"Die Abschreckungspolitik hat versagt"

Ex-Junkie und Journalist Böckem
Ex-Junkie Jörg Böckem plädiert für einen transparenteren Umgang mit Drogen, um die Gefahr von Sucht zu verringern.

Cannabis, Medikamente, Kokain, HeroinJörg Böckem, 49, hat nichts an "klassischen" Drogen ausgelassen. Seine langjährige Heroinabhängigkeit kostete ihn fast das Leben. Dennoch konnte sie der Journalist (Die Zeit, Spiegel, Süddeutsche) viele Jahre verheimlichen. Im KURIER-Gespräch erzählt er, warum er nicht an eine drogenfreie Gesellschaft glaubt und daher lieber auf Aufklärung und auf die Minimierung negativer Konsequenzen setzt.

KURIER: Warum brauchen wir wieder ein neues Drogen-Aufklärungsbuch?

Jörg Böckem: Meines Wissens gibt es so ein Aufklärungsbuch bisher nicht, das Drogen weder verteufelt noch glorifiziert – sondern vorurteilsfrei Wirkungen und Risiken von Substanzkonsum darstellt und konkrete Anregungen für einen nicht-schädlichen Konsum bietet. Oft heißt es einfach: Drogen sind schlecht. Das ist eine sehr eingeengte Sicht auf Drogen und Rausch – und ist nicht hilfreich. Die einseitige Abschreckungspolitik der vergangenen Jahrzehnte hat versagt. Ich bin ja selbst ein Kind dieser Abschreckung. Funktioniert hat es nicht, meine Freunde und ich haben das nicht ernst genommen.

Ist Ihr Buch nicht erst recht eine Aufforderung zum Konsum?

Nein. Wir sagen auch nicht, dass man Drogen nehmen soll oder muss. Aber jede Gesellschaft hat ein Bedürfnis nach Rauschzuständen, die entlastend und entspannend wirken. Das kann man beim Tanzen, beim Sport, beim Sex oder mit Alkohol erleben. Oder eben auch mit Hilfe von Substanzen. Eine drogenfreie Gesellschaft wird es nicht geben. Unserer Meinung nach ist es auch legitim, solche Erfahrungen machen zu wollen. Unser Ansatz ist: Wer unbedingt Substanzerfahrungen machen möchte, sollte die Wirkungen und Risiken genau kennen und wissen, wie positive Rauscherfahrungen erreicht und die Gefahr, Schaden zu nehmen, so gering wie möglich gehalten werden kann. Je mehr sich die Konsumenten aller Faktoren bewusst sind, desto geringer ist die Gefahr von Sucht, Verelendung und Tod. Wir wollen zu mehr Balance beitragen.

"Die Abschreckungspolitik hat versagt"
high sein

Spielen Ihre eigenen Erfahrungen da auch eine Rolle in diesem Bild?

Sicher. Ich habe in meinem Leben leidvolle Suchterfahrungen gemacht, aber auch wunderbare Erfahrungen mit Drogen und Rausch. Süchtig geworden bin ich nur vom Heroin. Es ging mir aber nicht darum, als Ex-Junkie ein Buch zu schreiben, in dem steht, das Drogen vielleicht doch nicht so Scheiße sind. Für das Buch waren andere Faktoren wichtig: Mein Co-Autor Henrik Jungaberle ist Wissenschaftler, hat eine zehnjährige Studie zum Thema Substanzkonsum bei jungen Menschen abgeschlossen, und arbeitet in der Suchtprävention. Außerdem war es uns wichtig, die Zielgruppe des Buches – junge Menschen – mit ihren Drogen- und Rauscherfahrungen zu Wort kommen zu lassen.

Sie schreiben, Drogen können das Beste aus einem Menschen herausholen. Ist das nicht fahrlässig?

Nein, gar nicht. Mit "das Beste" meine ich, dass Menschen durch ihre Erfahrungen lernen. Die richtige Substanz im richtigen Umfeld vernünftig eingesetzt kann einen weiterbringen. Dieses Potenzial haben viele psychoaktive Substanzen.

Aber kann man das wirklich aufrechnen, wenn so viel Leid durch zerstörerische Drogen passiert?

Es geht nicht um Aufrechnen, es geht darum, negative Konsequenzen so gering wie möglich zu halten und zu wissen, wie wir das als Konsumenten erreichen können. Natürlich haben Drogen ein negatives Potenzial, manche ein großes. Nehmen wir nur die gesellschaftlich akzeptierte Droge Alkohol. Im Vergleich mit anderen Substanzen richtet Alkohol weltweit die größten Schäden an. Aber sehr viele Menschen konsumieren Alkohol mit Genuss, ohne dass es ihnen schadet.

Gibt es also "gute" und "böse" Drogen?

Eben nicht. Es gibt eher gute und schlechte Konsummuster. Jede Substanz hat zwei Seiten. Unterschiedliche Substanzen haben unterschiedliche Risiken. Auch das Suchtpotenzial unterscheidet sich. Heroin zum Beispiel hat ein sehr hohes Suchtpotenzial, Nikotin ebenso. Kaffee und Ecstasy ein eher geringes. Das Suchtpotenzial einer Substanz ist aber nur ein Faktor – Konsumformen, Persönlichkeitsstruktur und Lebensgeschichte des Konsumenten sowie das soziale Umfeld spielen ebenfalls eine große Rolle bei der Suchtentwicklung. So war es bei mir auch.

Sind Drogen heute noch ein Teil Ihres Lebensumfelds?

Ich lebe ein suchtfreies, aber kein drogenfreies Leben. Ich trinke gerne mal ein oder zwei Bier. Die Art und Weise, wie ich Bier trinke, unterscheidet sich allerdings sehr davon, wie ich früher Heroin konsumiert habe. Heroin hat mir heute nichts mehr zu geben, das ich gerne haben möchte. Vor allem nicht für den Preis, den ich bezahlt habe. Ich bin heilfroh, nicht mehr süchtig zu sein, und liebe mein Leben mit meiner Freundin und meinem kleinen Sohn. Nach den leidvollen Suchterfahrungen kann ich das vielleicht besonders genießen.

Kommentare