Wenn Kinder fragen: Papa, was ist Terror?

Eine Polizistin und ein Mädchen in Manchester.
Wie Eltern ihren Kindern vermitteln können, was bei einem Terroranschlag passiert ist. Plus: Was für Kinder wichtig ist.

Blaulicht, zerstörte Gebäude, schreiende Menschen, Verletzte oder sogar Tote. Die Bilder von Terroranschlägen wie etwa jenem in Manchester lassen viele Menschen ratlos zurück. Gerade Eltern stehen vor dem Problem, wie sie ihrem Nachwuchs diese Nachrichten vermitteln sollen. Der KURIER hat die Traumapsychologin Helga Kernstock-Rebl und Hannes Kolar, den Leiter des psychologischen Dienstes der Stadt Wien, befragt und Tipps zum Umgang mit derartigen Nachrichten zusammengetragen.

Nach den Terroranschlägen sind die Bilder und Nachrichten zu diesem Ereignis allgegenwärtig. Wie können Eltern versuchen, einem Kind zu erklären, was da passiert ist? Und: Soll man das überhaupt?

Helga Kernstock-Redl: In erster Linie finde ich es wichtig, solche Bilder und Filme von Kindern möglichst fern zu halten. Je jünger ein Kind ist und je realistischer die Aufnahmen, umso verstörender können sie wirken. Bitte also mit Kleinkindern keine Nachrichten schauen, keine Tageszeitung herumliegen lassen. Oft sind die schrecklichsten Bilder leider außen auf der Titelseite oder als "Vorschau" zwischen Fernsehsendungen. Schon Volksschulkinder schicken einander schlimme Bilder übers Mobiltelefon.
Daher sehen und hören Kinder trotzdem davon und es ist wichtig, sie immer wieder zu Gesprächen einzuladen: "Ich glaube, du hast uns Erwachsene vorher über den Terror reden gehört. Was weißt du denn darüber?" oder "Was hat dich heute gefreut? Und hat dich heute etwas geärgert oder Angst gemacht?" Ziel des Gespräches ist es, Unsicherheit und Angst zu verkleinern und mögliche schädliche Schlussfolgerungen des Kindes, zum Beispiel "Das passiert mir sicher auch", zu hören und darüber reden zu können.

Hannes Kolar: Kinder erkennen das Leid auf solchen Bildern und spüren auch das Entsetzen der Eltern sehr stark. Deswegen sollte man auf jeden Fall mit ihnen über das Gesehene sprechen. Kinder im Vorschulalter können noch nicht gut zwischen Fantasie und Realität unterscheiden. Sie wissen nicht, wie nahe die Anschläge bei ihnen waren und glauben durch die ständige Präsenz des Themas in den Medien, dass es ständig zu Anschlägen kommt. Es ist wichtig, den Kindern Sicherheit zu geben. Das funktioniert am besten, wenn man dabei Worte aus dem Wortschatz und der Lebenswelt des Kindes verwendet.

Ab welchem Alter beschäftigen sich Kinder mit Nachrichten und ab wann ist es unerlässlich, das Thema Terror zu behandeln?

