Lehrerbildung: Wie man sich für Konflikte mit Schülern wappnet

Mit der Provokation umgehen lernen
Eine Kommunikationsexpertin verrät, wie Pädagogen ihre Schüler verblüffen können.

Mit einer Mischung aus Vorfreude und Spannung erwarten auch Lehrer den ersten Schultag. Bei ihren Vorbereitungen zählt nicht nur der Inhalt ihres Faches, sondern auch ihr Verhalten. Wie sollen sie auf Aggressionen reagieren? Konflikte innerhalb der Klasse oder zwischen Schüler und Lehrer sorgen für Stress. In einem Lehrgang an der Donau-Universität Krems unterrichtet Kommunikationsexpertin Aga Tnka-Kwiecinski "Provokationspädagogik". Dort lernen Lehrer, wie man sich für Konflikte mit Schülern wappnet und wie man Schüler verblüfft.

KURIER: Fürchten sich Lehrer vor dem Schulbeginn oder freuen sie sich darauf?

Aga Tnka-Kwiecinski:Beides. Es gibt Lehrkräfte, die eigentlich gut arbeiten könnten und mit den Rahmenbedingungen in ihrer Schule unglücklich sind. Und Lehrer, die mit Klassen und Schülern Probleme haben, mit denen sie gar nicht fertig werden. Manche werden von den Kollegen und der Direktion nicht unterstützt – die sind schnell sehr alleine.

Wie bereiten sich Lehrer auf das Schuljahr vor?

Es gibt noch immer Lehrkräfte, die in den ersten drei Jahren ihre Mappen erstellen und dann die nächsten zwanzig Berufsjahre davon zehren. Aber ich glaube, die können in diesem System nicht mehr bestehen. Und es gibt Lehrkräfte, die sehr motiviert sind und Mehrleistungen bringen. Manche hören damit ernüchtert auf, weil sie von den Kollegen dafür kritisiert werden. Und es gibt viele Lehrkräfte, die sich inhaltlich auf das neue Jahr vorbereiten, Projekte definieren und sich neue Ansätze für den Unterricht heraussuchen. Dabei geht es auch um die persönliche Ebene: Welche Stressfaktoren kommen auf mich zu und wie kann ich ihnen begegnen?

Lehrerbildung: Wie man sich für Konflikte mit Schülern wappnet
Lehrerin

Dafür haben sie ja die langen Ferien, sagen viele.

Jedem, der den Lehrern ihre Arbeitszeiten neidet, würde ich vorschlagen, sich einen Tag lang im 50-Minuten-Takt vor eine neue Gruppe von Menschen zu stellen und ihnen etwas beizubringen – mit einer ganz kurzen Pause dazwischen und dem ständigen Lärm von Kindern und Jugendlichen. Und das Ganze durchgehend fünf oder sechs Stunden am Tag. Und dabei geht es nicht nur um den Stoff, sondern auch um eine Dynamik in der Klasse, mit der ich interagieren muss.

Wie sehr fehlen denn Lehrern die Sanktionsmöglichkeiten?

Für einen Störer in der Klasse ist es wunderbar, wenn die Lehrperson den Konflikt auf sich bezieht und den Machtkampf eskaliert. Dann hat er Erfolg. Aber wenn der Lehrer sagt: "Mir wäre es ja egal, wenn du herausschreist. Aber für deine Kollegen ist es eher unangenehm, oder?" Wenn ich in die Spirale mit der Macht einsteigen möchte, dann kann ich mit Drohungen arbeiten und dann muss ich auch ertragen, dass jemand damit nicht zufrieden ist und dagegen rebelliert. Dann passt die Beziehung mit den Schülern nicht – jede Maßnahme ist nur eine Symptombekämpfung.

Ein Beispiel ist der Film "Dangerous Minds", wo die Lehrerin anfangs sagt: "Ihr alle habt jetzt einen Einser. Ihr müsst ihn nur behalten."

