Glaube an Engel: Bedürfnis nach Botschaften

Mehr als 200 Besucher kamen zum KURIER-Gespräch.
Manche Menschen sind davon überzeugt, dass Engel über sie wachen– ein Expertenblick auf Übersinnliches.

"Wir wissen, dass es mehr gibt als das fürs Auge Sichtbare. Mit Recht sagt man, es gibt viel mehr. Das Übersinnliche, es existiert" – diese Zeilen stammen von dem Mediziner und Theologen Johannes Huber. Und sie gaben dem KURIER-Talk zum Thema "Gibt es Engel? Eine Glaubensfrage" viel Diskussionsstoff. Das Gespräch verlief zuweilen hitzig, blieb aber wertschätzend.

Glaube an Engel: Bedürfnis nach Botschaften
Podiumsdisskusion mit Prof. Johannes Huber, Dr. Krista Federspiel, Prof. Andreas Obrecht. Moderation: Gabi Kuhn. Wien, 02.12.2016

Mediziner Huber bezieht sich gleich zu Beginn auf den Neurophysiologen Wolf Singer. Er ist überzeugt, "dass sich die Dinge, die sich uns erschließen, nur ein kleines Segment der Wirklichkeit sind." Engel seien für Huber keine weißen Wesen mit goldenen Flügel, sondern "Synonym einer anderen Welt, einer transzendentalen Wirklichkeit, die es möglicherweise gibt". Seine Thesen stützt er auf die Physik. In dieser Disziplin gäbe es sogar ein Pendant für Engel, sogenannte Photonen, also kleine Teilchen, die aus dem Hintergrund des Weltalls kommen.

Glaube an Engel: Bedürfnis nach Botschaften
Podiumsdisskusion mit Prof. Johannes Huber, Dr. Krista Federspiel, Prof. Andreas Obrecht. Moderation: Gabi Kuhn. Wien, 02.12.2016

Bei Aussagen wie diesen schüttelt die Medizinjournalistin Krista Federspiel den Kopf, stellt aber klar: Sie wolle niemandem seinen Glauben absprechen. Teilen könne sie ihn aber nicht. Die Skeptikerin ist überzeugt, dass man die Existenz von Engel-Wesen nicht mit Photonen belegen kann. Dabei handelt es sich um einen physikalischen Begriff, der auch gerne in der Alternativmedizin verwendet wird, etwa bei Therapiemethoden. Generell ortet die Journalistin in der Thematik reine Geschäftemacherei: Engel sind überall, in den Einkaufstraßen und auf Friedhöfen, von kleinen Figuren bis hin zu Engel-Sprays. Sie sind "Verkaufsbeschleuniger in Glitter und Tüll. Der Glaube der Menschen wird missbraucht."

Die Diskussion wird nun hitzig. Johannes Huber bringt sich ein. Er wolle dies nicht auf dieser Ebene diskutieren, das erscheine ihm zu banal. Applaus. Eine Frau meldet sich und berichtet von ihrem "Schutzengel"-Erlebnis: Sie sei vor etwas sehr Schlimmen, ein Verkehrsunfall, bewahrt worden. Ein Lichtzelt habe sich über ihr aufgemacht. Eine Variante von Erzählung, die immer wieder vorkommt.

Zwei Funktionen

Vorstellungen von Engel gehen übrigens bis ins heutige Mesopotamien zurück, erklärt der Soziologe und Kulturanthropologe Andreas Obrecht. Engel haben in der Geschichte zwei wesentliche Funktionen: eine Botschaft verkünden, wie etwa eine Prophezeiung, und zu beschützen. Dies finde man aber auch bei Krafttieren, Ahnen oder Geisterwesen in anderen Religions- und Kulturkreisen. "Es gibt ein großes menschliches Bedürfnis, eine Botschaft zu empfangen, aus einem unsichtbaren, transzendentalen Reich. Und natürlich gibt es eine große Sehnsucht danach, beschützt zu sein."

Glaube an Engel: Bedürfnis nach Botschaften
Podiumsdisskusion mit Prof. Johannes Huber, Dr. Krista Federspiel, Prof. Andreas Obrecht. Moderation: Gabi Kuhn. Wien, 02.12.2016

Allerding nicht, weil der Mensch heute Verantwortung abgeben will. Das Bedürfnis sei ein urmenschliches, sagt Obrecht. Der Grund: der Mensch war über hunderte Jahre hinweg ein verletzbares, frühsterbliches, krankes und schmerzleidendes Wesen. Und forderte daher Schutz und Beistand an.

Warum das heute noch immer viele tun, meint Krista Federspiel zu wissen: Es sind Krisen und Unsicherheiten, die wir durchleben. "Wir fantasieren noch mehr Engel herbei, weil es stützt und hilft." Ob jemand daran glaubt oder skeptisch ist, bestimmen epigenetische Prägungen – lautet die Hypothese von Johannes Huber. Überzeugt ist er, dass man Glauben nicht erzwingen kann. Missionieren ist zwecklos. "Man kann nur tolerant sein." Apropos Toleranz. Da sind sich die Diskutanten zumindest einig: Es steht jedem zu, zu glauben, was er möchte.

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