Gravierende Mängel bei Brustkrebs-Früherkennungsprogramm

Bisher gehen nicht mehr Frauen zur Mammografie.
Experten aus der Gesellschaft für Brustgesundheit üben Kritik: Keine neuen Zielgruppen erreicht, niedergelassene Ärzte zu wenig eingebunden, wesentliche Daten fehlen.

Heftige Kritik am österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogramm üben jetzt führende Experten im Bereich Brustgesundheit. Zwar sei die Qualität der Vorsorgeuntersuchungen deutlich gestiegen, doch würden viel zu wenig Frauen am Screening-Programm teilnehmen. Die Österreichische Gesellschaft für Senologie (ÖSG, Brustgesundheit) ortet gravierende Mängel.

"Das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm hat die Qualität der Untersuchungen deutlich verbessert", sagte Donnerstagvormittag die Strahlentherapeutin Univ.-Prof. Alexandra Resch, Leiterin des Röntgeninstituts mit dem Schwerpunkt Brustgesundheit im Franziskusspital Margareten und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Senologie. "Das Problem ist allerdings, dass viel zu wenige Frauen am Programm teilnehmen."

Nur wenig "neue" Frauen

Der Effekt, Frauen zur Untersuchung zu bringen, die sonst wenig Kontakt zum Gesundheitssystem haben, sei nicht eingetreten, so Resch. So sei beispielsweise in Wien nur ein Prozent der im Rahmen des Brustkrebs-Früherkennungsprogramms untersuchten Frauen ab 50 zuvor noch nie bei einer Mammographie gewesen.

Diese Infografik enthält unter anderem Daten aus dem ersten offiziellen Evaluationsbericht:

Gravierende Mängel bei Brustkrebs-Früherkennungsprogramm
Grafik, Illustration Pilar Ortega
Darüber hinaus ist insgesondere in der Gruppe der 60- bis 70-jährigen Frauen, die ein besonders hohes Erkrankungsrisiko aufweist, die Teilnahmequote besonders niedrig. "Offenbar wird hier über Medien und Werbemaßnahmen eine 'falsche Awareness' gebildet, die suggeriert, dass jüngere Frauen öfter betroffen sind - was jedoch völlig falsch ist. Um das Bewusstsein zu schaffen, auch diese Zielgruppe anzusprechen und dadurch die Teilnahmerate zu erhöhen, muss deultich mehr Geld in die Hand genommen werden."

Mangelnde Einbindung der Gynäkologen

Ein weiteres Problem sieht der Gynäkologe Univ.-Prof. Dr. Christian Singer, Leiter der Brustgesundheit an der Universitätsfrauenklinik Wien und Vizepräsident der ÖGS, in der mangelnden Einbeziehung und Wertschätzung der niedergelassenen Gynäkologen: „Frauenärzte fühlen sich ausgeschlossen und nicht adäquat über das Programm informiert. Sie erhalten einen Brief, dass ihre Patientin an der Untersuchung teilgenommen hat, werden aber nicht einmal über das Ergebnis dieser Untersuchung informiert.“

Stärker in das Programm einbezogen werden müssten aber auch alle beteiligten Fachrichtungen im Rahmen der Assessments in Spitälern. „Bei verdächtigen Befunden ist es notwendig, dass jedes beteiligte medizinische Fach selbst die Ergebnisse der Abklärungsuntersuchungen nach international anerkannten Kriterien dokumentiert, sonst passieren Fehler“, sagte Univ.-ProfAngelika Reiner, Pathologin, Abteilungsvorstand des Pathologisch-Bakteriologischen Instituts im SMZ Ost – Donauspital Wien und Vizepräsidentin der ÖGS. „Dafür ist es notwendig, die Ärzte aller beteiligten Fachrichtungen ins gemeinsame Boot zu holen und gleichzeitig mehr personelle Ressourcen für Dateneingabe und Datenqualität zur Verfügung zu stellen.“

Daten fehlen

Ein weiterer Kritikpunkt am Brustkrebs-Früherkennungsprogramm ist das Fehlen von Daten, die eine seriöse Evaluierung überhaupt erst möglich machen. „Es gab keinerlei Evaluierung des Ist-Zustands vor Beginn des Programms“, sagte Singer. „Wie soll man eine Verbesserung der Sterblichkeitsrate nachweisen, wenn man nicht weiß, wie hoch sie vorher war? Was wir brauchen, ist ein klinisches Krebsregister, um Therapien und den Früherkennungswert evaluieren zu können.“

Was der erste offizielle Evaluationsbericht des Programms ergab, lesen Sie hier.

Die Österreichische Gesellschaft für Senologie ist ein interdisziplinäres Forum für Brustgesundheit. Sie fördert den Erfahrungssaustausch zwischen allen Fachrichtungen und Personen, die sich mit der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen der Brustdrüse beschäftigten.

