„Brauchen Strafe bei Psycho-Gewalt“
Verliebt, verlobt, verheiratet, verprügelt – so liest sich der Lebenslauf der Frauen in den Wiener Frauenhäusern. Im letzten Jahr wurden 690 Gewaltopfer mit ihren 663 Kinder in den insgesamt vier Wiener Frauenhäuser betreut.
Im November 1978 wurde diese Institution von Österreichs erster Frauenministerin, Johanna Dohnal, ins Leben gerufen. Martina Faymann, die Vorsitzende der Wiener Frauenhäuser, startet anlässlich des 35-jährigen Jubiläums eine Kampagne gegen psychische Gewalt.
KURIER: Frau Faymann, die Wiener Frauenhäuser werden 35 Jahre alt. Trotz vieler Erfolge wurde im Sommer eine Mutter auf dem Weg vom Frauenhaus zum Kindergarten von ihrem gewalttätigen Mann erstochen. Wie sehr schmerzen solche Rückschläge?
Martina Faymann: Diese Tragödie schmerzt extrem. Das war für die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses, in dem das Opfer mit seinem Kind lebte, ein ganz schwerer Schock. Man kann die Frauen im Haus schützen, aber nicht rund um die Uhr. Es werden für High-Risk Fälle Sicherheitspläne entwickelt, aber – und das muss man ehrlich sagen – wenn eine Tötungsabsicht da ist, dann ist diese schwer zu verhindern, weil sich die Frau nicht 24 Stunden am Tag im Frauenhaus aufhält.
Fällt es Frauen nach wie vor schwer, sich von ihren gewalttätigen Männern zu trennen?
Für keine Frau ist es leicht, mit dem Kind den Schritt ins Frauenhaus zu wagen. Obwohl viele Frauen ein jahrelanges Martyrium hinter sich haben, gehen viele nach zwei Wochen wieder zurück, weil sie hoffen, dass es doch wieder besser wird. Die meisten suchen dann nach einigen Monaten wieder Schutz im Frauenhaus. In vielen Fällen existiert eine Abhängigkeit, vor allem bei Migrantinnen, die oft in den ersten Jahren vom Aufenthaltsstaus ihres Mannes abhängig sind. Das ist eine besondere Form der Abhängigkeit.
Steigt die Gewalt gegen Frauen weiterhin an, obwohl immer mehr Frauen finanziell unabhängig sind?
Ich bin bei solchen Formulierungen vorsichtig, aber jede fünfte Frau ist in Österreich von Gewalt bedroht. Und die Formen der Gewalt werden immer subtiler, vor allem die Formen der psychischen Gewalt. In Frankreich gibt es den Tatbestand der psychischen Gewalt schon, in Österreich leider noch nicht und unser Ziel ist, ähnlich wie vor wenigen Jahren beim Stalking, hier eine Sensibilisierung zu schaffen. Mit dem Endziel, dass auch in Österreich die psychischen Gewalt als Strafdelikt gilt.
Die Crux ist: Wo fängt psychische Gewalt an? Wie definieren Sie diese Art von Gewalt?
Es geht uns hier nicht darum, dass sich die Ehepartner bei einem Streit an den Kopf werfen: „Du bist blöd.“ Aber es gibt Frauen, die jahrelang von den Männern nonstop kontrolliert werden. Die Frauen werden in den Wohnungen eingesperrt, ihr Gehalt wird ihnen abgenommen, die Telefonate werden mit Hilfe der Telefonrechnung überprüft. Manche müssen auf dem Weg zum Arbeitsplatz ihren Mann anrufen, damit er die Ansage der U-Bahn-Stationen hört, um so zu kontrollieren, ob die Frau auch wirklich zur Arbeit fährt. Dann gibt es die ständige Bedrohung. Es ist kein Einzelfall, dass der Mann der Frau die Waffe an den Kopf hält oder sie heftig bedroht. Das sind keine spontanen Bedrohungen, sondern das sind Formen von psychischer Gewalt, die sich der Mann bewusst einfallen lässt, damit er seine Frau vernichten kann.
Bei der psychischen Gewalt steht meist Aussage gegen Aussage. Wie soll ein Richter entscheiden, wer in solchen Fällen die Wahrheit sagt?
Auch bei Stalking wusste man anfangs nicht, wie der Gesetzgeber damit umgehen soll. Psychische Gewalt ist wie Stalking ein Bereich, wo Frauen einen rechtlichen Schutz brauchen, damit sie sich gegen diese Form von Gewalt wehren können. Es ist wichtig, dass der Staat sagt: „Stopp, so geht es nicht.“
Ist psychische Gewalt ein neues Phänomen?
Nein, die gab es schon immer. Aber die Täter werden immer fieser sowohl bei der physischen als auch bei der psychischen Gewalt. Wir hatten einen Fall, da schlug der Mann seiner Frau immer auf den Hinterkopf, weil man blaue Flecken an dieser Stelle nicht sofort sieht. Und bei der psychischen Gewalt kann der Mann noch fieser vorgehen – denn wenn man seine Frau jahrelang einsperrt, gibt es keine optischen Spuren.
Aber nicht nur Frauen sind Opfer, sondern auch die Kinder. Wie wird den Kindern in den Frauenhäusern geholfen?
Die Hälfte der Bewohner in den Frauenhäusern sind Kinder. Das sind pro Jahr 663 Kinder. Man kann sich kaum vorstellen, was im Kopf der Kinder vorgeht, wenn der geliebte Vater die Mutter jahrelang quält. Bei uns ist der Ansatz, dass man den Kindern nicht nur hilft ihre Traumata aufzuarbeiten, sondern ihnen auch zeigt, dass es andere Arten von Konfliktlösungen gibt. Deswegen liegt mir die Bubengruppe in den Wiener Frauenhäusern sehr am Herzen. Hier wird den Buben mit Hilfe von männlichen Therapeuten gezeigt, dass Mannsein etwas Anderes bedeutet, als sie bei ihren gewalttätigen Vätern bis jetzt gesehen haben.
In welchen sozialen Schichten kommt Gewalt gegen Frauen am häufigsten vor?
Es geht quer durch alle Schichten. Die Frauen, die ins Frauenhaus kommen, sind natürlich sozial benachteiligt und haben keinen anderen Ausweg. Aber bei unserer Beratungsstelle sehen wir – und da gab es 2012 immerhin 9400 Kontakte – dass Gewalt gegen Frauen häufig auch in den besten Familien vorkommt.
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