Frauen halten mehr aus, leiden still
Frauen leiden anders. Sie haben ein anderes Schmerzempfinden als Männer. Eine Tatsache, die in der Medizin jahrhundertelang kein Thema war – wie viele andere Unterschiede auch. Der Grund: Der Mann war das Maß aller Dinge und der Prototyp für Therapien und Forschungsansätze. Dass dies anders wird, ist ein Ziel der sogenannten Gender-Medizin. Beim Symposium „Frau im Fokus“ des Instituts für Gender-Medicine der MedUni Wien betonten die Referenten, wie wichtig eine individualisierte Behandlung von Männern und Frauen ist.
Untertherapiert
Diese Sozialisation ist auch eine Ursache dafür, dass Krankheiten bei Frauen oft lange unentdeckt bleiben. Rudolf Crevenna, Klinik für Physikalische Medizin und Rehabilitation der MedUni Wien: „Frauen sind untertherapiert. Sie kommen weniger zum Arzt, weil sie das Gefühl haben, sie dürfen jetzt nicht krank werden.“ Um Kind, Haushalt und Beruf zu vereinbaren nehmen Frauen Mehrfachbelastungen auf sich, die nicht selten in einem Burn-out enden.
Für Henriette Walter von der Uniklinik für Psychiatrie ist dieses keineswegs eine Modediagnose. „Ein Burn-out bezeichnet ein arbeitsplatzbezogenes Syndrom ausgeprägter Erschöpfung, welches zu starker Leistungsreduktion führt.“ Die ersten Anzeichen, sagt Walter, sind vielseitig und werden nicht ernst genug genommen.
"Frauen reagieren mit schwerer Erschöpfung, Männer mit Depersonalisation"
Dabei gebe es auch hier Unterschiede zwischen den Geschlechtern. „Frauen reagieren mit größerer Wahrscheinlichkeit mit schwerer Erschöpfung und mit Beschwerden des Bewegungsapparates, Männer eher mit Depersonalisation, also mit dem Gefühl neben sich zu stehen und/oder mit Herzbeschwerden“, sagt Psychiaterin Walter. Während Männer ein aggressives Verhalten an den Tag legen, treten Frauen den inneren Rückzug an. Sie werden rascher als depressiv eingestuft und bekommen häufiger Antidepressiva verschrieben. Bei Männern hingegen werden Depressionen öfter übersehen, Suizide sind die Folge.
Aber auch der Schlaf von Frau und Mann ist unterschiedlich: Laut dem „Pittsburgh Schlafqualitätsindex“ schlafen nur 26,6 Prozent der Männer, aber 36,5 Prozent der Frauen schlecht. Das vor allem in Zusammenhang mit Schlafstörungen, die keine organische (körperliche) Ursache haben und denen unterschiedliche psychische Erkrankungen zugrunde liegen.
Gerda Maria Saletu-Zyhlarz, Leiterin der Schlafambulanz und des Schlaflabors an der Uniklinik für Psychiatrie: „Innerhalb der schlafbezogenen Atmungsstörungen (Störungen des Atemflusses im Schlaf, Anm.) steigt der Anteil betroffener Frauen nach der Menopause erheblich an.“
Der Grund: Junge Österreicherinnen liegen mit ihrem Zigarettenkonsum europaweit an der Spitze. Frauen rauchen aus anderen Gründen als Männer – um Stress abzubauen und ihr Gewicht zu halten. Kautzky-Willer: „Das zeigt die Notwendigkeit auch von Entwöhnprogrammen speziell für Frauen.“
Das englische Wort „gender“ steht für „das Geschlecht“. Der Begriff „Gender Medicine“ ist die internationale Fachbezeichnung für Humanmedizin unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten. Dabei handelt es sich um eine Wissenschaft, die sich mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen in allen Gesundheitsfragen befasst. Seit dem Wintersemester 2010 bietet die Medizinische Universität Wien als erste österreichische Universität einen postgraduellen Lehrgang zu „Gender Medicine“ an.
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