Downsyndrom-Vater: "Ich wollte keiner von denen sein"

Julia hat ein besonders Talent, die Herzen anderer zu erobern
Der Zeichner Fabien Toulmé schildert, wie er lernte, seine Tochter zu lieben. Obwohl sie ganz anders war als erwartet.

Dieses Lächeln, es ist einfach umwerfend. Niemand hat ein solch gewinnendes Lächeln wie Julia. Ihr Strahlen ist entwaffnend. Man sagt über sie, sie habe ein unglaubliches Talent, die Herzen anderer zu erobern. Und doch war ihre Ankunft für ihre Eltern ein Schock. Julia hat Downsyndrom, auch Trisomie 21 genannt. Julia, heute sechs, ist die Tochter des französischen Zeichners Fabien Toulmé.

In seinem Graphic-Novel-Debüt erzählt der zweifache Vater vom schwierigen Weg, seine Tochter zu akzeptieren. Schließlich hatte er sich sein Mädchen "ganz anders vorgestellt". Berührend, und – ja, das ist auch bei einem solch heiklen Thema möglich – bisweilen hochkomisch erinnert sich Toulmé, wie die Familie nach der Diagnose zu sich selbst fand. Einfühlsam und aufrichtig erzählt der Autor von Liebe, Familie, Verantwortung und den kleinen Unterschieden, die das Leben ausmachen. Er schildert Alltagssorgen: wenig Freude am Job, mieses Wetter (die Familie ist gerade von Brasilien ins feuchtkalte Frankreich gezogen) und ein Wohnviertel, das nicht ganz den Vorstellungen entspricht– es gibt bekanntlich idyllischere Gegenden als die Pariser Banlieue. Doch an keiner Stelle unterliegt Toulmé der Versuchung, die Leser belehren zu wollen im Sinne von: Was wisst ihr denn schon von echten Sorgen. Schonungslos ist er vor allem mit sich selbst: Er versucht nicht, sich im Nachhinein besser und toleranter darzustellen, als er es tatsächlich war. "Als ich die anderen Eltern sah, die glücklich und heiter wirkten, obwohl ihr Kind augenscheinlich schwer behindert war, bewunderte ich sie ... aber ich hasste sie auch. Ich wollte keiner von denen sein."

Schweißgebadet

Als Kind hatte er einen gekannt, einen "Mongo". Am Schulzaun war der Bub immer gestanden, ausgelacht von den anderen Kindern. Fabien verfolgte das Bild des Buben bis ins Erwachsenenleben und die Angst, selbst einmal ein Kind mit einer Trisomie zu bekommen, überkam ihn auch während der zweiten Schwangerschaft seiner Frau immer wieder.

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Eine Stelle im Buch berichtet von der ersten Ultraschalluntersuchung, bei der die Nackentransparenz des Babys gemessen wird, um Risiken oder Fehlbildungen einzuschätzen. Sie ist unauffällig: Toulmé, der sich zuvor Angstschweiß-gebadet gezeichnet hat, hört Engelschöre singen.

Es folgen weitere Untersuchungen, keine davon gibt Anlass zur Sorge. Doch als nach Julias Geburt der Gendefekt Trisomie 21 und ein damit einhergehender Herzfehler festgestellt werden, bricht für den jungen Vater eine Welt zusammen. Das "Damoklesschwert", das so lange über seinem Kopf schwebte, hat ihn getroffen: "Meine Schwierigkeiten im Umgang mit Behinderten, die Blicke der anderen, mein Wunsch, dieses Kind nicht mehr zu haben, es auszutauschen ..."

Voll Selbstmitleid

Zunächst versinkt Fabien in Selbstmitleid. Warum er? Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Trisomie 21 zu bekommen, sei so hoch wie jene, im Lotto zu gewinnen, hatte man ihm gesagt. Nun fühlt es sich an, als müsste er jenes Kind beerdigen, von dem er neun Monate geträumt hatte. Denn dieses ist einfach anders. Wird er es lieben können? Und wenn nicht, was ist er dann für ein Mensch? In kleinen Schritten kommt das Verstehen. Fabien bespricht sich mit seiner Schwester, einer Krankenschwester, die ihm berichtet, dass sie im Krankenhaus Downsyndrom-Kinder "Schmusekinder" nennen, weil sie so besonders verschmust und liebenswürdig sind. Verschmust ist auch Julias große Schwester. Sie drückt der kleinen bei deren Ankunft daheim einen dicken Schmatz auf die Backe– wozu sich der Vater noch immer nicht durchringen konnte. Wohin er auch geht, sieht und beneidet er die Familien mit den "normalen" Kindern.

Die Familie nimmt Therapie in Anspruch. Allmählich lässt sich die Traurigkeit schachmatt setzen. Der entscheidende Moment kommt, als Julia am Herzen operiert werden muss. "In dem Moment wussten wir, dass Julia unsere Tochter geworden war. Nachdem wir uns eingestanden hatten, dass sie nicht unseren Vorstellungen entsprach und wir uns davon verabschiedet hatten ... nachdem sie uns verzaubert hatte."

Toulmé will nichts kleinreden. Er gibt auch nicht vor, nun ein Experte für Kinder mit Downsyndrom zu sein. Er schildert schlicht das, was er erlebt hat. Rückblickend sagt er: "Ein Kind ist selten so, wie man es sich vorgestellt hat, als es noch im Bauch der Mutter war. Kinder sind immer ,unerwartet‘".

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Der Zeichner Fabien Toulmé, geboren 1980 in Orléans, liebte immer schon Comics, studierte aber zunächst Bauingenieurwesen. Er lebte u. a. in Brasilien und Guadalupe, kehrte 2009 nach Frankreich zurück und lebt heute mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Aix-en-Provence. „Dich hatte ich mir anders vorgestellt ...“ ist seine erste Graphic Novel.

Seine Tochter Julia ist heute sechs, sie spricht beide Elternsprachen Französisch und Portugiesisch ein bisschen und besucht eine „normale“ Volksschule. Neben der Klassenlehrerin hat sie eine Betreuerin, die sie durch den Schulalltag begleitet. Julia macht in ihrem Tempo Fortschritte: Etwas langsamer als die anderen, aber es sind Fortschritte.

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Fabien Toulmé: „Dich hatte ich mir anders vorgestellt“. Aus dem Französischen von Annkika Wisniewski. Avant Verlag. 248 Seiten. 25,70 Euro.

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