Wenn Kinder fragen: Papa, was ist Terror?
Kernstock-Redl:Die Bedrohung durch Terror ist im Vergleich zu Gefahren im Autoverkehr, um nur ein Beispiel zu nennen, sehr klein. Doch ich denke, ab dem Schulalter kommen Kinder an der Information nicht vorbei, was Terroranschläge sind, dass es also Menschen oder Gruppen gibt, die einem ganzen Land Angst machen wollen, indem sie dort Menschen töten. Das Problem ist, dass die "emotionalen Kurzfilme", wie sie Nachrichten oft bieten, das Interesse bereits bei kleinen Kindern wecken. Diese können sich noch gar nicht bewusst auseinandersetzen, sondern sind passiv diesen schrecklichen Bildern ausgeliefert. Ab dem Schulalter, bei einzelnen Inhalten auch schon früher, beginnt dann die Möglichkeit, das Gesehene in Gesprächen mit den Bezugspersonen in Familie oder Schule wirklich gut zu klären und zu sortieren.
Wenn Kinder fragen: Papa, was ist Terror?
Hannes Kolar
Kolar:Schon die Vorschulkinder kommen mit negativen Nachrichten in Kontakt und gerade sie sind am leichtesten irritierbar. Sie müssen wissen, dass sie fragen dürfen, dass es keine Tabus gibt. Als Eltern kann man auch fragen, ob sie irgendetwas gehört haben, was sie beunruhigt. Und man kann auch offen über das Thema Tod sprechen. Schulkinder haben einen anderen Zugang und wissen, dass solche Anschläge bei uns nur sehr selten passieren. Meistens sind sie in diesem Alter sehr stark an Gerechtigkeit interessiert und wollen oft auch helfen. Bei Teenagern überwiegt dagegen häufig die Empathie mit den Opfern. Bei ihnen setzt sich die Erkenntnis durch, dass Sicherheit sehr relativ ist und immer etwas passieren kann.

Wie detailliert sollen Eltern auf die Ereignisse besprechen? Soll etwa darauf eingegangen werden, dass es sich um Selbstmordattentäter handelt?

Kernstock-Redl: Zunächst ist es wichtig zu erfragen, was das Kind gehört bzw. gesehen hat und was es darüber denkt und fühlt. Holen Sie es also dort ab, wo es steht und bei dem, was es beschäftigt. Nur wenn ein Kind nach Details fragt, dann muss man sie besprechen: "Manche Menschen sind so voller Wut und Hass, dass ihnen ihr eigenes Leben egal ist. Hauptsache, sie tun anderen weh."

Kolar: Es soll auf keinen Fall etwas tabuisiert werden. Wenn Kinder Fragen haben, sollte man diese altersgerecht beantworten, also mit ihren eigenen Worten. Man sollte aber nichts beantworten, was nicht gefragt wird. Schmutzige Details sind unnötig. Angenommen, ein Kind hat aufgeschnappt, dass es sich um einen Selbstmordattentäter handelt und fragt, was das ist. Dann kann man ihm etwa erklären, dass es bei dem Anschlag einen lauten Knall gegeben hat und alles durch die Luft geschleudert worden ist. Dieser Knall war sehr nahe bei dem Attentäter und deswegen hat er das nicht überlebt. Man sollte dem Kind aber auch vermitteln, dass es bei uns keine unmittelbare Bedrohung gibt.

Wenn Kinder fragen: Papa, was ist Terror?
TOPSHOT - Emergency response vehicles are parked at the scene of a suspected terrorist attack during a pop concert by US star Ariana Grande in Manchester, northwest England on May 23, 2017. / AFP PHOTO / Paul ELLIS

Was für Kinder wichtig ist

  • Vermitteln Sie dem Kind Sicherheit, ohne unrealistische Versprechungen zu machen
  • Sprechen Sie offen und ehrlich und informieren Sie sachlich, ohne zu bagatellisieren
  • Hören Sie Ihrem Kind aufmerksam zu, wenn es über das Geschehene reden will
  • Machen Sie Ihre eigene Betroffenheit verständlich
  • Wählen Sie Art und Anzahl der Medienberichte bewusst aus
  • Ermöglichen Sie Ihrem Kind Aktivitäten, um mit den Vorgängen umzugehen (Kerze anzünden, Brief schreiben, beten,...)
  • Achten Sie auf mögliche Reaktionen Ihres Kindes

Anmerkung des Autors: Die Interviews mit Helga Kernstock-Rebl und Hannes Kolar wurden nach den Anschlägen im März 2016 in Brüssel geführt. Die Tipps basieren auf einem Merkblatt des KIT München, das Sie HIER finden.

Kommentare