Gesünder leben, weniger zahlen

Gesünder leben, weniger zahlen
Wer abnimmt oder weniger raucht, soll weniger Selbstbehalt zahlen, plant die SVA. Unter Experten ist das umstritten.

Ein Schritt zu einem gesünderen Leben - oder einer zur Diskriminierung etwa übergewichtiger Menschen? Heftige Diskussionen hat das neue Vorsorgeprogramm "Selbstständig Gesund" der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) ausgelöst, das im Jänner in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer startet: 550.000 Selbstständige können sich die Hälfte ihres 20-prozentigen Selbstbehalts beim Arzt ersparen -, wenn sie mit ihren Ärzten vereinbarte Gesundheitsziele in fünf Bereichen (Blutdruck, Gewicht, Alkohol, Rauchen, Sport) erreichen.

Die Versicherten gehen zunächst zur Vorsorgeuntersuchung. Bei den Angaben zur Bewegung, zum Zigaretten- und Alkoholkonsum vertraut man auf die Ehrlichkeit der Patienten, Kontrollen wie Kohlenmonoxid-Messungen bei Rauchern gibt es nicht. Danach vereinbaren Arzt und Patient "ein individuelles Gesundheitsziel", sagt Peter McDonald, geschäftsführender SVA-Obmann.

Nach sechs Monaten - und dann wieder nach eineinhalb bis zwei Jahren - wird überprüft, ob dieses Gesundheitsziel eingehalten wurde: Wenn ja, wird der Selbstbehalt reduziert. Die SVA bietet auch Programme an, die etwa beim Rauchausstieg helfen sollen.

Eine Diskriminierung bestehe nicht, so die SVA: Auch bei Versicherten, die bereits beim ersten Termin sämtliche Gesundheitsziele erreichen, werde der Selbstbehalt - wegen des Gleichheitsgrundsatzes - erst nach sechs Monaten reduziert. Günther Wawrowsky, Obmann der niedergelassenen Ärzte in der Kammer: "Die SVA versucht die Leute positiv zu aktiver Vorsorge zu motivieren. Der Benefit wird sein, dass mehr Menschen die Vorsorgeuntersuchung machen und vielleicht einige mehr einen Ansporn haben, die Ziele zu erreichen."

"Das Prinzip halte ich grundsätzlich für gut, Menschen brauchen einen gewissen Anreiz, um ihr Verhalten zu ändern. Das belegen zahlreiche Studien", sagt der Stoffwechselexperte Univ.-Prof. Kurt Widhalm: "Wichtig ist aber, dass es ausreichend professionelle Angebote gibt, die Menschen unterstützen, ihr Verhalten zu ändern, um so ein Ziel erreichen zu können. Nur jemandem an den Kopf zu werfen, er soll 10 Kilo abnehmen - das ist zu wenig. Das hat er ohnehin schon hundert Mal probiert."

Kritik

Gesünder leben, weniger zahlen

"Es ist zwar ein interessanter Pilotversuch: Aber ich sehe ihn mit sehr gemischten Gefühlen", sagt der Sozialmediziner Univ.-Prof. Michael Kunze von der MedUni Wien. "Das Wort ,Diskriminierung' ist vielleicht zu hart, aber es besteht eine gewisse Gefahr, dass es in diese Richtung geht." Es könne zu einer "Unterhöhlung der Solidargemeinschaft" kommen.

Ganz ablehnend ist der Österreichische Hausärzteverband: "Das ist ein Probeballon für die Zukunft. Das Konzept verlässt das Solidarische und geht in Richtung Zweiklassenmedizin", kritisiert der Mediziner Christian Euler. "Wir bewegen uns weg von der Verschwiegenheit hin zur Meldepflicht. Außerdem wird übersehen, dass Armut krank macht. Die Maßnahme trifft nicht die wenigen Manager, die sich ohnehin eine gute Versorgung leisten können, sondern jene, die 70 Stunden pro Woche arbeiten, um irgendwie ein Auslangen zu finden." Statt in die Menschen, werde in ein destruktives Programm investiert.

"Wir gehen andere Wege", sagt Ingrid Reischl, Obfrau der WGKK: "Wir versuchen, so gut wie möglich die Prävention zu fördern. Dazu laden wir zwei Mal pro Jahr unterschiedliche Zielgruppen zur Vorsorgeuntersuchung ein. Im heurigen Herbst wurden 70.000 Patientinnen und Patienten angeschrieben." Die Chefin der WGKK spricht sich generell gegen Selbstbehalte aus. Ein Bonus-Malus-System könnte die medizinische Versorgung gerade für sozial schwache Gruppen verteuern. Ähnlich die NÖGKK: "Wir setzen auf betriebliche Gesundheitsförderung, Ernährungsberatung, Tabakentwöhnung, Prävention in Schulen. Ein Bonus-Malus-System ist kein Thema."

Österreicher werden älter, aber früher krank

Gesünder leben, weniger zahlen

Die Lebenserwartung in Österreich ist im EU-Vergleich zwar leicht über dem Durchschnitt, aber: Die Aussicht auf gesunde, beschwerdefreie Jahre ist hierzulande schlechter. "Die ,Gesundheitserwartung' liegt in Österreich in der Gesamtbevölkerung bei 58,8 Lebensjahren, fast drei Jahre unter dem EU-Schnitt von 61,5 Jahren und nur an 20. Stelle der EU 27", sagt WIFO-Chef Univ.-Prof. Karl Aiginger. Dies sei ein "Warnsignal".

Die Österreicher werden von 13 Ländern überholt, in denen die Bevölkerung bei der Geburt eine niedrigere Lebenserwartung hat, aber eine größere Zahl gesunder Jahre erwarten könne. "In Malta, Schweden und Großbritannien liegt die gesunde Lebenserwartung bei 68 Jahren - das sind zehn Jahre mehr als in Österreich."

Der Grund für das schlechte Abschneiden Österreichs laut Aiginger: "Die mangelnde Prävention." Die Ausgaben dafür lägen in Österreich unter dem EU-Durchschnitt. Sozialmediziner Univ.-Prof. Michael Kunze: "Österreich hat einen Nachholbedarf in Präventionsangeboten."

Erst vor wenigen Tagen warnte die OECD vor dem Anstieg der Zahl der krankhaft übergewichtigen Menschen: In allen OECD-Ländern, für die die Daten vorliegen, hat sie sich in den vergangenen 20 Jahren vergrößert, in Österreich beträgt sie derzeit zwölf Prozent. "Aber es gibt in Österreich für diese Menschen viel zu wenige, nachweisbar wirksame Angebote", sagt der Stoffwechselexperte Univ.-Prof. Kurt Widhalm.

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