Experte für Zika-Meldepflicht auch in Österreich

Zunahme importierter Infektionen erwartet

Mehr als ein Dutzend Zika-Fälle wurden in Deutschland allein im Mai, seit Einführung der Meldepflicht für Arboviren, registriert. In der Schweiz sind seit der Einführung der Meldepflicht im März 16 Zika-Fälle verzeichnet worden. "Für Österreich haben wir solche Daten nicht. Aber schon in Erwartung von zunehmenden Fallzahlen durch Reisende in der bevorstehenden Urlaubs-Hochsaison und dem epidemiologischen Risiko durch die Olympischen Spiele wäre eine solche systematische Erfassung aller Fälle auf Basis einer Meldepflicht auch in Österreich wünschenswert", so Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold (Wien), Generalsekretär der Weltföderation für Neurologie (WFN). "Es ist anzunehmen, dass wir in Europa einen Anstieg importierter Zika-Fälle sehen werden, wenn tausende Athleten und Fans aus Rio zurückkehren werden. Immerhin beschäftigt sich jetzt auch die WHO neuerlich mit dem Ausmaß des Risikos, das von diesen Spielen ausgeht."

Risiko durch importierte Fälle

Erst vor wenigen Tagen hatten die Zika-Experten der WFN beim Europäischen Neurologiekongress (EAN) in Kopenhagen darauf hingewiesen, dass sich Europa für die zunehmende Globalisierung der Zika-Infektionen rüsten müsse - auch durch eine verstärkte Überwachung von Erkrankungsfällen. "In weiten Teilen Europas ist das Risiko einer Übertragung durch Mücken zumindest aus derzeitiger Sicht zwar gering. Aber es ist wichtig, die Risiken durch 'importierte' Fälle im Auge zu behalten, also Menschen, die sich in besonders betroffenen Weltregionen angesteckt haben und zurückkommen", so Prof. Grisold.

Zika-Arbeitsgruppe

Experte für Zika-Meldepflicht auch in Österreich
Guilherme Soares Amorim wurde mit Mikrozepahlie geboren.
Die WFN (London) hat kürzlich eine eigene Arbeitsgruppe zu den aktuellen Entwicklungen rund um das Zika Virus eingerichtet. Dies aus gutem Grund: Während zwar viele Infizierte einen milden Krankheitsverlauf oder keine Symptome zeigen, sind alle schweren Komplikationen neurologischer Natur. "Und dies betrifft keineswegs nur die schweren Missbildungen im Gehirn und Nervensystem von Föten, die nach Zika-Infektionen in der Schwangerschaft auftreten können, wie die miittlerweile viel diskutierte Mikrozephalie", so Prof. Grisold, der auch Mitglied der WFN-Arbeitsgruppe ist. "Viel weniger bekannt ist, dass Zika-Infektionen auch bei Erwachsenen zu schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen führen können, etwa dem Guillain-Barré-Syndrom (GBS)." Dazu werden laufend neue Daten veröffentlicht. So zeigte erst kürzlich eine im Fachjournal Lancet veröffentlichtebrasilianische Studie, dass ein Kontakt mit dem Zika-Virus das GBS-Risiko um das 60-fache erhöht.

Was Adriana Melo, Gynäkologin und Expertin für fetale Medizin in Campina Grande, - der zweitgrößten Stadt im brasilianischen Bundesstaat Paraiba - sah, wirkte verstörend. Die grau-weißen Bilder des Ultraschalls zeigten, dass das Baby im Bauch der der 34-jährigen Mutter offensichtlich massive Probleme hatte. Das Gehirn hielt nicht Schritt mit dem restlichen Wachstum des Kindes. Die neuronalen Strukturen zeigten höchst ungewöhnliche Veränderungen – das Gehirn war vergrößert, deformiert, alles Anzeichen für sogenannte Mikrozephalie.

Irritierende Kalkablagerungen als Rätsel

Eine Missbildung mit der sich brasilianische Gynäkologen durchschnittlich ein bis zwei Mal pro Jahr konfrontiert sehen. Die dafür häufigsten Gründe: Drogenmissbrauch, Alkoholismus, genetische Ursachen oder eine Infektion mit dem Rötelvirus. Was Melo ebenfalls irritierte – die Kalkablagerungen, die sie bemerkte. So etwas hatte sie in dieser Form und in dieser Kombination noch nie gesehen. Noch dazu war die Frau, deren Schwangerschaft sie von Anfang an begleitet hatte, keine Risikopatientin. Sie trank nicht, sie rauchte nicht, sie nahm keine Drogen – und in der Familie gab es auch keine genetisch bedingten Krankheiten. Melo stand vor einem Rätsel. Im Gespräch hatte sich allerdings herausgestellt, dass sie in der Frühschwangerschaft, ungefähr um die 8. Schwangerschaftswoche herum, einen Ausschlag hatte. Und Gelenkschmerzen. Beides war schnell vergangen, keiner hegte einen Verdacht. Und (noch) niemand vermutete eine Infektion mit dem Zika-Virus.

Der Moment, als die Ärztin stutzig wurde

Experte für Zika-Meldepflicht auch in Österreich
Als in kurzem Abstand eine zweite Patientin bei Melo auftauchte, deren Baby die gleichen Probleme hatte, wurde die Ärztin stutzig. Sie begann sich umzuhören – um zu entdecken, dass Kolleginnen und Kollegen in ganz Brasilien von ähnlichen Fällen berichteten. Im Oktober erfuhr sie von zirka 60 weiteren Fällen. So etwas hatte sie in ihrer 18-jährigen Praxis als Frauenärztin noch niemals erlebt.

