"In 15 Jahren ist Krebs heilbar"

Molekularbiologin und Genetikerin Angelika Amon MIT, Koch Institute for Integrative Cancer Research am Howard Hughes Medical Institute
Die Molekularbiologin Angelika Amon forscht am MIT an einem Medikament gegen Krebs.

150.000 Dollar betrug das „Preisgeld“. „Damit kann ich genau neun Monate lang Kost und Logie für die Mäuse bezahlen“, sagt die Wiener Molekularbiologin und Genetikerin Angelika Amon. Im Mai wurde die 46-jährige Wissenschafterin in Hamburg mit dem Ernst-Jung-Preis für Medizin ausgezeichnet. Gemeinsam mit dem Direktor am Institut für Biochemie der Frankfurter Goethe-Universität, Ivan Dikic.

Etwa 500 Mauskäfige (pro Käfig 2–3 Mäuse) befinden sich im siebenten Stock des Koch Institute for Integrative Cancer Research am Howard Hughes Medical Institute am MIT (Massachusetts Institute of Technology). Die Adresse 500 Main Street ist seit 19. April 2013 auch aus einem anderen Grund bekannt, da dort im Zuge der Verfolgungsjagd der Bomben-Attentäter beim Boston-Marathon ein Polizist erschossen wurde. Ihm zu Ehren wurde eine kleine Gedenkstätte errichtet.

Angelika Amon ist eine der führenden Krebsforscherinnen der Welt, eine Koryphäe, aber dennoch locker, freundlich und zugänglich geblieben. „Wissen Sie, was ich an Österreich manchmal wirklich vermisse? Schokobananen, Mozartkugeln Punschkrapferln und Leberkäs-Semmeln“, sagt sie und lacht. Sie ist kollegial im Umgang mit ihren Mitarbeitern, eine Autorität, ohne autoritär zu sein. Gemeinsam wollen sie das große Ziel erreichen: In Ihrem Labor erforscht sie die zellularen Ursachen der Krebsentstehung. Der KURIER konnte Amon in ihrem Labor besuchen.

Mäuse und Bäckerhefe

Anhand von Mäusen und normaler Bäckerhefe – „Hefe verhält sich wie menschliche Zellen“ – wird das Phänomen der „Aneuploidie“ studiert. „Es wird geforscht, wie sich Zellen teilen und was passiert, wenn diese Zellteilung schiefläuft und das genetische Material falsch aufgeteilt wird“, erklärt Amon. Einige Patente habe man bereits.

Ein falscher Chromosomensatz ist nicht nur die Ursache für Trisomie 21, sondern wird auch in menschlichen Krebserkrankungen gefunden. „Wir versuchen, Medikamente, Chemikalien und Substanzen zu entdecken, die diese Schwachpunkte, dass die Krebszellen einen falschen Chromosomensatz haben, verstärken.“ Ziel ist, neue Medikamente zu entdecken, um den Krebs zu besiegen. Der Preis bedeute ihr viel, weil es eine Anerkennung sei. „Wichtig ist, dass meine Forschung dazu beiträgt, Menschen zu helfen und Krankheiten zu heilen.“

Der Kindheitstraum

Schon als kleines Mädchen hatte sie einen Hang zur Wissenschaft. Zuerst wollte sie – wie vermutlich viele Kinder – Dinosaurierforscherin werden. Dann Zoologin und schließlich Krebsforscherin. Menschen sollen von Krankheiten geheilt werden, an denen sie früher gestorben sind. Auslöser war der Tod ihres Vaters, der an Leberkrebs gestorben ist. „Ich war damals schon Biologin und er sagte zu mir, ,Angelika, finde doch was, finde doch was‘“, erzählt Amon. „Es hat mich erschüttert, wie machtlos ich war.“ Da reifte in ihr der Gedanke, den Krebs heilen zu wollen. „Es hat ja schon viele Durchbrüche gegeben und spezielle Krebserkrankungen sind – rechtzeitig erkannt – heilbar. So der Brustkrebs oder auch Leukämie. Aber gegen andere Krebserkrankungen kann man fast nichts machen, wie etwa Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Gehirntumore.“

