Der Darm als "Zentrum unserer Gesundheit"

Der Darm als "Zentrum unserer Gesundheit"
Viele Erkrankungen hängen mit dem Darm zusammen. Was Probiotika zur Prävention bringen, wird heftig diskutiert.

Was "können" Probiotika tatsächlich? Was sind nur Mythen und Märchen? Darüber diskutierten bei einem Hintergrundgespräch in Alpbach Ing. Franz Floss (Verein für Konsumenteninformation), Univ.-Doz. Dr. Ingrid Kiefer (AGES/Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) , Univ.-Prof. DI Dr. Wolfgang Kneifel (Universität für Bodenkultur) und Univ.-Prof. Dr. Walter Reinisch ( AKH Wien / MedUni Wien und Verein darm plus).

Walter Reinisch: Durch wissenschaftliche Daten wird zunehmend klar, dass der Darm ein wesentliches Zentrum unserer Gesundheit ist. Eine Vielzahl von Krankheitszuständen wird heute mit einer fehlgeleiteten Darmgesundheit assoziiert: Von der Fettleibigkeit bis hin zur rheumatoiden Arthritis, Asthma bronchiale, Multiple Sklerose, Depression, Typ-1-Diabetes und natürlich den chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.

Zuletzt konnte gezeigt werden, dass sich bei Patienten mit einem schwer therapierbaren Typ-1-Diabetes durch die Übertragung der Darmflora von gesunden Personen deren Profil verbessert. Das spricht dafür, dass in der Darmflora gesundheitsvermittelnde Aktivitäten stecken. Wenn man diesen Gedanken weiter spinnt, dass die Darmflora möglicherweise nichts anderes ist als eine gesunde Zusammensetzung probiotischer Keime, dann sind wir schon im Thema der Probiotika, für die ebenfalls in unterschiedlichsten Indikationen wissenschaftlich bewiesen gesundheitsfördernde Effekte untersucht und auch gefunden wurden.

Bei der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Colitis Ulcerosa wurde sehr eindrucksvoll gezeigt, dass durch probiotische Keime tatsächlich der Verlauf der Erkrankung positiv beeinflusst werden kann. Auch beim Reizdarm haben Probiotika wissenschaftlich bewiesene Effekte. Und es ist bewiesen, dass Probiotika Antibiotika-vermittelte Durchfälle verhindern können.

Wolfgang Kneifel: Ich sehe die Probiotika als Schrittmacher im Bereich der gesundheitlich relevanten Lebensmittelforschung. Sie sind keinesfalls Arzneimittel – in diese Richtung werden sie jetzt gesetzlich ein bisschen gedrängt –, sondern Teil einer gesundheitlich wertvollen Ernährung mit präventivem Charakter. Bei einigen Probiotika – ich rede jetzt nicht von einem Produkt, sondern von Bakterienstämmen, die auch in der Medizin verwendet werden – entstehen positive Reaktionen, die z. B. das Immunsystem wachsamer oder den Darm robuster machen gegen andere unerwünschte Darmkeime – etwa zur Vorbeugung von Reisedurchfall. In den vergangenen 10 bis 15 Jahren sind Tausende Studien erschienen. Alleine das beweist schon ein riesiges Potenzial, dass mehr dahintersteckt als nur Konzerne, die ein Produkt vermarkten wollen.

Franz Floss: Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hat die Health Claims – die gesundheitsbezogenen Angaben – für Probiotika zurückgewiesen. Das heißt, laut EFSA sind die positiven Wirkungen der probiotischen Keime ähnlich oder genauso wie die der nicht probiotischen Joghurtkeime. Probiotische Keime wirken nicht besser als nicht-probiotische Keime. Ich habe dieses "functional food" immer sehr scheel betrachtet, denn es kann ungesunde Lebensweise nicht einfach wettmachen. Ein gesunder Lebenstil ist das "Um und Auf", eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse und Ballaststoffen wichtig. Ich habe immer ein Problem, wenn Lebensmittel in die Nähe von Medikamenten gerückt werden und man sie nur mehr damit bewirbt, dass sie gesund sind. Es gibt kein böses und kein gutes Lebensmittel, es kommt auf die Menge an. Ich glaube, dass Probiotika das Problem der falschen Ernährung in Österreich nicht lösen können.

Kneifel: Das Problem ist, dass man hier für Lebensmittel ein Gesetz geschaffen hat, das mit einem Arzneimittelgesetz vergleichbar ist. Die EFSA sagt nur, dass bestimmte eingereichte Angaben nicht zulässig sind. Sie gibt aber keine allgemeingültige Aussage darüber, ob jetzt wissenschaftliche Fakten griffig oder nicht griffig sind. Da müsste man ja Tausende Studien in Abrede stellen. Was nicht genehmigt ist, muss deshalb nicht falsch sein.

