hohen Bedarf an psychosomatischer Betreuung. Bei dieser Gelegenheit kritisiert sie die mangelnde Finanzierung von nicht pharmazeutischer Forschung.

Univ.-Prof. Reinhold Kerbl von der Gesellschaft für Kinder und Jugendheilkunde betont, dass psychosomatische Symptome schon in der frühen Kindheit auftreten können und man ihnen tiefer gehend nachgehen muss – von Schlafstörungen im Säuglingsalter bis hin zu plötzlich wieder auftretendem Bettnässen.

Fazekas ergänzt jedoch, „jemand kann durchaus Flöhe und Läuse haben. Es wäre fatal, so zu tun als wäre nur eines davon relevant“.

Mehr als 500.000 Menschen in Österreich könnten von einer psychosomatischen Behandlung profitieren – doch für ihre Versorgung fehlen mindestens 1500 Ärzte mit einer solchen Aus- und Weiterbildung, kritisiert die Österreichische Gesellschaft für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (ÖGPPM). „Mit der freiwilligen Weiterbildung ist keine Qualitätssicherung verbunden“, kritisiert Präsident Christian Fazekas. Anlässlich der Beratungen der Ärztekammer zur neuen Ausbildungsordnung für Ärzte, fordert die ÖGPPM daher die Einführung einer Psychosomatik-Additiv-Ausbildung für Ärzte. Auch die entsprechenden Regeln für die Versorgung im Krankenkassensystem würden noch fehlen. Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte befürwortet gar, die Psychosomatik in die Agenden der Gesundheitsreform aufzunehmen. „Wir haben hier ein Versorgungsdefizit. Das ist ein weißer Fleck in unserer an sich guten Gesundheitsversorgung.“

Kommentare