Keszler: "Werden die Krankheit gemeinsam besiegen"

Gery Keszler
Rückblick & Ausblick. Gery Keszler erklärt, wie er sich seit dem ersten Life Ball vor 25 Jahren verändert hat, wie der Kampf gegen HIV / AIDS weitergeht und warum sein Outing 2015 der richtige Zeitpunkt war.

KURIER: Herr Keszler, vor 25 Jahren haben Sie den Life Ball ins Leben gerufen, um HIV und AIDS die Stirn zu bieten und Bewusstsein dafür zu schaffen. Obwohl es sich um so ein ernstes Thema handelt, haben Sie es stets mit positiver Lebenseinstellung erfüllt – woher schöpfen Sie die Kraft dafür?

Gery Keszler: Meine Triebfeder war und ist es, einer tödlichen Krankheit mit einem Fest für das Leben zu begegnen. Mein Team und der wachsende Erfolg bekräftigen mich, stets weiterzumachen und den Ball immer wieder neu zu erfinden. Der Life Ball ist heute eine der wichtigsten Charityveranstaltungen für HIV / AIDS und wird auch weit über die Grenzen Österreichs wahrgenommen. International gesehen ist LIFE+, der Trägerverein des Life Ball, auf Platz 13 der wichtigsten europäischen Fundraiser, wir konnten in den vergangenen 24 Jahren 62 nationale und internationale AIDS-Hilfsprojekte unterstützen. Andererseits gibt es im vierten Jahrzehnt nach der Entdeckung des Virus noch immer Hemmschwellen und große Wissenslücken. Der Life Ball – wie alle unsere Veranstaltungen – schafft einen Anlass, die Krankheit ins Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit zu bringen. Denn AIDS geht uns schließlich alle an.

Vor zwei Jahren haben Sie mit Ihrem Outing als Betroffener viel Aufsehen erregt. Wie hat sich das auf Ihre Projekte ausgewirkt?

Ich habe in meinem Umfeld fast ausnahmslos Unterstützung erfahren. Mein Outing am Life Ball 2015 war sehr emotional und nicht geplant, aber es war für mich der richtige Zeitpunkt, auch für den Life Ball. Ich wollte nie aus Mitleid Unterstützung für den Life Ball erheischen. Vielmehr bieten wir innovative Marketingkonzepte und mediale Aufmerksamkeit an. Ein früheres Outing hätte mir in den Anfangsjahren, als mein Lebensschwerpunkt in Paris war, meine berufliche wie private Existenz zerstört. Später hätte mein Outing die Möglichkeit, internationale Partner zu gewinnen, unmöglich gemacht – so war bis 2010 eine Einreise in die USA nicht möglich. Mit meinem Outing wollte ich vor allem Betroffenen Mut machen, ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind und der Stigmatisierung entgegen treten. Nichtsdestotrotz rate ich allen, sich diesen Schritt zweimal zu überlegen. Denn Diskriminierung passiert überall: am Arbeitsmarkt und im persönlichen Umfeld.

HIV, AIDS und der Life Ball sind inzwischen jedem ein Begriff – doch was hat sich im Kampf gegen die Krankheit verändert?

Seit wir vor 25 Jahren unseren Verein gegründet haben, hat sich viel getan. Das darf aber nicht davon ablenken, dass beispielsweise viele Österreicher noch immer den Unterschied zwischen HIV und AIDS nicht kennen. Deswegen setzen wir auf sehr klare, eingängige Botschaften, die sich einprägen und jedem verständlich sind. Eine der wichtigsten Maßnahmen im Kampf gegen HIV / AIDS ist, dass die Menschen sich der Gefahr bewusst bleiben.

Alle müssen sich im Klaren sein, dass die Krankheit nur bekämpft werden kann, wenn man seinen HIV-Immunstatus kennt. Daher sollten jeder Mann und jede Frau sich regelmäßig testen lassen und keine Angst vor der Diagnose haben. Denn im Falle eines positiven Befunds kann man in Österreich schnell Unterstützung und Therapie erhalten, um die Virenbelastung zu senken und sie im besten Fall unter die Nachweisbarkeitsgrenze zu bringen. Dadurch ist eine Ansteckung Dritter praktisch nicht mehr möglich. Mit unserer Know Your Status-Kampagne unterstützen wir das Bewusstsein für diese Notwendigkeiten. Allein in Wien sind die Testnachfragen im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen. 2018 werden wir die Kampagne ausbauen und weiterführen.