Floss: Also für mich ist es das schon. Momentan ist – nach den lebensmittelgesetzlichen Grundlagen und auch nach meiner Überzeugung – gesundheitsbezogene Werbung für Probiotika auch nach zweimaliger Untersuchung durch die EFSA nicht erlaubt. Das Beste, was die Health-Claim-Verordnung gemacht hat, ist, dass dies gesundheitsbezogenen Werbungen zurückgegangen sind. In dem Moment, wo Lebensmittel damit beworben werden, dass sie besonders gesund sind, braucht man laut aktueller Gesetzeslage spezielle Nachweise.

Ingrid Kiefer: In den vergangenen 15 Jahren hat sich der Trend entwickelt, einem Lebensmittel über seinen Ernährungswert hinaus noch bestimmte Funktionen zu geben. Jedes Produkt hat auf einmal einen Zusatznutzen kommuniziert. Doch mittlerweile ist dieser Trend im Abflachen. Aus meiner Erfahrung heraus war es schon notwendig, hier gewisse Regeln zu schaffen – unabhängig davon, um was für ein Produkt es sich handelt.

Jetzt sind die Regeln auch ganz klar: Wenn ich eine gesundheitsbezogene Aussage mache, muss ich den Beweis dafür bringen. Ganz wichtig ist für mich auch die Abgrenzung zu Arzneimitteln. Die meisten gesundheitsbezogenen Angaben – Claims – sind deshalb abgelehnt worden, weil einfach die Studien nicht sauber gemacht worden sind, weil es Probleme mit dem Studiendesign gegeben hat. Es ist in Zukunft wichtig, dass die Studien so gemacht werden, dass das Ganze auch haltbar ist.

Zu einer gesunden Lebensweise gehört auch viel mehr dazu als nur ein spezielles Produkt – es geht um den gesamten Lebensstil, die Bewegung. Ein probiotisches Produkt ist ein kleiner, winziger Teil.

Floss: Auch ich glaube, dass es notwendig ist Aufklärung über Ernährung zu geben. Das beginnt bei der Gesundheit des einzelnen und reicht bis hin zum Schulsystem.

Ich habe nichts gegen probiotische Keime. Das ist ja nichts Schlechtes. Lebensmittel werden jedoch nur dann verkehrsfähig, wenn sie den juridischen Grundlagen entsprechen.

Reinisch: Wir erleben derzeit eine Epidemie an Erkrankungen, die wir vor 50 Jahren nicht oder kaum kannten und die alle in gewisser Weise mit dem Darm zusammenhängen. Was macht den Darm als größte äußere Oberfläche des Menschen so verletzlich? Es ist mehr als logisch, dass das mit der Zusammensetzung der Darmflora zu tun hat. Wir haben immer mehr junge Patienten, die chronisch krank sind. Ich sehe diese Katastrophen täglich und zerbreche mir den Kopf, was ich präventiv tun kann, um nicht nur ständig diesen Erkrankungen mit neuen Medikamenten nachzulaufen.

Und dann sind wir wieder bei den Probiotika. Wer weiß, wie in 30 Jahren die Daten aussehen, wenn ab jetzt jeder so ein Probiotikum zu sich nimmt und diese tatsächlich eine gesundheitsfördernde Wirkung haben? Vielleicht würden wir den Trend stoppen und einen Erfolg sehen. Aber das ist derzeit sehr hypothetisch und wir wissen es nicht.

Kneifel: Als Wissenschaftler würde ich es sehr bedauern, wenn die Probiotika-Forschung jetzt einen Rückzieher macht. Ich rege an, nicht lockerzulassen und weiterzutun. Die medizinischen Fakten geben uns Hoffnung, dass Einiges dahintersteckt.

Info: Neuer Verein will aufklärenVerein darm plus Rund 80.000 Menschen leiden in Österreich an einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa. "Unser Ziel ist, die Öffentlichkeit über den Bereich Darmgesundheit aufzuklären", sagt Vereinspräsident Univ.-Prof. Walter Reinisch. "Denn trotz der weiten Verbreitung verbinden nur wenige etwas mit dem Begriff CED und sind sich damit auch der schlechten Versorgung und täglichen Probleme der Betroffenen dieser chronisch voranschreitenden Krankheit nicht bewusst." Der Verein will jedoch auch die Prävention der Darmgesundheit zum Thema machen und das Bewusstsein für die Rolle des Darms stärken. Nähere Informationen: www.darmplus.atTel.: 01 / 409 11 46 / DW 28.

Health Claims Die 2007 in Kraft getretene Health-Claim-Verordnung der EU regelt, dass gesundheitsbezogene Angaben ("Health Claims") auf Lebensmitteln nur nach der Vorlage wissenschaftlicher Studien erlaubt sein sollen.

Kommentare