Aufwachen während der Operation: Wie oft es passiert

Aufwachen während der Operation: Wie oft es passiert
Neue Studie: Einer von 19.000 Patienten ist betroffen.

Es ist eine Urangst des Menschen: Das vorzeitige Aufwachen aus einer Narkose. Jetzt wurde die bisher größte Studie auf diesem Gebiet veröffentlicht: Britische Wissenschafter haben die Verläufe von mehr als drei Millionen Operationen in Großbritannien und Irland über einen Zeitraum von einem Jahr analysiert - und untersucht, wie oft es zur "unerwünschten Wachheit" (Awareness) kommt. Ergebnis: Bei einer von 19.000 Operationen. Insgesamt berichteten mehr als 300 Patienten über irgendeine Form von Wachheit während des Operationsverlaufes.

Legt man diese Studie auf Österreich um, so kam es - rein statistisch betrachtet - bei den 1.218.080 Operationen im Jahr 2012 in Österreich zu 64 Fällen von unerwünschter Wachheit.

In den meisten Fällen war bei den untersuchten britischen Patienten die Wachheit nur kurz und ereignete sich, bevor der tatsächliche operative Eingriff begann oder nach seinem Abschluss. Doch in immerhin 41 Prozent der Fälle litten die Patienten unter negativen psychischen Langzeitfolgen. Sie berichteten von Panikattacken, Schmerzen und Angstzuständen. Am Alarmierendsten aus Sicht der Ärzte war das Gefühl, gelähmt und unfähig zu sein, mit der Umgebung kommunizieren zu können. 90 Prozent der Fälle ereigneten sich, wenn die Patienten muskelentspannende Medikamente - um die Muskeln während der Operation ruhig zu stellen - in Kombination mit bewusstseinsdämpfenden Medikamenten erhielten.

Wer besonders gefährdet ist

Aufwachen während der Operation: Wie oft es passiert
Laut einer deutschen Studie (Uniklinikum Bochum, Charite Berlin) sind bestimmte Risikogruppen besonders gefährdet: Menschen, die oft Schmerz- und Betäubungsmittel nehmen, die bereits Herz-Kreislauf- oder Lungen-Erkrankungen haben oder die stark übergewichtig sind. Um deren Herz-Kreislauf-System zu schonen, werde die Narkose manchmal zu leicht gewählt, so die Studienautoren. Kinder sind sogar weitaus häufiger betroffen: Ihr Risiko für eine unerwünschte Wachphase liegt acht bis zehn Mal höher, denn ihr kleiner Körper verarbeitet die Narkotika vergleichsweise schnell. Aber auch bei Not-Kaiserschnitten, Notfall-OPs oder während Nachteinsätzen ist das Awareness-Risiko erhöht.

Laut der neuen britischen Studie kommt es bei einem von 670 Not-Kaiserschnitten zu unterschiedlichen Formen von Bewusstsein. Not-Kaiserschnitte sind auch nach anderen Untersuchungen der Eingriff, bei dem es am häufigsten zu Wachzuständen kommt. Denn bei einer Sectio wird die Dosis des Narkosemittels bewusst niedrig gewählt, um das Kind nicht zu gefährden.

In 17 Fällen aus Großbritannien war die unerwünschte Wachheit auf Fehler bei der Medikamentenverabreichung zurückzuführen.

Das Beispiel einer britischen Patientin, die die Kaiserschnitt-Entbindung ihres Kindes intubiert, aber bei vollem Bewusstsein erlebte, ist eines der heftigeren Art. Oft sind es aber auch OP-Geräusche, Worte, Satzfetzen, die die Patienten bewusst oder unbewusst wahrnehmen. "Schmerzen sind die nicht der Hauptrisikofaktor für traumatische Spätfolgen eines Awareness-Erlebnisses", so Experten des Zentrums für Anästhesie, Notfallmedizin und Schmerztherapie am Helios Klinikum Wuppertal: "Viel schwieriger ist es, das Erlebnis zu verarbeiten, ausgeliefert zu sein, nicht zu wissen, was passiert, und möglicherweise Todesängste zu haben."

Eine Betroffene berichtet

"Ich war in mir begraben", beschrieb vor einigen Jahren eine Betroffene ihren Zustand, als sie während einer Operation aufwachte. "Ich wollte etwas sagen, aber als ich Luft holen wollte, konnte ich nicht einatmen. Da habe ich Panik bekommen. Ich dachte: Jetzt kommt gleich der Schmerz." Das zumindest blieb ihr aber erspart.

Auch viele Jahre nach dem traumatischen Erlebnis auf dem Operationstisch hat die Frau noch immer mit den Folgen zu kämpfen: Sie leidet unter Platzangst, die öffentlichen Verkehrsmittel ihrer Heimatstadt Frankfurt lösen bei ihr Angstzustände aus. Jahrelang wachte sie nachts um Luft ringend auf und hatte das Gefühl zu ersticken.

Über die Frage, wie Ärzte erkennen können, dass ein Patient zu Bewusstsein kommt, wird kontrovers diskutiert. So können zwar bestimmte Wirkplasmaspiegel des Narkosemittels bestimmt werden, aber die sind nicht für jeden Menschen gleich aussagekräftig. Körperliche Stressreaktionen wie beschleunigter Puls, Schweißbildung und Muskelanspannung sind medikamentös unterdrückt. Auch die Hirnstrommessung ist kein absolut verlässlicher Indikator für die Narkosetiefe. Viele Anästhesisten sind davon überzeugt, dass es immer Grauzonen zwischen tiefer Narkose und Wachheit geben werde.

Link zur Studie des Royal College of Anaesthetists

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