Gerüchte kamen auf – etwa, dass dieses Phänomen in Zusammenhang mit Impfungen stehen könnte. Daran glaubte Melo nicht – sie begab sich, wie eine Detektivin, auf die Suche nach den Ursachen der fatalen Missbildung. Von Zika hatte sie natürlich schon gehört – ein bisher harmloses Virus, das im Jahr 1947 erstmals in Uganda aufgetaucht war – bei Affen. Erst im Jahr 2007 sorgte es für eine Masseninfektion bei Menschen – auf der kleinen Insel Yap, irgendwo in Mikronesien, zwischen den Philippinen und Papua Neuguinea. 2013 wanderte das Virus Richtung Osten, wo es zu einem weiteren großen Ausbruch kam – in Papua Neuguinea. In Brasilien tauchte es erstmals im Mai 2015 auf. Das Virus ist mild, viele Infizierte zeigen keine Symptome oder aber leichte wie Gelenkschmerzen, etwas Fieber, rote Augen, Ausschlag. Die Patienten erholen sich rasch. Von ersten Zika-Infektionen im Campina Grande hatte Melo im Juli 2015 gehört, doch erst im Kontext vermehrter Gehirnmissbildungen bei Ungeborenen begann sie Verdacht zu schöpfen. Sie begann, sämtliche medizinischen Informationen zu dem Erreger zu sammeln. Dabei lernte sie, dass das Virus imstande ist, das Nervensystem zu infizieren, außerdem entdeckte sie zwei Arbeiten, indem ein Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und Gehirnmissbildungen bei Kühen und Schafen hergestellt wurde, im Rahmen von Versuchen.

Im November 2015 zog sie erstmals Fruchtwasser aus dem Bauch Betroffener, um es analysieren zu lassen. Zum gleichen Zeitpunkt war sie zu einer medizinischen Konferenz in Sao Paulo geladen – das Thema: die Gehirnentwicklung des Fötus. Auf ihre Reise nahm sie sämtliche Befunde, medizinische Aufzeichnungen und Ultraschallbilder ihrer Patientinnen mit, um sich mit Experten auszutauschen. Etwa mit Gustavo Malinger, einem Fachmann für pränatale Diagnostik aus Israel und einer der bekanntesten Experten für das fetale Gehirn. Mit den Fakten konfrontiert, zweifelte er zuerst an der Theorie, die Mikrozephalie könne mit dem Virus in Zusammenhang stehen. Doch Melo blieb hartnäckig: Da gibt es ein Muster, das alles ist kein Zufall.

Weltweit das erste Mal Zika im Fruchtwasser

Schließlich ging alles sehr schnell: Auf ihre Initiative hin ermöglichte das brasilianische Gesundheitsministerium den Patientinnen einen Flug nach Sao Paolo, um dort den Experten zu treffen. Malinger sah sich die Frauen vor Ort in einem privaten Spital an. Was nicht sein durfte, wurde zur schrecklichen Wahrheit: Ultraschall- und MRI-Bilder zeigten, dass die Gehirnstrukturen der Ungeborenen komplett zerstört waren, ebenso wie die Augen der Babys. Die Kinder hatten keine Chance.

Das war am 14. November 2015. Den Montag darauf bekam Melo die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung, das Ergebnis: Das erste Mal, weltweit, wurde in Fruchtwasser das Zika-Virus entdeckt. Damit wurde die ganze Aggressivität des Virus offensichtlich. Und der Verdacht auf einen Zusammenhang mit den Gehirnmissbildungen der Ungeborenen erhärtete sich. Die Gynäkologin Adriana Melo informierte das brasilianische Gesundheitsministerium, eine Woche später veröffentlichte auch das European Centre for Disease, Prevention and Control erstmals ein Statement über einen möglichen Zusammenhang von Zika und Mikrozephalie. Der Rest ist Geschichte und allgemein bekannt.

Der aktuellste Wissensstand: Das Zika-Virus kann laut französischen Forschern offenbar nicht nur Gehirne von Ungeborenen schädigen. Die Wissenschafter schilderten am Donnerstag in der Fachzeitschrift „New England Journal of Medicine“ den Fall eines 81-jährigen Manns, der nach einer Kreuzfahrt im Jänner in ein Krankenhaus nahe Paris eingeliefert worden sei. In seiner Rückenmarksflüssigkeit sei das Virus gefunden worden. Der vor seiner Kreuzfahrt im Pazifik völlig gesunde Patient habe unter hohem Fieber und Lähmungserscheinungen gelitten und sei zwischenzeitlich ins Koma gefallen, schrieb das Forscherteam. Bei ihm sei eine Meningoenzephalitis, eine Hirn- und Hirnhautentzündung, diagnostiziert worden. Mittlerweile gehe es ihm etwas besser.

Am Dienstag hatte ein anderes französisches Forscherteam über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und schweren Rückenmarksentzündungen berichtet. Das Virus wurde demnach im Rückmark einer 15-Jährigen nachgewiesen, die Mitte Jänner in einer Klinik im französischen Überseegebiet Guadeloupe mit einer halbseitigen Lähmung eingeliefert worden war.

Es gibt überdies deutliche Hinweise, dass Zika das Guillain-Barre-Syndrom, eine schwere Nervenkrankheit, auslöst. Zika soll bei einer Infektion von Schwangeren bei deren ungeborenen Kindern Mikrozephalie, einen abnorm kleinen Kopf und damit zusammenhängende neurologische Schäden auslösen. US-Forscher fanden nach eigenen Angaben inzwischen den ersten Beweis für einen biologischen Zusammenhang.

Das unter anderem von der Ägyptischen Tigermücke übertragene Zika-Virus grassiert derzeit vor allem in Lateinamerika. Besonders betroffen ist Brasilien: Die Zahl der Zika-Infektionen wird dort auf 1,5 Millionen geschätzt.

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