Das ist eine Provokation für den Beginn des Schuljahres. Die ist nett für den Effekt, aber wenn dahinter nicht eine wertschätzende Haltung steht, bringt es nichts oder kann sogar nach hinten losgehen. Michelle Pfeiffer begegnet in dem Film diesen Problemkindern auf Augenhöhe und ist bereit, diese auch beizubehalten, wenn es brenzlig wird. Ich weiß, dass Pädagoginnen und Pädagogen bei uns im Lehrgang davon träumen, dass sie einen Werkzeugkoffer bekommen, den sie in einer Stresssituation auspacken und der funktioniert. Aber wir sprechen von zwischenmenschlichen Beziehungen, da ist nichts prognostizierbar.

Wie bekommen Lehrer ein gutes Verhältnis zu ihren Schülern?

Der einzige Rat ist, in Beziehung mit diesen Kindern zu treten. Versucht herauszufinden, worum es ihnen geht. Und nicht alles persönlich nehmen, sondern die Interaktion zerlegen. Wie reagiere ich auf Provokationen von Schülern oder von anderen Lehrkräften? Das wappnet mich enorm. Ich lerne mich dann selber besser kennen und schaue, wie ich es schaffe, mit Irritationen umzugehen. Nur, wenn ich mich damit auseinandergesetzt habe, prasselt nicht jede Schwierigkeit oder Aggressionen auf mich nieder. Man erkennt dann besser, dass es um ein Bedürfnis geht und ein Lehrer eine Provokationsfläche ist. Ich selbst verstehe ja nicht, warum in der Lehrerausbildung keine Selbsterfahrung und mehr Reflexion vorkommt.

Wie können Pädagogen solche Konflikte entschärfen?

Ich muss die Kinder und Jugendlichen vorsichtig an mehr Selbstverantwortung heranführen, denn viele erleben das zum ersten Mal. Je strikter das System ist, desto irritierter sind die anderen, wenn man an ihre Eigenverantwortung appelliert. Ein Beispiel: Ich teile bei Lehrveranstaltungen keine Anwesenheitslisten aus, sondern ich sage: "Ihr wollt etwas lernen. Wenn Ihr nicht kommen könnt, nehme ich an, Ihr habt einen triftigen Grund." So habe ich höhere Teilnahmequoten als früher. Wenn ich mit dieser Einstellung in eine Klasse hineingehe, sieht man mir das an und ich habe weniger Eskalationspotenzial.

Wie sollte sich der Unterricht verändern?

Ich bin ein großer Fan des reflexiven Lernens – so wie in Skandinavien. Dabei geht es darum, den Stoff wirklich zu verstehen und nicht nur auswendig zu lernen. Nicht nur die Formel lernen, sondern verstehen, wofür man sie braucht. Das wird meist nicht gemacht, denn man kann den Nachdenkprozess nicht benoten und beurteilen und gegenüber den Eltern dokumentieren. Ich denke, unsere Schulen sind nicht die Tragödie, und unsere Lehrer auch nicht. Was fehlt, sind Freiräume. Viele Lehrer erleben aus der bisher gelebten Praxis vor allem den Leistungs- und Notendruck. Leider ist es nicht das Ziel in der Ausbildung, dass man Lehrern und Kindern beibringt, mit Freude und Mut an ihre Arbeit heranzugehen. Aber das würde vieles leichter machen.

Zur Person:

MMag. Aga Trnka-Kwiecinski ist Kommunikations- sowie Theaterwissenschafterin und Erziehungsberaterin. Sie beschäftigt sich an der Donau-Universität Krems
u. a. mit Medienpädagogik und leitet den viersemestrigen Masterlehrgang „Provokationspädagogik“. Dabei geht es u.a. um den Umgang mit schwierigen Unterrichtssituationen und die Deeskalation bei Konflikten. Sie unterrichtet an der Uni Wien, der Pädagogischen Hochschule Wien und dem FH Campus Wien.

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