eMails der Hoffnung

„Was wirklich schlimm ist, sind die eMails, in denen Eltern die Leidensgeschichte ihrer Kinder erzählen. Sie schreiben und machen sich Hoffnungen, dass man zurückschreibt, dass es eine Heilung gibt.“ Aber meist gibt es diese nicht, auch, wenn das von Medizinern mitunter im TV werbewirksam behauptet wird. „Es ist unverantwortlich, wenn ein Wissenschafter behauptet, ein Rezept gegen Krebs zu haben.“ Als Wissenschafter habe man Verantwortung. Doch viele ließen sich gerne als die großen Stars feiern. „In den USA gibt es bereits einen Slogan: more people live from cancer than die from it.“ (Anm.: Es leben mehr Menschen vom Krebs, als daran sterben.) Die Geschäftemacherei mit Krebs stößt Amon sauer auf. Obwohl „nur“ etwa 50 Millionen Euro notwendig wären, um ein Medikament zu entdecken.

Richtige Fragen stellen

„Der Prozess der Zellteilung hat mich immer schon begeistert“, sagt Amon. „Aber man muss die richtigen Fragen stellen, denn nur dann kann man auch die richtigen Antworten bekommen. Das setzt eine Klarheit des Denkens voraus und Kreativität.“

Amon definiert Forschung folgendermaßen: „Man hinterfragt einen Zustand und überlegt sich relevante Fragen, die sich mit einfachen und klaren experimentellen Vorgangsweisen beantworten lassen. Wenn ich das mache, passiert das. Und warum passiert das. Die Grundlagenforschung wird zu medizinischen Durchbrüchen führen.“ Es gebe aber keine Garantie, man kann viel vorausdenken, aber kann nicht alles entdecken. „Wir versuchen, biologische Grundsätze zu erforschen, und suchen Substanzen.“

Man braucht Glück

Und vielleicht hat sie Glück, denn auch das gehöre in der Forschung dazu. Amon: „Meine Lieblingsgeschichte ist die von Alexander Fleming. Dessen Ziel war auch nicht, Penicillin zu erfinden, sondern das ist ihm passiert. Er hat in seinem Labor ja zufällig bemerkt, dass ein wieder zufällig in eine Staphylokokken-Kultur hineingeratener Schimmelpilz eine keimtötende Wirkung hatte. Daraus wurde dann das Penicillin entwickelt.“ Große Durchbrüche ließen sich nicht immer vorhersagen.

Man braucht Geld

„Ich kann kein Krebsmedikament herstellen, das muss die Pharmaindustrie. Wenn ich viel Geld hätte, würde es schneller gehen. 10 bis 15 Millionen Dollar und dann nochmals 20 bis 50 Millionen Dollar für klinische Studien. Man bräuchte Geldgeber, Sponsoren, vielleicht sogar die ,Crowd‘, die gemeinsam solche Projekte unterstützen könnte.“

Dennoch ist sie überzeugt, dass es in zehn bis 15 Jahren Medikamente gibt, mit denen der fehlerhafte Chromosomensatz repariert werden kann. „Da alle Krebsarten den falschen Chromosomensatz haben, ist die Hoffnung groß, dass man damit den Krebs besiegen kann.“

„Bleibe in den USA“

Nach Österreich wird Amon – abgesehen von Besuchen im Rahmen ihrer diversen Tätigkeiten in wissenschaftlichen Organisationen – nicht mehr übersiedeln. „Der Hauptgrund ist, ich will nicht in Pension gehen. Ich bin am MIT sehr glücklich und möchte daher meine Lebenssituation im Moment nicht ändern.“

Auch wenn alle Krebserkrankungen geheilt werden könnten, in der Medizin gäbe es noch viele Herausforderungen. Parkinson etwa oder, wohl eine der meist verbreiteten Krankheiten, Alzheimer. Jeder dritte Mensch stirbt mittlerweile daran.

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