Wo gibt es den meisten Aufholbedarf?

Besonders in der jüngeren Generation hat sich die Einstellung zu HIV und AIDS verändert. Sie ist sich des Schreckens der Krankheit nicht mehr bewusst. Es fehlt den nachkommenden Generationen an Basiswissen. Daher haben wir heuer gemeinsam mit Jugend gegen AIDS e.V. Peer to Peer-Workshops ins Leben gerufen, mit dem Ziel, dass Jugendliche ihre Altersgenossen aufklären. Der neue LIFE BALL NEXT GENERATION galt als Dankeschön für ihr Engagement und wurde sehr gut angenommen. Er findet auch 2018 wieder am Abend nach dem Life Ball im Wiener Rathaus statt.

Der Life Ball ist über die Jahre nicht nur größer und schillernder geworden, Sie haben auch immer wieder das Event nachjustiert, um Ihr Ziel und die Aussagen dahinter noch besser rüberzubringen. Aus welchen Fehlern haben Sie gelernt? Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Momente?

Der Life Ball ist in den letzten 25 Jahren rasant gewachsen. Er ist aufgrund seiner Komplexität und der Opulenz des Programms vermeintlich oberflächlicher geworden. Von unserer Kernbotschaft wurde viel zu sehr abgelenkt. Dass wir insgesamt 62 Organisationen in all den Jahren unterstützt haben, wurde in den Hintergrund gedrängt. Ganz bewusst haben wir deshalb 2016 inne gehalten und uns die Zeit genommen, die uns wichtigen Inhalte zu schärfen. Dies ist mit dem heurigen Life Ball hervorragend gelungen, der Life Ball hat geprunkt ohne zu prahlen. Der Jubiläumsball am 2. Juni 2018 wird das noch einmal bekräftigen.

Keszler: "Werden die Krankheit gemeinsam besiegen"
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Wie versteht sich der Life Ball in Bezug auf Hilfsorganisationen?

Der Life Ball versteht sich als Drehscheibe für AIDS-Hilfsorganisatoren und deren Projekte, national wie international. Der Ball soll als Schulterschluss gelten, bei dem alle in Wien zusammenkommen und sich austauschen. Die Lebensfreude am Fest ist eine starke Waffe, mit der wir Erfolge im Kampf gegen HIV/AIDS feiern und ein sichtbares Zeichen für Weltoffenheit und gegen Ausgrenzung setzen. LIFE+ ist ein bedeutender finanzieller Partner für die wichtigsten Initiativen. Mit der neuen Struktur und der Dachmarke LIFE+ wollen wir unsere Arbeit über das ganze Jahr sichtbar machen.

25 Jahre Life Ball, 25 Jahre Kampf gegen HIV und AIDS – Sie haben in der Öffentlichkeit viel verändert. Wie sehr haben Sie sich selbst dabei geändert?

Seit dem ersten Life Ball ist viel passiert. Ich habe persönlich viel gelernt und bin mit dem Life Ball gewachsen. Abgesehen davon, dass ich natürlich älter geworden bin, bin ich auch pragmatischer und gelassener geworden. Aber das heißt nicht, dass ich weniger enthusiastisch für den Life Ball einstehe. Ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass wir gemeinsam die Krankheit besiegen werden.

In den vergangenen 25 Jahren gab es medizinisch einige Fortschritte. Betroffene können heute ein fast normales Leben führen. Eine Heilung scheint oft zum Greifen nahe – ist das der nächste Meilenstein?

Im Vergleich zu der Situation vor einem Vierteljahrhundert, als wir den ersten Life Ball ausrichteten, haben sich die medizinischen Bedingungen deutlich gebessert. HIV ist zu einer chronischen, aber behandelbaren Krankheit geworden. Das ist ein enormer Fortschritt.

Wir müssen aufpassen, dass sich dadurch keine gefährliche Unbekümmertheit breit macht. Die Krankheit muss weiter ernst genommen werden. Der nächste Meilenstein auf unserem Weg ist die internationale Umsetzung der sogenannten 90/90/90-Ziele von UNAIDS – also die flächendeckenden Kenntnis des eigenen HIV-Status, die durchgehende medizinische Versorgung mit antiretroviralen Therapien und die Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze (siehe auch Grafik oben, Anm.). Mein größter Traum ist und bleibt, dass es den Life Ball irgendwann einmal nicht mehr braucht, weil wir das Virus besiegt haben.

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