Im OP so sicher wie im Cockpit

Im OP so sicher wie im Cockpit
Würde die Medizin auf Team-Trainings nach Vorbild der Luftfahrt setzen, könnten Patientenschäden bei OPs um bis zu 50 Prozent vermieden werden.

Vergessene Operationstücher, übersehene Allergien, Überdosierungen oder die Amputation des falschen Beines (passiert glücklicherweise selten): Solche Fehler gehören in Österreich noch immer zum medizinischen Alltag. Schätzungen zufolge kommen in Österreich jährlich 7500 Patienten aufgrund von Fehlern im Krankenhaus zu Schaden. Drei von 1000 Patienten, die in Akutspitälern aufgenommen werden, erleiden sogar schwere bis tödliche Komplikationen. Das wäre vermeidbar. Univ.-Prof. Norbert Pateisky, Experte für Patientensicherheit an der MedUni Wien, ist überzeugt: "Nicht Nachlässigkeit oder mangelnde Erfahrung gefährden Patienten, sondern systembedingte Routinefehler. Wenn die Leute gezwungen sind, übermüdet, hungrig und in einer stressigen Atmosphäre zu arbeiten, werden Pannen geradezu provoziert."

Das Vorbild zur Erhöhung der Patientensicherheit ist die Luftfahrt – hier wurden nach vergleichbaren Situationen die nötigen Konsequenzen gezogen und regelmäßige Trainings eingeführt. Die Eckpfeiler sind auf den Alltag im Krankenhaus übertragbar: Effizientes Teamwork, offene Kommunikation und optimierte Entscheidungsfindung in Risikosituationen.

Wie in der Luftfahrt ist es auch in der Medizin essenziell, dass ganze Teams gemeinsam trainiert werden. Internationale Studien haben beachtliche Erfolge solcher "Medical Team Trainings" gezeigt: Die deutsche Stiftung Gesundheit fand heraus, dass allein der Einsatz von Checklisten die Komplikationen im Spital um ein Drittel und die Todesfälle um 40 Prozent reduzieren kann.

Das renommierte New England Journal of Medicine veröffentlichte eine Studie, wonach lebensgefährliche Infektionen auf 103 teilnehmenden Intensivstationen mithilfe von Teamtrainings um 66 Prozent reduziert werden konnten. In dem 18 Monate dauernden Vergleichszeitraum starben um 1500 Patienten weniger als zuvor. Außerdem ersparte man sich mehr als 100 Mio. Dollar (78 Mio. Euro) an Behandlungskosten durch das Vermeiden der Infektionen.

Keine Schuldigen

"Checklisten sind nicht die Lösung – sie sind nur ein Mosaikstein aus einigen Maßnahmen", sagt Pateisky. Es brauche eine Veränderung der Kultur. Der Linienpilot und Trainer von Krankenhausteams, Captain Hans Härting, erklärt dazu: "Wir sollten nicht im Nachhinein durch Gutachter nach einem Schuldigen suchen, sondern vorher alles dafür tun, dass ein Fehler gar nicht erst passiert. Die beste Strategie ist, strukturiert im Team zusammenzuarbeiten." Oft würde sich im Rahmen des Autoritätsgefälles niemand trauen, auf einen Fehler aufmerksam zu machen.

Auch die Kostenfrage lassen die beiden Experten nicht gelten: "Wenn ein Patient bleibende Schäden erleidet, zahlt das Krankenhaus nur einen kleinen Teil – die Gesellschaft muss für Folgebehandlungen und Arbeitsausfälle aufkommen", sagt Pateisky. Würden Spitalsmitarbeiter nur einen Tag weniger auf einen Fachkongress und dafür zu einem Sicherheitstraining gehen, könnten schon hohe Effekte erzielt werden.

Härting ergänzt mit einem Zitat: "If you think safety is expensive, try an accident." (Wenn du glaubst, dass Sicherheit teuer ist, versuch’s mit einem Unfall.)

Trainings reduzierten Fehler um 25 Prozent

Hinsichtlich Patientensicherheit ist das Krankenhaus Barmherzige Brüder in Linz nicht nur vorbildlich, sondern auch sehr erfolgreich: "Während früher auf 100 Operationen etwa sieben Infektionen kamen, konnte die Zahl seit der Einführung der Team-Trainings auf null reduziert werden", erklärt der ärztliche Direktor Thomas Müller. Die Zahl der Schäden konnte insgesamt um rund 25 Prozent gesenkt werden.

Mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter (etwa 600) werden seit dem Jahr 2009 in regelmäßigen Abständen geschult. Müller: "Es muss in Fleisch und Blut der Mitarbeiter übergehen, dass sie bei jeder Maßnahme – egal, ob Blutabnahme oder Medikamenten-Verabreichung – sichergehen, es mit dem richtigen Patienten zu tun zu haben."

Ein weiterer Punkt ist die abgesicherte Kommunikation im Behandlungsteam – damit jeder weiß, was genau geplant ist. Außerdem werden besonders gefährliche Medikamente speziell gekennzeichnet, um versehentliche Überdosierungen zu verhindern. Zur Erhöhung der Patientensicherheit gehört auch eine Checkliste, mit deren Hilfe nochmals überprüft wird, ob zum Beispiel das richtige Bein gekennzeichnet wurde, ob eventuelle Allergien berücksichtigt wurden, etc.

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehört außerdem die strengere Einhaltung der Hygienerichtlinien. Hier konnte die Einführung eines "Hygiene-Copiloten" die eingangs beschriebene Reduktionen bei Infektionen bewirken. Dieser achtet speziell darauf, dass sich der Arzt nach jedem Patient die Hände desinfiziert.

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