In einer ersten Stellungnahme reagierten die Programmverantwortlichen auf die Kritik. Der „Erste Evaluationsbericht zum Österreichischen Brustkrebs-Früherkennungsprogramm“ wurde Anfang April der Öffentlichkeit vorgestellt. "Anders als einzelne Wortmeldungen vermuten lassen, stellt der Bericht dem Programm insgesamt ein positives Zeugnis aus. Das macht deutlich, dass aus den Ergebnissen teils voreilige Schlüsse gezogen werden."

„Der Bericht bestätigt, dass das Programm Wirkung zeigt. Das äußert sich etwa in der verbesserten Qualität der Untersuchungen und in der Wirksamkeit des Erinnerungsbriefes“, so Romana Ruda, Leiterin des Brustkrebs-Früherkennungsprogramms. „Wir arbeiten laufend an der Weiterentwicklung des Programms. Der Bericht zeigt aus Sicht der Evaluierung auf, wo der Schuh drückt, und wir haben bereits die ersten Schritte gesetzt, um das aufgezeigte Optimierungspotenzial gemeinsam mit unseren Partnern zu analysieren. Gleichzeitig bestätigt der Bericht auch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir scheuen uns nicht vor Kritik, aber angesichts der öffentlichen Kritik, die uns über die Medien erreicht, ersuchen wir ausdrücklich darum, die Kirche im Dorf zu lassen, und die betroffenen Frauen nicht unnötig zu verunsichern.“

"Wir stehen hinter dem Programm"

Ähnlich auch der Generaldirektor-Stellvertreter des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, Alexander Hagenauer: „Wir stehen nach wie vor hinter dem Programm, das als gemeinsame Initiative von Gesundheitsministerium, Sozialversicherung, Ländern und der Österreichischen Ärztekammer umgesetzt wurde. Die Koordinierungsstelle arbeitet intensiv daran, das gute Programm laufend zu verbessern. Aus diesem Grund wurde bei Programmstart festgelegt, bereits nach zwei Jahren einen ersten Evaluationsbericht vorzulegen; auch wenn das in anderen Ländern, wo es vergleichbare Screening-Programme gibt, deutlich anders gehandhabt wird. Wir wollten bewusst transparent agieren und nehmen die aus dem Bericht resultierenden Empfehlungen sehr ernst.“

"Programm ist gut"

Beide sind sich darin einig, dass aus den Ergebnissen keine falschen Schlüsse gezogen werden dürfen. „Genügend Ergebnisse belegen, dass das Programm gut ist. Wer nur die Kritikpunkte herauspickt, macht nur einen Teil der Medaille sichtbar“, so Ruda.

Als Beispiel nennt sie, dass 54 Prozent der Frauen der Kernzielgruppe zwischen 2014 und 2015 eine Brustuntersuchung machen haben lassen.

Ein anderes Beispiel sei die im Bericht enthaltene Empfehlung, die Information der Frauen voranzutreiben, komplexe Programminhalte noch verständlicher zu machen und eine informierte Entscheidung der Frauen zu unterstützen. „Zielgruppenspezifische Kommunikation ist eine große Herausforderung. Daran arbeiten wir seit dem Start laufend und intensiv“, so Ruda.

Eine IFES Umfrage von Herbst 2016 weise den Programminhalten ‚breiteste Akzeptanz und Bekanntheit‘ aus. "Hier wird deutlich, dass so mancher Vorwurf, den man uns macht, gar nicht mehr aktuell ist, weil sich der Bericht retrospektiv auf die ersten beiden Jahre bezieht. Uns ist deshalb wichtig, dass das Programm nicht unnötig diskreditiert wird, denn dadurch werden die Frauen verunsichert. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Vielmehr sollten alle Beteiligten neben den Verbesserungsmöglichkeiten auch die bisherigen Erfolge des Programms deutlich kommunizieren“, sagt Ruda.

Was die leitende Ärztin sagt

Die programmleitende Medizinerin, Marianne Bernhart, erklärt in der Aussendung: „Unsere Informationsveranstaltungen sind auf die verschiedenen Bedürfnisse der Frauen ausgerichtet. Wir haben zuletzt beispielsweise intensiv in Migrantinnenvereinen informiert. Auch große Unternehmen fragen bei uns Vorträge an. Letztes Jahr waren wir mit unserer Österreich-Tour an verschiedenen Standorten in den Bundesländern präsent und immer wieder zeigt sich, dass die Frauen gerade diese Möglichkeit, sich zu informieren, gerne annehmen. Wir beobachten die Entwicklungen sehr genau und prüfen laufend neue Möglichkeiten der altersgruppenspezifischen Kommunikation mit den Frauen. Das Programm ist zweifellos besser als sein Ruf.“

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